Robert Habeck möchte von außen auf Deutschland schauen. Daher gibt er sein Bundestagsmandat ab und arbeitet künftig im Ausland. Dieser Mann mag alles sein: Aber ein Schwachkopf ist er nicht.
Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente

Vielleicht war es die Meldung der Woche aus der Berliner Blase: Der ehemalige Wirtschaftsminister und gescheiterte Kanzlerkandidat der Grünen, der Mann, der »von den Schweinen« zu uns Menschen kam, wie seine Kollegin einst bildhaft radebrechte, er lässt die Politik künftig hinter sich. Ab dem 1. September wird Robert Habeck kein Mitglied des Bundestages mehr sein, wie er der taz in einem Interview erzählte. Politisch einschalten wolle er sich hier und da jedoch trotzdem – wie genau, darüber machte er keine konkreten Angaben. Vermutlich gibt er der taz dann und wann Interviews.
Robert Habeck: Das war die Geschichte eines Schwiegermutterschätzchens, eines Fast-Everybody Darlings. Er wollte anders sein als die politischen Chargen, die man kannte, ein Typ zum Anfassen – ja, einer von uns! Sein verschmitztes Lächeln qualifizierte ihn für einen Starschnitt in der Bravo. Gab es vielleicht einen? Was es nach wie vor gibt: Einen Pappaufsteller bei Amazon, 66 Euro kostet der Robert. Lebensgroß ist er, aber nicht gefühlsecht. Dann erhielt er seine Chance in der großen Politik, er wurde Bundesminister und Vizekanzler, und man sah Habeck dabei zu, wie er sukzessive alterte, wie ihn das Amt auffraß – er lächelte nicht mehr, anfassen wollte er sich auch nicht mehr lassen. Die Bürger wurden ihm lästig, denn sie schätzten seine Arbeit und damit auch ihn nicht sonderlich. Auf sie macht er einen blutleeren, einen auch ahnungslosen Eindruck. Zuletzt schien es so, als führte er einen ganz persönlichen Kampf gegen all jene Menschen im Lande, die ziemlich deutlich machten, was sie von ihm hielten.
Minister mit Haltung
Seine Amtsübernahme, seine Vizekanzlerschaft, sollte in Berlin einen neuen Stil etablieren. Unkompliziert wollte er sein. Ein Minister, der es anders machen wollte als alle anderen, die vor ihm kamen. Habeck: Das sollte ein frischer Wind für ein Land sein, in dem wir nun endlich alle gut und gerne leben wollen. Die Berliner Republik sollte sich neu erfinden können, die Grünen gaukelten der Öffentlichkeit vor, dass nun eine Epoche angebrochen sei, wie sie schöner nicht werden könne. Herrliche Zeiten! Das Zweigestirn Robert Habeck und Annalena Baerbock setzte an, als kleiner Koalitionspartner das Land im Sturm zu erobern, um dann früher oder später selbst einer Koalition vorsitzen zu können: Habeck als Kanzler – das war der Ausblick, die Vision, der grün-feuchte Traum.
In der Tat: Habeck hat einen neuen Stil nach Berlin gebracht. Zunächst wirkte er wie ein Konfirmand, der nicht recht wusste, wo er stehen, wo er einen Schritt nach links machen soll, der seinen Text nicht kannte und sich hemmungslos verfranzte. »Ahnungslos sei der Mann«, vernahm man damals. Als sei das ein Grund dafür, dass er es nicht könne. Aber vielleicht musste man das ja anders sehen – Habeck wurde womöglich nicht wegen seiner Qualitäten als Wirtschaftsminister geduldet. Was er ins Ministerium mitbrachte: Er war bereit, eine gewisse Haltung einzunehmen. Das war noch nicht der neue Stil, das war alter Wein in neuen, für die Schwiegermutti attraktiven Schläuchen. Seine Haltung war halt besonders wenig mit deutschen Interessen verquickt; witzig an dieser Stelle: Dem ehemaligen Chefredakteur der Bild steckte er eine Dekade davor noch, dass er es nun mit dem Patriotismus hatte. Gleich mehr darüber. Neu war seine Weichheit, seine Weinerlichkeit, seine Dünnhäutigkeit – und wie nach und nach der Bürger, so er nicht in Begeisterung verfiel für den Stil Habecks und seiner Grünen, zu einem Störelement seines politischen Gestaltungsauftrages transformierte. Sie seien bösartig und behinderten die gute, wirklich exzellente, herausragende Arbeit der grünen Minister im Lande.
Die Grünen wurden tatsächlich für viele Menschen zum Hasssymbol jener Ampelkoalition – aus Sicht von Habecks Partei vollkommen zu Unrecht. Ihre Kriegspolitik, die anfangs noch mit klimapolitischen Sozialschweinereien einhergehen sollte, kam in der Öffentlichkeit eher weniger wie ein frischer Wind an. Das Heizgesetz und die immensen Kosten, die das den Bürgern aufgebürdet hätte, nahmen die Menschen als Sturm auf ihre Existenz wahr. Die Grünen lamentierten herum, sie sahen nicht so richtig ein, was sie den Menschen da aufbinden wollten. Synchron dazu darbte die Wirtschaft, sie tat es während der Habeck-Jahre nahezu durchgehend – und er selbst sprach in Talkshows wie ein Mann, der sich noch nie in der freien Wirtschaft verdingt hatte. Seine Vita gibt auch nichts Entlastendes in dieser Richtung her. Habeck wirkte nicht mehr agil, er hatte plötzlich was Betuliches an sich, was Onkelhaftes; seine Anzüge saßen schlecht, beriet ihn niemand modisch? Er wirkte überfordert, seine Antworten flüsterte er nasal in die Kameras dieser Republik, das simulierte Besonnenheit. Gelegentlich las man, er sei ein »Philosophenminister« – Habeck hatte Freunde in den Redaktionen, dort wählte man häufiger grün als im Bundesdurchschnitt. So kamen solche belobigenden Worte für ihn zustande.
Poster-Boy der Lebenslügen-Klasse
Als er in einem Talk um den Begriff »Insolvenz« schwadronierte und diese zu einer seltsamen Form von Betriebsurlaub umdefinierte, eilten ihm manche Journalisten zur Seite. Die Redaktionsstuben des Landes schienen teilweise zu Pressesprecher der Grünen mutiert zu sein. Übrigens ergriff auch Marcel Fratzscher für ihn Partei – Fratzscher fleht aktuell einen Zwangsdienst für Rentner herbei, weil es fair sei gegenüber den jungen Leuten, auch die Oma als diensttauglich zu bewerten. Der DIW-Chef ließ sich damals zitieren: Habecks Einsichten zur Insolvenz seien richtig. Dessen Begründung damals hanebüchen: Wenn der Staat die Ressourcenknappheit kompensiert, gehen die Unternehmen nicht insolvent. Anders gesagt: Der Staat, der mit seiner Außenpolitik Ressourcen verknappt, soll solange in die Bresche springen, dann bleiben die Betriebe erhalten. Der Vizekanzler wurde trotz geradezu freundschaftlicher Presse zunehmend larmoyant. Als ihn dann auch noch Landwirte nicht von einer Fähre gehen ließen, wähnte er Gefahr in Verzug, vielleicht gar eine Kriegserklärung an sich, sein Privatleben, seine Familie. Ab jetzt waren Bürger, die aufbegehrten, die Ansprüche stellten an seine Politik, die die Folgen seines Kurses nicht mehr tragen wollten, im Grunde nichts weiter als Gefährder, denen man sofort auf den Pelz rücken musste.
Schwachkopf: Das war dann das Stichwort. Ein Mann hatte bei X etwas gepostet, womit Habeck als Schwachkopf tituliert wurde. Folge: Hausdurchsuchung am Morgen, die behinderte Tochter des Schurken wurde aus dem Bett geschüttelt, Vater stand hilflos daneben. Später erklärten die Behörden, der Mann habe vormals schon rechte Propaganda verbreitet. Präsentiert wurde ein Tweet, der auch anders gelesen werden konnte, wenn man einer gewissen Kontextualisierung mächtig ist. Staatsanwaltschaften vermögen das in der Regel nicht. Dies war der neue Stil, der in Berlin mit Habeck einzog: Aus dem Minister zum Anfassen war ein Minister geworden, der sich wegduckte, die Hand zurückzog, wenn er mit dem realen Leben konfrontiert wurde. Ein Antibürgerminister, dem es lästig zu sein schien, mit ganz normalen Sterblichen konfrontiert zu werden. Den besorgten Bürgern wurde im Laufe der letzten Jahre zunehmend klar, dass die postlinken Parteien einer Lebenslüge nacheiferten und gewisse Themen einfach nicht stattfinden dürfen. Nehmen wir nur die Migrationsfrage, bei der sich alle verlegen räuspern, wenn sie aufgetischt wird, die aber in so gut wie allen deutschen Städten zu Brennpunkten führen, die Sorge bereiten müssen, so man sich dort bewegt.
Der Poster-Boy der postlinken Blase, der Alleszermalmer des alten Berliner Kurses, der die Hauptstadt mit seinem unorthodoxen Auftreten und seiner offenen Art erobern wollte, verkroch sich in seinem Ministerbunker und führte plötzlich kleinliche Scharmützel mit dem Souverän, der sich erdreistete, die Arbeit eines Ministers scharf und polemisch zu kritisieren. Wobei er im Falle von Schwachkopf-Gate erklärte, dass die Initiative nicht von ihm ausging. Habeck hatte in der Tat einen Punkt: Ein Schwachkopf, ein Unfähiger war er nun wirklich nicht. Von Wirtschaft mochte er keinen Schimmer haben, in Talkshows flüchtete er sich zunehmend in Monologe, die ihm viel Redezeit gewährten, in denen er aber reichlich wenig Gesagtes unterbrachte. Aber er war einfach der richtige Mann am richtigen Platz zur richtigen Zeit. Er zweifelte nicht am Kurs der Biden-Administration: Er hielt Treue über den Atlantik hinweg und stützte den destruktiven Kurs der Democrats. Das war seine Klasse!
Deutschland von außen
Noch in der Opposition im Jahr 2020 eckte Habeck in Davos mit der Trump-Administration an. Man sollte den Kampf gegen diesen Mann aufnehmen, den er ein »Desaster« nannte. Dieser Tage liest man, dass Habeck in die USA gehen wolle: Ins Land des Desaströsen. Ohne Worte! Die US-Demokraten sahen das damals gerne, sie wussten spätestens jetzt: Habeck sieht die Dems, die Donkey Party, als Ausdruck des guten Amerika, Biden als den Felsen in der Brandung gegen einen neuerlichen Versuch jenes Donald »El Desastroso« Trump, ins Weiße Haus einzuziehen. Er qualifizierte sich als Transatlantiker, der dem jetzt wieder »guten Amerika« unter Biden politisch nacheiferte – die Grünen waren schließlich im fernen Tschörmäni die Protagonisten eines guten, freundlichen und anständigen Deutschlands, das nun endlich eine Chance bekommen sollte.
Sich ins Gespräch bringen: Das war sein Ziel schon im Jahr 2010, es wurde vorher bereits kurz angerissen – Kai Diekmann veröffentlichte dieser Tage bei X einen Brief von damals. Habeck biederte sich beim damaligen Bild-Chefredakteur an. Der Wortlaut klingt ankumpelnd – und damit ziemlich peinlich. Seine Anhänger toben im Moment natürlich, sie werfen Diekmann vor, er habe den Brief aus dem Kontext gerissen – aber welcher Kontext sollte das sein? Habeck wollte offenbar, dass die Bild ihn wahrnimmt. Der Brief scheint grundlos erfolgt zu sein. Stichwort Anhänger: Der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Roth schreibt bei X: »Bei allen Fehlern, Schwächen, Eitelkeiten – Robert Habeck hat eine Fanbase aufgebaut, die für ihn durchs Feuer gehen würde« Das lässt tief blicken. Wovon spricht Roth? Von einem Bundesliga-Spieler, einen Hollywood-Mimen oder einen C-Promi aus dem Dschungelcamp? Von Leuten also, die treudoofe Fans haben, die für einen alles tun? Politik als Fanbase: Mehr muss man nicht sagen. Habeck schrieb damals, dass er als alles Mögliche gehandelt würde. Und auf einen »schweren Regelverstoß« in seiner Partei wies er freilich auch hin: Er habe ein Buch über Patriotismus geschrieben – ja, schlimmer noch: diesen gefordert. Habeck kokettierte folglich damit, dass er die Grünen aufmischt, nutzte deren ideologische Spießigkeit, um sich für den Herrn Chefredakteur interessant zu machen und »anders« als seine Parteikollegen zu stilisieren. Wer später genau auf diese Weise diese grünen Biedermänner und Philister aufspießte, den nahmen Habeck und seine Grünlinge sofort als rechten Generalangriff auf das einzig wahre und richtige Lebensgefühl zur Kenntnis: auf das Gute, ja, das Beste, was Deutschland zu bieten habe.
Von außen wolle er nun auf Deutschland schauen, sagte Habeck der taz. Den Chefredakteur der Bild braucht er heute nicht mehr. Habeck hat Karriere gemacht – »wenn es denn Karriere ist«, wie er damals Diekmann schrieb – und stieg für einen Moment zum Superstar der deutschen Politik auf, zum George Clooney eines Gestaltungsanspruches, der für sich deutlich machte, wertebasiert sein zu wollen. Am Ende vertiefte dieser Anspruch jenen Spalt, der sich durchs Land zieht, nochmals ordentlich. Einen Augenblick lang war er der politische Sexappeal auf zwei Beinen – bis er die stellvertretende Richtlinienkompetenz innehatte: Ab da funktionierte der galante Habeck nicht mehr, denn nun wurde Realpolitik erwartet, eine unorthodoxe Führung des Landes, falls nötig, um die Interessen der Bürger zu wahren. Habeck verstrickte sich in seiner Zeit als Vizekanzler mehr und mehr in Händel mit jenen, die die Grünen scharf kritisierten: Sie unterminierten quasi seine Arbeit. Und dieser Schwenk, von der eigenen Verantwortlichkeit auf die schlimmen Bürger zu verweisen, auf die Kampagne gegen die Grünen: Das ist der wirklich neue Kurs, der Einzug fand in Berlin-Mitte – kein Minister vor ihm war je so angefasst, so dünnhäutig.
Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog »ad sinistram«. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs »neulandrebellen«. Er war Kolumnist beim »Neuen Deutschland« und schrieb regelmäßig für »Makroskop«. Seit 2022 ist er Redakteur bei »Overton Magazin«. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main.
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