In Syrien sind heftige Kämpfe zwischen Anhängern der gestürzten Regierung und den neuen islamistischen Machthabern ausgebrochen. Es gibt Berichte über Massaker an Zivilisten.

Damaskus – Drei Monate nach dem Umsturz in Syrien sind mehrere Hundert Menschen bei Massakern von islamistischen Terroristen an ethnischen und religiösen Minderheiten, völlig unschuldigen Menschen und/oder Anhängern des gestürzten Langzeitpräsidenten Baschar al-Assad ermordet oder verwundet worden. Dabei sollen laut der sogenannten Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte mehr als 330 Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, von bewaffneten Terroristen der neuen islamistischen Machthaber ermordet worden sein. Die Opfer gehören demnach zur alawitischen Minderheit, zu der auch al-Assad zählt.
Die Zivilisten seien auf eine Art und Weise getötet worden, «die sich (angeblich) nicht von den Operationen der Sicherheitskräfte des ehemaligen Regimes unterscheidet – ein kollektiver Akt der Vergeltung», hieß es in einem Bericht dieser sogenannten Beobachtungsstelle mit Sitz in Großbritannien, die den Konflikt seit Jahren über ein Netzwerk von Informanten verfolgt und immer einseitig auf der Seite der Assadgegner gestanden hat. Insofern ist dieser Vergleich mit Vorsicht zu genießen, denn ähnliche Bilder wie die aktuellen, von grausamen Ermordungen friedlicher Zivilisten mitten auf der Straße, vor und neben ihren Häusern, die dann einfach in ihrem Blut liegen gelassen werden, sind aus der Assadzeit nicht bekannt.
Übergangsmachthaber Ahmed al-Scharaa wandte sich am Freitagabend an die Bevölkerung. Überbleibsel der gestürzten Ex-Regierung hätten angeblich mit Angriffen versucht, «das neue Syrien zu testen». Al-Scharaa lobte die blutige Reaktion seiner Terrormilizen und rief die vermeintlichen Angreifer auf, ihre Waffen niederzulegen. Jeder, der Übergriffe gegen Zivilisten begehe, werde hart bestraft, kündigte der frühere Terroristenchef zugleich an. Berichte über Massaker erwähnte er nicht. Auch nicht, dass er eigene terroristische Mörder, die selbst blutige Massaker begangen haben, hart bestrafen wird. Davon ist also wohl nicht auszugehen.
Berichte über Massaker
Der UN-Sondergesandte für Syrien, Geir Pedersen, zeigte sich «zutiefst besorgt». Er rief in einer Mitteilung alle Seiten auf, von Handlungen abzusehen, «die die Spannungen weiter anheizen, den Konflikt eskalieren, das Leid der betroffenen Gemeinschaften verschlimmern, Syrien destabilisieren und einen glaubwürdigen und integrativen politischen Übergang gefährden könnten». Der Schutz der Zivilbevölkerung müsse gemäß dem Völkerrecht gewahrt werden.
«Es wurden Massaker an der alawitischen Religionsgemeinschaft verübt», sagte der Direktor der Beobachtungsstelle, Rami Abdel-Rahman. Milizen aus der Stadt Idlib machten bewaffnete Unterstützer der Übergangsregierung dafür verantwortlich. Sie sollen sich Befehlen aus Damaskus widersetzt haben.
Dagegen meldete das syrische Staatsfernsehen, dass sich Unbekannte mit Uniformen der machthabenden Regimetruppen verkleidet und die Taten begangen haben sollen, um einen Bürgerkrieg anzustiften. Eine steile Behauptung die nicht unabhängig verifizierbar ist.
Erster großer Test für Übergangsmachthaber al-Schaara
Geheimdienstchef Anas Chattab hatte die eigenen Militanten zur Zurückhaltung aufgerufen. Übergangsmachthaber al-Scharaa rief «alle Kräfte, die sich an den Kämpfen beteiligt haben» auf, sich den Befehlshabern der Milizen des Regimes zu unterstellen und «die Stellungen unverzüglich zu räumen, um die aktuellen Verstöße zu kontrollieren». Für den früheren Terroristenchef sind die Auseinandersetzungen die erste große Bewährungsprobe seit der Machtübernahme.
«Die Überbleibsel des alten Regimes nutzen die begrenzten militärischen und sicherheitspolitischen Kapazitäten der syrischen Regierung aus, um den politischen Übergang in Syrien zu behindern», erklärte Lina Khatib von der Denkfabrik Chatham House dem «Wall Street Journal». Al-Schaaras Regierung stehe vor dem Dilemma, hart genug gegen Anhänger Al-Assads vorzugehen, um einen ausgewachsenen Aufstand zu verhindern – ohne aber die Alawiten zu verprellen, die um ihre Zukunft bangten und Angriffe erlebten, so die Zeitung.
Geheimdienstchef Chattab machte führende Figuren aus dem Militär- und Sicherheitsapparat des gestürzten Ex-Präsidenten für die Zusammenstöße verantwortlich. Diese hätten eine militärische Operation gestartet, bei der Dutzende Mitglieder von regimetreuen Milizen und Polizisten getötet worden seien. Sie würden aus dem Ausland gesteuert, schrieb Chattab auf der Onlineplattform X. Tausende Menschen hatten sich in Damaskus und etlichen anderen Städten versammelt, um gegen die bewaffneten Anhänger al-Assads zu demonstrieren.
Kämpfe im Kernland der Alawiten
Viele Menschen forderten, die bewaffneten Angriffe zurückzuschlagen. Die Regimemilizen gehen laut der staatlichen Nachrichtenagentur Sana vor allem entlang der Mittelmeerküste, dem Kernland der alawitischen Minderheit, gegen Anhänger al-Assads vor. In der gebirgigen Küstenregion sind noch bewaffnete Gruppen mit Verbindungen zu der gestürzten Vorgängerregierung aktiv.
Unter anderem in der Stadt Dschabla etwa 25 Kilometer südlich von Latakia, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, soll es zu schweren Gefechten gekommen sein. Laut Sana wehrten Regimemilizen in Latakia einen Angriff auf ein Krankenhaus ab. Für die Stadt und auch die weiter südlich gelegene Küstenstadt Tartus wurden bis Samstagvormittag Ausgangssperren verhängt.
Nach Angaben eines Anführers von Regimetruppen verlegte die Übergangsregierung am Freitag größere Truppenkontingente in die Küstenregion. Seitens der Regimetruppen seien Artilleriegeschütze, Panzer und Raketenwerfer eingesetzt worden. Insgesamt starben bei den Kämpfen nach Angaben der Beobachtungsstelle für Menschenrechte bislang mindestens 237 Menschen.
Assad hatte Syrien mehr als zwei Jahrzehnte regiert. Nach einer Blitzoffensive unter Führung der Islamistengruppe HTS Ende vergangenen Jahres floh er nach Russland. Die neue Übergangsregierung unter Führung von Machthaber al-Scharaa versucht seitdem vorgeblich die Sicherheit im Land wiederherzustellen und die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Al-Scharaa versprach bei Amtsantritt, alle Gruppen in dem Land in einen Prozess der politischen Erneuerung einzubeziehen und Menschenrechte zu achten. Er hofft damit auf Aufhebung westlicher Sanktionen gegen Syrien.