Hurricane of Change

Weltweit kommt es zu gigantischen tektonischen Verschiebungen der Machtblöcke. Wenn wir diese Umwälzungen richtig verstehen, können wir davon nur profitieren. Eine kurze geopolitische Momentaufnahme.

Ein Kommentar von Hermann Ploppa

shutterstock/Sylvie Corriveau

Die Hannoveraner Rockband The Scorpions hauchte Ende der 1980er Jahre ihre historische Ballade vom Wind der Veränderung – Winds of Change. Der Change bestand darin, dass eine bankrotte Sowjetunion komplett ihre Silberlöffel an die einzige verbliebene Weltmacht USA abgeben musste. Es folgten etwas mehr als drei Jahrzehnte faktischer Alleinherrschaft der Vereinigten Staaten von Amerika über die Geschicke der Weltbevölkerung. Ungestraft konnten ganze Regionen eingeäschert und unterworfen werden. Die einzige Weltmacht bestrafte und beseitigte ungehorsame Regierungen an den entlegensten Zipfeln der Welt. Das verleitete die Eliten der letzten Supermacht USA zu einer verhängnisvollen Selbstzufriedenheit und Bequemlichkeit.

Das sind die in der Weltgeschichte ganz normalen Zyklen: ein Gemeinwesen erlangt Dominanz und ist eine Zeit lang unbesiegbar. Warum soll man sich noch weiter entwickeln? Weiterentwicklung wird nur angestrebt, wenn man das Gefühl hat, dass es so nicht mehr lange gut gehen kann. Dekadenz und intellektueller Rückschritt sind die Folgen einer allzu lange bestehenden Konkurrenzlosigkeit. Im Augenblick sehen wir voller Erstaunen, wie die USA offensichtlich aus dem Tritt gekommen ist und sich vor unseren Augen selber zerlegt. Dass Papa Biden seinen missratenen Straftäter und Sohnemann Hunter mal eben so begnadigt, ist nur eines von vielen augenfälligen Anzeichen des galoppierenden Verfalls.

Die Amis haben jahrzehntelang auf Pump gelebt. Eine Verschuldung von bald 36 Billionen US-Dollar drückt schwer. Bald müssen die meisten dieser Schulden neu verhandelt und umgeschuldet werden. Damit die Schuldenfabrik USA nicht sofort zum Stehen kommt, wird immer neues Geld gedruckt – ohne jede Beziehung zu realen Werten.

Im Prinzip müsste eine US-Regierung sich erst einmal bemühen, die Inflation einzudämmen. Und, wie im Jahre 1933 der damalige US-Präsident Franklin Delano Roosevelt, erst mal die Börsen und andere makabre Spielcasinos für hundert Tage zu schließen. Und den Laden dann mit strengen Regeln und Auflagen wieder zu eröffnen. Eine solche Rosskur will im Augenblick niemand in den USA vornehmen. Im Gegenteil. Die superreichen Milliardäre um Donald Trump wollen sich erklärtermaßen ihre sowieso schon prallen Taschen noch mehr mit den Reichtümern und Gütern dieser wunderbaren Erde befüllen.

Und: anstatt dass ein starker Staat endlich für mehr Ordnung und Gerechtigkeit sorgt, soll eben dieser Staat als Ganzer abgeschafft werden. Vermögensverwalter und Schattenbanken wie Blackrock oder Vanguard empfinden die sterblichen Überreste des ehemals starken Staates als lästiges Geröll, das den Vormarsch des leistungslosen Einkommens auf den Schultern erschöpfter Leibeigener allzu sehr bremst oder gar blockiert. Beflissene anarchokapitalistische Souffleure geben das Motto aus für die komplette Aneignung aller öffentlichen Güter für die Zocker. Es lebe die Freiheit! Libertäre Ideen klingen beim ersten Zuhören wunderbar. Kleiner Schönheitsfehler beim Blick auf das Detail: die Freiheit der Libertären meint nur die Freiheit der Besitzenden. Diese Freiheit muss nicht durch Rücksichtnahme auf den lieben Nächsten gerechtfertigt sein. Die Freiheit der Libertären ist die Freiheit, sich rücksichtslos zu nehmen was man kriegen kann.

Und weil der Widerstand der Solidargemeinschaft gegen diese Staatszerstörung noch zu stark ist, wollen die Superreichen nun sozusagen horizontal den Nationalstaat durch das Konstrukt der Privatstädte, der Chartered Cities, ersetzen. Überall auf der Welt entstehen Enklaven von Städten, die losgelöst von der Rechtsprechung und Gesetzlichkeit ihrer Gastgeberländer ein Eigenleben entfalten. In diesen Chartered Cities ist man kein Bürger, der Rechte und Pflichten ausfüllt. Man ist stattdessen ein Stakeholder. Man kauft sich mit einer Summe Geldes in die Privatstadt ein. An Stelle des Bürgermeisters tritt ein CEO, der eingesetzte Chef der privaten Stadt-Firma. Mithilfe der Privatstädte wollen die Anarchokapitalisten die lästigen Staaten ein für allemal loswerden. Aus dieser Perspektive heraus hat es dann auch gar keine Eile mehr, den Staatshaushalt der USA wieder in Ordnung zu bringen. Da kommt noch so einiges auf uns zu. Es droht eine Re-Feudalisierung: die Herrschaft durch eine parasitäre Kaste von Spekulanten. Es droht zudem eine globale Enteignung zugunsten leistungslosen Einkommens. In der Größenordnung vergleichbar der Landnahme in der frühen Neuzeit.

Eine andere Idee befeuert die marktradikalen Trumpisten derzeit: da gibt es doch die Krypto-Währung. Vor geraumer Zeit kamen findige Köpfe aus dem Silicon Valley auf die Idee, dass man eine Währung aufbauen kann, die nur virtuell existiert. Da gab es die ungemein sympathische Idee, dass beim Zahlungsverkehr zwischen zwei Partnern die Banken außen vor bleiben sollten. Anstelle einer Zentralbank würden unzählige dezentrale Großrechner Geld aufgrund mathematischer Gleichungen schöpfen. Alle Aufzeichnungen über den Zahlungsverkehr wären dezentral an mehreren Stellen gleichzeitig gespeichert. Eine solche Finanzarchitektur wäre demokratisch und zudem auf die Gleichheit aller Teilnehmer gegründet.

Es erging auch dem Krypto-Geld wie allen Ideen, die das Gute wollten: sie ist längst pervertiert. Längst haben sich die Schattenbanken wie Blackrock und die regulären Banken wie Goldman Sachs massiv in der Krypto-Szene eingekauft. Die alten Geldhäuser haben sich bei Krypto eingekauft, um auch beim neuen Zahlungsverkehr die Kontrolle zu behalten. Und das Krypto-Konzept ist sozusagen „staatenlos“. Es schert sich nicht um Landesgrenzen. Damit kann auch Krypto als ideales Instrument der global agierenden Bankhäuser und Spekulanten missbraucht werden.

China und Russland: Der Staat als Gestalter

Nun ist das Problem der marktradikalen Trumpisten gravierend: es sind zwei den USA ebenbürtige „Mitbewerber“ herangewachsen. China ist den USA wirtschaftlich ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen. Und Russland unterhält eine kleine aber feine Militärmacht, die den USA mindestens ebenbürtig ist. Und diese beiden Staaten faszinieren mit ihrem Entwicklungsmodell immer mehr andere Staaten, die gerne aus der Jauche der Armut und Schuldknechtschaft heraus möchten.

Dieses verdammte Entwicklungsmodell. Schauen wir uns China an: die Chinesen haben erkannt, dass es nichts Gutes einbringt, wenn man als Staat Preise und Liefermengen vorschreiben will. Das hat nur Hunger und Armut gebracht. Also entfesseln die Chinesen Geschäftsleute. Aber trotzdem ist eines vollkommen klar: der Staat besteht auf seinem Recht, das wirtschaftliche Wachstum zu gestalten. Das Unkraut auszujäten. Und darauf zu achten, dass die große Masse der Bevölkerung von dem Wachstum angemessen profitiert. Bei den Chinesen könnte auch unser ehemaliger Bundeskanzler Ludwig Erhard der große Stichwortgeber gewesen sein: Wohlstand für alle, bei freier Wirtschaft. Allerdings mit klaren gesetzlichen Begrenzungen. Und der Staat bestimmt, in welche Richtung die Entwicklung der Wirtschaft gehen soll.

Diese Intervention des Staates, die früher auch bei uns ganz normal war und uns gut getan hat, wird jetzt vom Wertewesten als Grund genannt, chinesische Waren mit Strafzoll zu sanktionieren. Erst haben sich die westlichen Staaten eines wichtigen Arms ihrer Wirtschaftskraft entledigt, um dann wie ein trotziges Kind zu schreien: „Das gildet nicht!“ Das ist wirklich infantil, erst die Gestaltungskraft des Staates zu beseitigen, um dann zu beklagen, dass amerikanische oder europäische Waren nicht mehr konkurrenzfähig sind gegenüber chinesischen Produkten. Das, liebe EU-Bürokratie, könnt Ihr gerne noch eine Weile so weiter machen. Aber bitteschön in einer isolierten Gummizelle. Europa ist zu schön, um von Euch demoliert zu werden.

„Ich spiel’ nicht mehr mit!“

Der Wertewesten scheint nun komplett in der Trotz-Ecke stehen zu bleiben. Der Wertewesten sieht, wie die anderen Länder, die mittlerweile die Mehrheit ausmachen, schöne neue Sachen zusammenbauen. Der bockige Wertewesten weiß sich nicht besser zu helfen, als mitten in die neuen schönen Modell-Häuser rein zu trampeln. Die Gestaltungsmacht der verschuldeten USA erschöpft sich darin, so genannte „Disruptionen“ zu verursachen. Also: Kriege anzuzetteln. Regime Change zu machen. Stellvertreter dazu zu bringen sich gegenseitig die Köpfe einzuhauen. Teile und herrsche. Julius Cäsar. Aus Brudervölkern Feindvölker eisern zu schmieden. Hier brodeln und zischen die tektonischen Erdschichten gegeneinander. Es kracht und gurgelt. Georgien wird mit ungeheurer krimineller Energie destabilisiert. Doch die konstruktiven Kräfte werden stärker. In Georgien gibt es die clevere Partei „Georgischer Traum“. Und als der südkoreanische Präsident Yoon, vermutlich mit nicht unerheblicher Billigung durch eine Macht des Wertewestens, sich zum Kriegsdiktator aufschwingen wollte, waren die Kräfte der Demokratie stärker als Yoon. Der südkoreanische Noch-Präsident und Möchtegern-Diktator kann jetzt sogar froh sein, wenn er nicht zum Tode verurteilt wird. Südkorea ist eine Perle in der Kette von US-hörigen asiatischen Staaten, die gerade als Gefechtsköpfe gegen China in Stellung gebracht werden. Da soll sich Südkorea einreihen neben Taiwan, Japan und den Philippinen.

In Nahost soll Russland in das Duell gezwungen werden, indem sich der Brand im Nahen Osten über Libanon und Syrien immer näher an Iran heran frisst. Russland muss seinem Partner Iran zu Hilfe kommen, wenn der Iran Syrien zu Hilfe kommt.

Wird das noch etwas Gescheites?

Ich denke schon. Allerdings ist der Hurrikan der Veränderung zunächst einmal sehr blutig, bevor die Wendung zum Guten sich durchgesetzt hat. In Europa wird gerade die Firnisschicht der amerikanischen Stellvertreternetzwerke zunehmend porös. In Deutschland ging die FDP gerade von Bord, um der Rest-Ampel beim gar nicht mehr feierlichen Versinken zuzuschauen. In Frankreich kann Macron sich kaum noch halten. Macron und seine Kollegen an den Schaltstellen der Macht in den anderen Vasallenstaaten sind Auslaufmodelle.

Es liegt an uns, dieses politische Vakuum des Westens für unsere Ziele der wahrhaftigen Demokratie, Gleichberechtigung, des Friedens und sozialer Gerechtigkeit zu nutzen.

Hermann Ploppa, Jahrgang 1952, ist Politologe und Publizist. Er hat zahlreiche Artikel über die Eliten der USA veröffentlicht, unter anderem über den einflussreichen Council on Foreign Relations. 2008 veröffentlichte er „Hitlers Amerikanische Lehrer“, in dem er bislang nicht beachtete Einflüsse US-amerikanischer Stiftungen und Autoren auf den Nationalsozialismus offenlegte und öffnete bereits einem großen Publikum die Augen über die tatsächlichen Hintermänner des Diktators. Sein Bestseller „Die Macher hinter den Kulissen – Wie transatlantische Netzwerke heimlich die Demokratie unterwandern“ sorgt nach wie vor für angeregte öffentliche Diskussionen. Seine neueste Veröffentlichung „Der Griff nach Eurasien“ beschäftigt sich mit den Hintergründen des ewigen Krieges gegen Russland.

Ploppa widmet sich den tiefen Strukturen und komplexen Zusammenhängen in Bezug auf das eurasische Verhältnis. Wer hat Interesse, dass Europa und Asien nicht weiter zusammenwachsen? Was sind die Bestrebungen des US-Imperiums, wenn China derzeit zur neuen Weltmacht aufsteigt? Welche Mittel und Wege werden gefunden, um der Herzland-Theorie von Mackinder folgend, Europa und Asien ewig zu spalten? Hermann Ploppa ist bekannt für seine akribische Recherche und pointierte Interpretation historischer und politischer Ereignisse. Er bringt zusammen, was in der deutschen Medienlandschaft, vor allem auch im Hinblick auf die eigene Historie, komplett verdrängt wurde.

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.

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