Die deutschen Meinungsmacher stecken nach dem Treffen Trumps mit Putin in der Sinnkrise. Sie beißen wild um sich. Wie umgehen mit Menschen, die weiter der Kriegsschwurbelei frönen?
Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente

Puh, das hat gesessen! Nachdem sich Donald Trump und Wladimir Putin im ehemaligen Russisch-Amerika, genauer gesagt in der Stadt Anchorage – die es im russischen Alaska noch nicht gab – getroffen haben, wütete die deutschen Meinungsmacher in nie da gewesener Art und Weise. Das Treffen sei einerseits ein Flop gewesen, las und vernahm man – andererseits behaupteten dieselben »Kreativköpfe des weitergehenden Kampfes«, dass Trump Putin einen Sieg eingehandelt habe. Ja, was stimmt denn nun?
Gewohnt einseitig erfuhr der Rezipient von Spiegel bis Tagesschau und von Zeit bis Stroer, dass Alaska irgendwie nutzlos gewesen sei. Denn Wladimir Putin fiel nicht vor dem New Yorker auf die Knie. Trump habe sogar gelacht, als er den russischen Präsidenten erstmals seit Jahren von Angesicht zu Angesicht erblickte. Doch Putin habe keine Zugeständnisse gemacht – von Zugeständnissen der NATO, die notwendig wären, erfuhr man wiederum wenig bis nichts. Und weil dem so war, hätte man sich diese Zusammenkunft wahrlich sparen können, unkte es aus dem Infotainment. Keine Silbe davon, dass dieses Treffen auch als ein Silberstreif am Horizont gewertet werden könnte. Nicht der Hauch eines optimistischen Ansatzes. Den gäbe es freilich: Denn endlich sprechen beide Seiten wieder miteinander – dafür sollte man, egal was man von ihm hält, Donald Trump dankbar sein.
Schrei nach Liebe
Das Gegenteil berichteten deutsche »Qualitätsmedien« jedoch. Sie schimpften auf den US-Präsidenten – die Ukraine sei nicht mit am Tisch gewesen, daher könne man ihn nicht ernstnehmen. Es zeugt übrigens wieder von einer grandiosen Gabe zur Widersprüchlichkeit, dass man die Ukraine hier als autonomen Verhandlungspartner taxieren möchte, während das Land längst in der totalen Abhängigkeit zu Westeuropa und den USA steht. Außerdem wurde moniert, dass (West-)Europa nicht teilgenommen habe im fernen Alaska – auch das stellt eine Inkonsequenz von epischer Prägung dar: Denn Westeuropa will seit Jahr und Tag nicht verhandeln und verwehrt jeden Dialog. Warum sollte das Westeuropa – genauer gesagt: die EU – zu einem potenziellen Teilnehmer einer solchen Besprechung machen? Nun spricht Trump ja doch mit EU und Ukraine – er weiß, dass jeder Exitstrategien braucht, um sein Gesicht halbwegs bewahren zu können. Entscheidungsträger sind Merz, von der Leyen und Selenskyj für ihn jedoch nicht.
Eines spürt man jedoch ganz deutlich, seitdem in Alaska die beiden Präsidenten auseinandergingen: Die Köpfe, die über die veröffentlichte Meinung in Deutschland bestimmen, scheinen in einer tiefen Krise zu stecken. Sie spüren, dass die westeuropäische Marschrichtung gescheitert ist und dass Westeuropa und somit Deutschland alle Karten aus der Hand gegeben haben. Was sie nun am meisten bedrückt: Wie kommen sie aus diesem Dilemma, das sie in den letzten drei Jahren medial geschürt haben, so heraus, dass sie ihr Gesicht wahren können? Und weil das mit dem drohenden Gesichtsverlust eine unangenehme Angelegenheit ist, aus der man im Augenblick keinen Ausweg findet, hilft nur eines: Radikalisierung! Man schreibt sich eben die Welt noch eine Schippe mehr so, wie sie diesen Leuten gefällt – und geniert sich für die eigene Propaganda noch weniger.
Statt realistischer Einschätzungen widmet sich der Mainstream nun der Schwurbelei. Das ist gefährlich, denn diese verlorenen Seelen stecken mitten in der Sinnkrise – alles, was sie zuletzt beschworen und hochgekocht haben, scheint sich nun nicht zu bekräftigen. Man hat eine Realität konstruiert, die sich nun als Lebenslüge offenbart. Das schmerzt diesen Leuten, denn nun müssten sie im Grunde ins Stadium der Scham übergehen – das tut weh, da scheut man, da übt man sich lieber in Attacke, obwohl Rückzug sinnvoller wäre. Deutschland erlebt gerade die Reaktanz der Eskalationsagenten des Ukrainekrieges – die dürften schon sehr genau wissen, dass sie auf das falsche Pferd gesetzt haben. Aber das zuzugeben? Niemals! Diese Trotzreaktion: Sie ist eigentlich ein Schrei nach Liebe.
Freundlich die Grenzen aufzeigen
Denn eigentlich sehnt sich der Kriegsschwurbler ja nach Verständnis, nach jemanden, der ihn fest in den Arm nimmt und ihm ins Ohr flüstert: Schwamm drüber, wir vergessen alles. War ja nicht so schlimm! Kann doch mal vorkommen. Ein bisschen Zuneigung, ein bisschen Ausblenden – wenn der Schwurbler wüsste, dass alles nicht so hochgespielt würde, wenn er zum Umfallen bereit ist, dann würde er vielleicht ja deeskalieren und sich herauswagen aus seiner Offensivdeckung. Aber er ahnt, dass das nicht passieren wird. Also bleibt ihm keine andere Wahl: Er muss es durchziehen. Wie jener Kaiser ohne Kleider, der keine andere Option hatte als durchzuhalten, selbst dann noch, als ihm gewahr wurde, dass er nichts auf dem Leib trägt außer seiner Einbildung. Hätte er seinem Volk dargelegt, dass er naiv genug war, diesen Unsinn eines Designers zu glauben, so hätte dieses gelacht – wie es das ohnehin im Märchen von Hans Christian Andersen tat. Nur zu dem Lachen wäre noch etwas dazugekommen: Ein Vertrauensbruch – denn so einem Kaiser kann man nicht mehr über den Weg trauen. Ein Souverän aber, das verrückt genug ist, Luft als Kleiderstoff zu tolerieren, hat eine gewisse Glaubwürdigkeit behalten.
Unter Umständen sollte man also vielleicht umdenken, den Schwurblern ein wenig mehr Verständnis schenken. Seid nett zu ihnen, auch wenn sie so abgrundtief böse sind und die Hölle auf Erden erbitten. »Ihr müsst sie lieb und nett behandeln / erschreckt sie nicht – sie sind so zart!« Tucholsky empfahl seiner Leserschaft damals, die Höllenhunde zu küssen – und zwar dort, wo man sie trifft. Diese Leute brauchen eine Exit-Strategie, ein Ausstiegsprogramm. Islamisten und Neonazis konnten früher Hotlines anrufen, wenn sie aus der Spirale ausbrechen wollten. Wer spricht abends am Kummertelefon mit dem Bellizisten, der in Zweifel gerät?
Alles muss man sich freilich nicht gefallen lassen von den Irrlichtern, denen jetzt ihre Lebenslüge nach und nach deutlich wird: Wie hilfreich waren zur Corona-Zeit all die Ratgeber von journalistisch mimenden Leuten im Lande, die ihren Lesern auseinandersetzten, wie man diesen lästigen Oheim loswird, der an der FFP2-Maske zweifelt, keine Impfeuphorie zeigt und überdies auch noch mit mehr als fünf Personen in einem nicht belüfteten Raum verweilte. Man riet dem Publikum, den unlieben Verwandten auszuladen. Und falls einem das nicht gelänge, dann laut und bestimmt zu widersprechen – Argumente führten die Ratgeber damals auch an, die man ihm an den Kopf klatschen könne. Oder das, was sie für Argumente hielten. Machen Sie es auch so mit dem Schwurbler, der nicht einsehen mag, dass der Sieg der Ukraine im Krieg eine Lebenslüge war: Zeigen Sie ihm die Grenzen auf – freundlich und verständnisvoll.
Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog »ad sinistram«. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs »neulandrebellen«. Er war Kolumnist beim »Neuen Deutschland« und schrieb regelmäßig für »Makroskop«. Seit 2022 ist er Redakteur bei »Overton Magazin«. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main.
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