Die Meldungen, die einen Krieg mit Russland wahrscheinlicher machen, häufen sich dramatisch. So auch ganz aktuell: Genehmigte Merz Taurus-Lieferungen? Wie kommen wir raus aus dieser Dynamik?
Ein Kommentar von Roberto J. De Lapuente

Die russische Nachrichtenagentur meldet, dass Friedrich Merz die Verschleierung der deutschen Beteiligung an der Lieferung von Taurus-Raketen an die Ukraine angeordnet hat – Quelle sei der SVR, der russische Spionagedienst. Ob die Meldung zutreffend ist, bleibt zunächst ein Rätsel – natürlich kann das auch der Propaganda geschuldet sein. Zu denken geben sollte eine solche Meldung allerdings unbedingt: Die Westeuropäer – die Vertreter der Europäischen Union – sabotierten die Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und Russland just von dem Moment an, als sie angekündigt waren. Während sich Washington um Ausgleich bemühte, goss man von Brüssel, Berlin, Paris und London aus Öl ins Feuer.
Ein Krieg, der uns aufgezwungen wird
Vor einigen Tagen wurde via Brüssel der neueste Anschlag auf den freien Westen verübt, das heißt, die Russen sollen ihn verübt haben: Es ging um eine GPS-Störung der Maschine von Ursula von der Leyen. Im Luftraum über dem bulgarischen Plovdiv soll ihr Flugzeug orientierungslos gewesen sein. Flightradar24 meldete umgehend, dass sich eine GPS-Störung nicht belegen lasse, genau meldete Flightradar24 via X: »Das können wir aus unseren Daten ableiten. Der Flug sollte 1 Stunde und 48 Minuten dauern. Er dauerte 1 Stunde und 57 Minuten. Der Transponder des Flugzeugs meldete vom Start bis zur Landung eine gute GPS-Signalqualität.«Hat Brüssel diesen russischen Angriff auf die westeuropäische Kommissionspräsidentin nur fingiert? Der Medienbetrieb beleuchtete den Vorfall jedenfalls nicht näher, er nahm die Behauptungen unkritisch hin und wiederholte sie erst, um sie dann noch moralisch aufzuwerten – »Einordnung«, so nennt man das bekanntlich, die da lautete: Wieder ein teuflischer Angriff auf das gute alte Westeuropa.
Ja, man muss Bedenken haben dieser Tage. Es sieht so aus, als würde uns der Krieg nicht auf die Füße fallen, sondern aufgezwungen – und das nicht von Russland, sondern von den politischen Chargen des westeuropäischen Bündnisses – der Europäischen Union, einer Friedensnobelpreisträgerin, um das nochmals zu wiederholen.
Einige unken seit geraumer Zeit, dass die Ausrufung des Spannungsfalles bald geschehen könne. Damit wäre eine verbindliche Wehrpflicht so gut wie sicher zurück – und eine Reihe von Notverordnungen könnten greifen, Grundrechte ausgehebelt werden, ebenso das Arbeitsrecht. Industrieunternehmen könnten so dazu gezwungen werden, Rüstungsgüter zu produzieren – es wird ihr Schaden freilich nicht sein, sie werden fürstlich entlohnt werden, Smedley Butler hat schon in den Dreißigerjahren beschrieben, was für eine grandiose Chancen der Krieg für die Wirtschaft bereithält. Der Steuerzahler wird selbstverständlich dafür aufkommen – auch dann noch, wenn der Krieg längst vorüber ist und die Unternehmen ihre Schulden weiterhin eintreiben wollen.
Gedemütigte Westeuropäer
Es scheint so, als könne man die Dynamiken, die bereits im Gange sind, ja, die regelrecht angeworfen wurden, nicht einfach wieder abbremsen. Auch, weil damit ein epochaler Gesichtsverlust für die politische Klasse Westeuropas verbunden wäre. Diese Klasse ist schwer gezeichnet, hat schallende Ohrfeigen verpasst bekommen. Der Jacobin spricht von einem »Sommer der Demütigung«: Die vergangenen Monate würden unter dieser Bezeichnung in die europäische Geschichte eingehen. Die verantwortlichen Politiker der EU wurden tatsächlich in ihrem Stolz verletzt – sie haben sich einen letalen Zollkompromiss aufschwatzen lassen, wobei das Wort »Kompromiss« etwas suggeriert, was nicht zutrifft: Man einigte sich nicht, wie der Begriff vermuten ließe, man ließ sich überrumpeln und trat die nationalen Interessen der westeuropäischen Vaterländer mit den Füßen. Das Bild ist schief, weil das klingt, als habe Washington Brüssel überrumpelt – nein, Brüssel war ein williges Opfer, es war sozusagen Teil der Überrumpelungsaktion: Zusammen überrumpelte man die westeuropäischen Bürger, deren Zukunftsaussichten sich nun grandios verschlechtert hatten.
Zudem finanziert man nun diesen Krieg, den man dreieinhalb Jahre lang immer wieder als einen Kampf auf Leben und Tod ins kollektive Gedächtnis gehämmert hat: Whatever it takes! Aus diesem Versprechen käme man zwar raus, wenn man wollte, denn es gibt immer Alternativen – aber nicht, ohne dass diejenigen ihr Gesicht verlieren, die bis jetzt getrommelt haben für eine neuen European Way of War, wie Claudia Major und Christian Mölling ihn forderten. Zu Verhandlungen wird man überdies auch nicht mehr eingeladen, wenngleich das aber eigenes Verschulden ist, denn von diplomatischen Anwandlungen wollte man in den letzten Jahren auf der westlichen Seite dieses Kontinentes nichts wissen.
Kurz und gut, man muss befürchten, dass diese Forcierung, die auch dann spürbar ist, wenn die Meldung der »russischen DPA«, wonach Merz die Taurus-Lieferung verschleiert genehmigen möchte, nicht stimmt, zu einer Situation führt, in der die politischen Eliten in Westeuropa einem Waffengang nur deshalb zustimmen, um die eigene Macht sicherzustellen und den Gesichtsverlust zu vereiteln. Der letzte Rest unserer viel zu kleinen Friedensbewegung sollte sich dessen bewusst sein und nun Exit-Angebote an die Verantwortlichen machen. Die zentrale Frage lautet nämlich: Wie können die Bevölkerungen Westeuropas ihren mittlerweile despotisch regierenden Volksvertretungen (ein Problem, das später noch geregelt werden muss, Stichwort: Redemokratisierung) klarmachen, dass diese ihr Gesicht wahren können, wenn sie rechtzeitig dem todbringenden Kurs abschwören? Es gibt nur diese eine versöhnliche Option, jedenfalls in diesem Westeuropa, in dem Widerspruch schnell juristisch sanktioniert wird – oder aber, die Bevölkerungen der EU stehen auf und sorgen für eklatante Staatskrisen. Welche Option erscheint realistischer?
Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog »ad sinistram«. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs »neulandrebellen«. Er war Kolumnist beim »Neuen Deutschland« und schrieb regelmäßig für »Makroskop«. Seit 2022 ist er Redakteur bei »Overton Magazin«. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main.
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