Landtagswahlen in Brandenburg: Thema verfehlt – Setzen!

  • POLITIK
  • Oktober 10, 2024
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Ungewohntes Bild aus Brandenburg: mit Dietmar Woidke steht zum ersten Mal seit Langen wieder ein Sozialdemokrat als Sieger im Rampenlicht.

Ein Kommentar von Hermann Ploppa.

Quelle: Shutterstock

Das war ein Schock für die Gäste der AfD-Wahlparty am Sonntagabend. Da rechneten die Blauen ganz sicher damit, als Erste durch die Zielmarke zu spurten. Die ersten Zahlen bei der Hochrechnung zur Landtagswahl in Brandenburg 2024 zeigten zwar die AfD knapp an der 30-Prozent-Marke. Doch ausgerechnet die serienmäßig an schwere Wahlschlappen gewohnte SPD zog locker an der AfD vorbei und gewann sogar beinahe fünf Prozent hinzu. Im Laufe des spannenden Wahlabends, den zum ersten Mal mit Infrarot auch ein alternatives Medium live und in Farbe vor Ort beobachtete und kommentierte, sah es sogar einmal so aus, als könnte der amtierende SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke mit der bisherigen Koalition locker weiter regieren <1>. Denn bislang wurde das kleine Bundesland im märkischen Sand von einer Koalition aus SPD, CDU und Grünen regiert. Zum Schluss des rasanten Abends ging diese Rechnung dann aber doch nicht auf. Denn die Grünen flogen mit nur noch 4,2 Prozent der Wählerstimmen und einem Verlust von 6,7 Prozent aus dem Landtag von Brandenburg <2>. Die Grünen scheiterten genauso an der Fünf-Prozent-Hürde wie auch die Freien Wähler und die SED-Nachfolgepartei Die Linke, mit erbärmlichen drei Prozent und einem krachenden Verlust von 7,7 Prozent. Verdientermaßen, muss man sagen. Denn die Linkspartei hatte als Koalitionspartner der SPD in früheren Landesregierungen die Interessen der Arbeiter und der Armen massiv vernachlässigt. Die CDU ist als aktueller Koalitionspartner von SPD und Grünen ziemlich unauffällig und ist nun von ihrer Wählerklientel vergessen worden. Die CDU verlor 3,5 Prozent und kam auf karge 12,1 Prozent. Das Bündnis Sahra Wagenknecht konnte vom Nektar der versterbenden Linkspartei saugen und kam aus dem Stand auf satte 13,5 Prozent.

Eine neue Regierungskoalition zu bilden ist nun schwierig wie nie zuvor in Brandenburg. Der Landtag von Brandenburg hat 88 Sitze zu vergeben. Aber eine Kombination aus SPD und CDU hätte keine Mehrheit im neuen Landtag. Dann schon eher, wenn zu den Roten und den Schwarzen das neue Bündnis Sahra Wagenknecht hinzukäme. Es würde auch noch knapp zur Mehrheit von 46 Sitzen reichen, wenn die SPD allein nur mit den Wagenknechten koalieren würde. Ob das BSW sofort in die Regierungsverantwortung einsteigen könnte, ist mehr als fraglich. Das BSW verfügt noch über extrem wenig Mitglieder, was gewollt ist. Zudem könnte eine Regierungsverantwortung dem BSW die Unschuld rauben und eine rasche Entzauberung verursachen, mit nachfolgendem raschen Niedergang.

Doch zunächst einmal jubelte Bundeskanzler Scholz – „das ist doch super!“ – über den unverhofften Schluck aus der Pulle für die auf Masochismus geeichte SPD. Es war ein Glück für die Sozialdemokraten, dass Dietmar Woidke seinen Kanzler-Freund höflich aber bestimmt aus dem Brandenburg-Wahlkampf herausgehalten hat. Einen Kanzler-Malus konnten die märkischen Parteifreunde nun am allerwenigsten gebrauchen.

Der Woidke hat seinen Sieg fleißig und schlau zugleich selber erwirtschaftet. Er hat sich offenkundig Helmut Schmidt zum Vorbild genommen. Helmut Schmidt eilte als Bundeskanzler in den 1970er Jahren von einer SPD-Wahlschlappe zur anderen. Jedoch die Bundestagswahlen konnte Schmidt immer gewinnen. Denn die Bundestagswahlkämpfe bestritt die SPD damals ausschließlich mit dem Konterfei des entschlossen Zähne fletschenden Hanseaten und der Deutschland-Fahne im Hintergrund. Dazu das Motto „Modell Deutschland“. Damit schnappte Schmidt dem konservativen Helmut Kohl die konservativen Wähler weg.

Dietmar Woidke hat in diesem Wahlkampf immer gesagt: wenn die SPD nicht wieder stärkste Partei in Brandenburg wird, dann stehe ich als Ministerpräsident nicht mehr zur Verfügung! Da die Mehrheit der Brandenburger den Woidke mag und mit seiner Leistung zufrieden ist, verfing diese sanfte Erpressung. Es ist geradezu eine Stärke, dass Dietmar Woidke eher farblos und frei von jedem Charisma ist. Woidke ist nicht die Rampensau, die die Festzelte zum Toben bringt. In unserer Zeit der großmäuligen Politiker, die sich von einem gebrochenen Versprechen zum nächsten erbrochenen Versprecher mogeln, empfinden die Menschen draußen im Lande den Woidke mit seiner trockenen Art geradezu als Labsal. Agraringenieur Woidke hat sozusagen in den letzten Jahren „geliefert“. Brandenburg steht nämlich im Vergleich mit der bundesdeutschen Gesamt-Misere geradezu glänzend da. Ein paar textilfreie Zahlen zum Anfassen: das kleine Land Brandenburg erwirtschaftete im Jahre 2023 ein Bruttoinlandsprodukt von 97,5 Milliarden Euro. Das macht einen Anstieg gegenüber dem Vorjahr von immerhin mehr als zwei Prozent – während das BIP in der gesamten Bundesrepublik munter vor sich hin stagnierte. Die Verarbeitende Industrie ist im selben Zeitraum um 17,5 Prozent angewachsen. Die Arbeitslosigkeit ist seit 2019 im Bundesdurchschnitt bis heute um fünfzehn Prozent angewachsen. In Brandenburg vergrößerte sich die Schar der Arbeitslosen lediglich um 2,7 Prozent <3>.

Geschafft hat die rot-schwarz-grüne Koalition das Jobwunder allerdings teilweise mit nicht ganz sauberen Methoden. Nehmen wir das Beispiel der „Giga-Factory“ der Elektro-Automarke Tesla in Grünheide. Das Land Brandenburg schoss erst einmal selber mächtig Geld in Elon Musks neuestes Projekt. Dann begannen die Rodungsarbeiten, obwohl noch gar keine Baugenehmigung vorlag. Es möge sich mal jeder vorstellen, was passieren würde, wenn wir einfachen Leute auch nur einen neuen Erker an unser kleines Häuschen anbauen würden ohne Baugenehmigung. Das müssten wir wieder abreißen. Aber im Neofeudalismus unserer Tage kann das göttliche Wesen mit Namen „Investor“ einfach alles machen. Immerhin hat Fürst Elon den Brandenburgern perspektivisch 12.000 Arbeitsplätze versprochen. Damit konnte Woidke punkten.

Man beachte: die spektakulären neuen Investitionen konzentrieren sich zumeist im Brandenburger Ring um die boomende neue Weltstadt Berlin. Damit kommen wir neben der Person von Dietmar Woidke zum zweiten Faktor des Woidke-Wumms. Die Demographie Brandenburgs verändert sich gerade massiv. Da gibt es jenen Siedlungs-Ring um Berlin herum, den man auch als „Speck-Gürtel“ bezeichnet. Berliner mit Bedürfnis nach gesunder Luft zieht es massiv ins Berliner Umland. Gemeinden wie Werder verzeichnen starke Zuwächse an Bewohnern. Und es handelt sich hier um wohl situierte Mitbürger. Entsprechend gut ist die Haushaltslage der Gemeinden. Wer sollte hier mit der Landesregierung hadern?

Demgegenüber gibt es den Flächenstaat Brandenburg. Die Städte in der Fläche verzeichnen immer noch, auch nach fünfunddreißig Jahren Wende, Abwanderungsbewegungen. DDR-Ikonen wie Eisenhüttenstadt haben bis heute etwa ein Drittel ihrer Bewohnerschaft verloren. In einigen dieser Städte wie Frankfurt an der Oder ist der Strukturwandel von der Industriestadt zum Dienstleistungszentrum gelungen. An anderen Orten leider nicht. Wenn man sich die Karte Brandenburg in den Farben der jeweils stärkten Parteien anschaut, so ist die große Fläche einheitlich blau gefärbt. Nur eben der „Speck-Gürtel“ um Berlin nicht. Der ist ebenso rot wie auch gewisse Enklaven in der Fläche, wie zum Beispiel die Stadt Cottbus. Die SPD hatte schon bei den Kommunalwahlen in diesem Jahr in Städten wie Cottbus zulegen können. Die Sozialdemokraten haben offenkundig von der Konkursmasse der so genannten „Links“ Partei profitieren können. Insofern war der jetzige Sieg der SPD nicht wirklich überraschend. Das SPD-Milieu ist noch einigermaßen intakt in Brandenburg.

Dieser Wahlkampf hatte schon etwas von Schattenboxen. Nehmen wir das Thema Ausländer und Migration. Laut Umfragen soll das Thema Migration die Brandenburger am meisten interessiert haben. Danach kamen Gesundheit und Bildung. Und drittens die Verkehrspolitik. Nun muss man wissen, dass in der gesamten Bundesrepublik tatsächlich dreizehn Millionen Menschen ohne deutschen Pass leben, das macht rund fünfzehn Prozent aller in Deutschland lebenden Menschen. Das sind natürlich in der Mehrzahl nicht Flüchtlinge, sondern EU-Bürger, die bei uns arbeiten. In Brandenburg beträgt der Ausländeranteil aber lediglich 7,5 Prozent, also nur die Hälfte des Bundesdurchschnitts. Die Umfragen wurden kurz nach den schrecklichen Messerattacken durchgeführt. Die Themen Bildung und Gesundheit haben da schon mehr Dringlichkeit. Und auch das Thema Verkehr.

Aber auf die wirklich drängenden Fragen wurde in diesem Wahlkampf gar nicht erst eingegangen. Von niemandem. Weder von der AfD noch von den Wagenknechten. Von den Ampelrittern und der CDU ganz zu schweigen. Wir stehen nämlich kurz vor dem Dritten Weltkrieg. Wie steht Brandenburg als östlichstes Bundesland in dieser Frage da? Gibt es in Brandenburg Kriegsvorbereitungen? Schweigen im Walde. Weiter: Die Fläche verödet, Dienstleistungen werden auf dem Land abgebaut. Was gedenken die Parteien dagegen zu tun? Schweigen im Flämingswald. Das öffentliche Vermögen, das dem Volk gehört, wird mutwillig verlottert und kommt dann preisgünstig unter den Hammer. Genossenschaftsbanken, öffentlich-rechtliche Gesundheits- und Rentenkassen, öffentlich-rechtliche Sparkassen: was unternehmen die Parteien, um den Zusammenbruch dieser Solidarstrukturen aufzuhalten? Was wollen die Politiker unternehmen, um das Volksvermögen zu mehren? Was ist mit der Vermögensbildung? Ich sehe allerorten nur Vermögens-Abbau. Was wir von der AfD zu erwarten haben, ist sowie so klar: als eine Hardcore-Version der FDP will die AfD privatisieren bis der Arzt kommt. Allen Lippenbekenntnissen über den Schutz der Familie und des Mittelstandes zum Trotz <4>.

Also: trotz oder gerade wegen des trockenen Dietmar Woidkes bleibt auch das Land Brandenburg offen wie ein Scheunentor für „Internationale Investoren“ vom Schlage Blackrock, Blackstone, Vanguard oder wie sei alle heißen mögen.

Die Politiker haben versagt. Thema verfehlt. Setzen! Sechs! 

<1> https://www.youtube.com/watch?v=PMTPlUaM84Q

<2> Alle Zahlen aus dieser Quelle: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-09/landtagswahl-brandenburg-2024-live

<3> https://www.statistik-berlin-brandenburg.de/p-i-4-j

<4> https://afd-brandenburg.de/regierungsprogramm-landtagswahl-2024-wahlprogramm/

Dieser Artikel erschien erstmals bei apolut.

Hermann Ploppa, Jahrgang 1952, ist Politologe und Publizist. Er hat zahlreiche Artikel über die Eliten der USA veröffentlicht, unter anderem über den einflussreichen Council on Foreign Relations. 2008 veröffentlichte er „Hitlers Amerikanische Lehrer“, in dem er bislang nicht beachtete Einflüsse US-amerikanischer Stiftungen und Autoren auf den Nationalsozialismus offenlegte und öffnete bereits einem großen Publikum die Augen über die tatsächlichen Hintermänner des Diktators. Sein Bestseller „Die Macher hinter den Kulissen – Wie transatlantische Netzwerke heimlich die Demokratie unterwandern“ sorgt nach wie vor für angeregte öffentliche Diskussionen. Seine neueste Veröffentlichung „Der Griff nach Eurasien“ beschäftigt sich mit den  Hintergründen des ewigen Krieges gegen Russland.

Ploppa widmet sich den tiefen Strukturen und komplexen Zusammenhängen in Bezug auf das eurasische Verhältnis. Wer hat Interesse, dass Europa und Asien nicht weiter zusammenwachsen? Was sind die Bestrebungen des US-Imperiums, wenn China derzeit zur neuen Weltmacht aufsteigt? Welche Mittel und Wege werden gefunden, um der Herzland-Theorie von Mackinder folgend, Europa und Asien ewig zu spalten? Hermann Ploppa ist bekannt für seine akribische Recherche und pointierte Interpretation historischer und politischer Ereignisse. Er bringt zusammen, was in der deutschen Medienlandschaft, vor allem auch im Hinblick auf die eigene Historie, komplett verdrängt wurde.

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.

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