Streitbare Gedanken über die unvermeidbare Ordnung des postkapitalistischen Zeitalters
Ein Beitrag von Ruslan Yavorsky

1. Das Ende der Gewissheit
Der Kapitalismus hat seine historische Rolle erfüllt: Er hat die Welt industrialisiert, die Wissenschaft beschleunigt und die Menschheit in ein globales Netz eingebunden. Doch seine innere Logik – endloses Wachstum, Konkurrenz, Ausbeutung – hat sich gegen ihn selbst gewandt. Heute leben wir im Zustand eines systemischen Versagens: Klimakatastrophe, Vertrauenskrise, soziale Ungleichheit, politischer Stillstand.
In der hegelschen Dialektik ist dies der Moment der Aufhebung – der Übergang. Der Kapitalismus als These hat seine Antithese hervorgebracht – und verlangt nun nach einer Synthese. Wir treten in eine Phase der Ungewissheit ein, in der die alte Ordnung zerbricht und die neue sich erst formiert. Genau hier entsteht der Kooperative Neopolis – eine Form der Zukunft.
2. Krise und Emergenz
Gewissheiten des 20. Jahrhunderts: ideologische Konfrontation, Humankapital, sozialer Vertrag.
Ungewissheiten der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts: Krise der Unipolarität, Diktatur des Globalismus, KI gegen menschliche Arbeit, Privatisierung des Staates.
Emergenz der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts: Aus dem Chaos entsteht eine neue Logik – ein vernetztes, kooperatives Ordnungsprinzip.
Der Kooperative Neopolis ist keine Utopie, sondern eine logische Synthese. Er vereint das Beste des Kapitalismus (Innovation, Eigeninitiative), beseitigt aber seine zerstörerischen Impulse (Gier, Entfremdung, Abstiegsangst).
3. Warum er unvermeidlich ist
Ökologie: Der Planet hält dem Diktat des endlosen Wachstums nicht stand.
Technologie: KI und Automatisierung entwerten Arbeit als Einkommensquelle.
Soziale Spaltung: Wachsende Ungleichheit zerstört das Gerechtigkeitsempfinden und akkumuliert revolutionäres Potenzial.
Politik: Zentralisierte Systeme versagen angesichts vernetzter Krisen.
Diese Herausforderungen lassen sich nicht durch eine „bessere Version“ des Kapitalismus lösen. Sie verlangen ein neues System.
4. Wie der Neopolis aussieht
Wirtschaft: Plattformgenossenschaften, Grundeinkommen, Gemeingüterverwaltung.
Politik: Digitale Demokratie, Dezentralisierung, Netzwerke autonomer Regionen ohne globalen Zentrum.
Soziales Leben: Status durch Beitrag, nicht durch Kapital.
Globale Architektur: Kooperation statt Konkurrenz, Resilienz statt Expansion.
Der Neopolis ist ein Netz autonomer, aber verbundener Knotenpunkte – Labore der Zukunft, in denen Macht, Ressourcen und Werte neu verteilt werden.
5. Was den Übergang ermöglicht
Recht: Schutz der Gemeingüter, Regulierung von KI und digitalen Monopolen.
Bildung: Vorbereitung auf ein Leben in Verantwortung und Zusammenarbeit.
Kultur: Abschied vom Erfolgsfetisch, Neubewertung von Genügsamkeit und Gegenseitigkeit.
Institutionelle Experimente: Urbane und regionale „Pilot-Polis“ als Versuchsräume des Neuen.
6. Wann?
– 2020er Jahre: Phase des Chaos und der Krisen, erste Keime des Neuen.
– 2030–2040er: Stabile Modelle des Neopolis, Übergang zur Synthese.
– ab 2050: Etablierung einer neuen Weltordnung.
Schlussfolgerung
Der Kooperative Neopolis ist keine Wahl – er ist eine Notwendigkeit. Er ist kein Ergebnis einer Ideologie, sondern eine Konsequenz historischer Logik. Wir stehen am Abgrund: Entweder eine neue Ordnung – oder Selbstzerstörung.
Dieses Manifest ist kein Programm, sondern ein Vektor. Keine Landkarte, sondern ein Kompass. Kein Dogma, sondern eine Einladung zum Handeln. Die Zukunft hat bereits begonnen. Sie wird kooperativ sein – oder gar nicht.
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Ruslan Yavorsky, geboren 1973. Diplom-Wirtschaftsingenieur und Master in Internationaler Volkswirtschaftslehre. Tätig in den Bereichen Management und Ingenieurwesen. Autor mehrerer Publikationen auf Russisch und Deutsch. Lebt in Dresden und ist Vater von drei Kindern.
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