Am Karfreitag kamen also Rechte in Dresden zusammen, um für den Frieden einzustehen. So framt man nun das Engagement gegen den Krieg. Links? Rechts? In Fragen des Friedens und des Krieges gibt es nur richtig oder falsch.
Ein Kommentar von Roberto J. De Lapuente

Jürgen Fliege hatte im Overton Magazin zur Demo in Dresden aufgerufen. Für den Karfreitag galt es: Einsatz für den Frieden. 3.500 Menschen kamen – so die offiziellen Angaben, was Interpretationsspielräume offenlässt. Mit dabei: Diether Dehm, Ulrike Guérot, Katja Ebstein, Justus Frantz, Uwe Steimle, besagter Jürgen Fliege – und per Schalte: Dieter Hallervorden. Und da auch Querdenker zugegeben waren und Jürgen Elsässer im Vorfeld auf die Demonstration aufmerksam machte, war ohnehin vorgegeben, wie man das Ereignis framen würde: Rechte Demo in Dresden oder ähnlich.
Und so kam es dann natürlich auch. Die Tageszeitungen berichteten vom Applaus von rechts, den besonders Dieter Hallervorden erhalten haben soll. Nach dessen »Skandal«, bei der ARD-Geburtstagsgala Worte verwendet zu haben, die man unter gar keinen Umständen, nicht mal in einem ganz anderen als abwertenden Kontext sagen darf, schießt sich der organisierte Journalismus nun auf seinen Auftritt in Dresden ein. Bei der Frankfurter Allgemeinen las man außerdem, dass in Dresden eine »Kurzschlussverschwörung vom Feinsten« stattgefunden habe. Als ob das Engagement, das sich gegen eine Eskalation des Krieges in der Ukraine stellt, eben mal eine spontane Schnapsidee gewesen sei.
Den pseudolinken Wahn von einst nennt man heute Qualitätsjournalismus
Es kann ja sein, dass bei dieser Veranstaltung auch Menschen waren, die im Februar die AfD in den Bundestag gewählt haben – im Duktus des Mainstreams sind das Rechte. So gesehen waren also ganz sicher Rechte zugegen. Mit Elsässer muss man nun auch nicht immer konform gehen – vorsichtig ausgedrückt. Kann alles sein, gar keine Frage. Aber warum soll man sich als friedliebender Mensch lieber daheim verkriechen, als mit anderen und andersdenkenden Menschen für die Beibehaltung des Friedens in Deutschland und Europa einzustehen? Dass der Frieden keine Haltungsnoten kennt, darauf kommen wir gleich noch zu sprechen.
Vorab aber: Wann waren in diesem Land Demonstrationen schon mal porentief rein, dem Sinne nach, dass nicht auch Leute mit von der Partie waren, deren politische Vorstellungen und Einstellungen man – gelinde gesagt – vielleicht fragwürdig hielt? Als viele Hunderttausend in Deutschland gegen das Freihandelsabkommen TTIP aufstanden, waren Menschen aus allen politischen Milieus auf der Straße. Einige Medien kritisierten die sogenannten Globalisierungsgegner und warfen auf diese Weise rechtsextreme Nationalisten, linke Neoliberalismus-Kritiker und Menschen aus der besorgten bürgerlichen Mitte in einen Topf. Das war jedoch die Ausnahme – unrühmlich damals auch: Eine einstige linke Koryphäe aus einem erlesenen Frankfurter Stadtteil, die hinter den Demonstrationen gegen TTIP antisemitische Impulse vermutete und so die Demonstranten »nazifizierte«. Dieser Unsinn war vor zehn Jahren noch das Betätigungsfeld einer Randnische – heute firmiert dieser pseudolinke Wahn allerdings als Qualitätsjournalismus im Lande.
Ich persönlich denke an meine streikenden Kollegen von einst zurück – damals war ich noch in der Ausbildung. Die IG Metall hatte zum Streik aufgerufen und die Kollegen standen vor dem Werkstor, man hatte sie ausgeschlossen. Wir Auszubildende durften nicht streiken. Doch zur Mittagspause gingen wir hinaus vor die Tore, ebenso unsere Ausbilder. Wir solidarisierten uns mit diesen Männern und Frauen, obwohl da viele darunter waren, deren politische Ansichten einem jungen Menschen in den Neunzigern suspekt sein mussten. Mancher sprach Franz Schönhuber das Wort und moserte über die »Scheißtürken«. Mit diesen »Scheißtürken« streikten sie jetzt aber zusammen – und wir zeigten unsere Solidarität. Wir hätten ja auch sagen können, dass man mit Rechten nicht streikt. Gefreut hätte es die Arbeitgeber auf alle Fälle. Was die Frage aufwerfen würde, wem es nützt, wenn man mit Rechten nicht streikt oder eben demonstriert?
Wenn der AfD-Mann Feuerschutz gibt
Bei Didier Eribon findet sich eine Analyse, die meinen Erfahrungen vor dem Werkstor irgendwann Mitte der Neunziger gleichkommt. In seiner »Rückkehr nach Reims« schreibt er von der nordfranzösischen Arbeiterschaft, die in den Siebzigern und Achtzigern sehr ausländerfeindlich gewesen sei. Sie habe die Kollegen aus Nordafrika als Gefahr betrachtet und sich abgegrenzt zu jenen fremden Malochern. Aber sobald die Gewerkschaften zum Streik aufriefen, gingen Franzosen und die Arbeiter aus den ehemaligen Kolonien gemeinsam gegen die Ausbeuter vor. Man überwand die bald gegenseitig erbrachte Abneigung und fokussierte sich auf ein gemeinsames Ziel. Den Kommunisten und den Sozialisten gelang dieser Spagat gleichermaßen, ihre Wählerschaft rekrutierte sich aus den arbeitenden Klassen, die Herkunft spielte dabei eine untergeordnete Rolle.
Die soziale Frage überwand die Abneigung nie vollkommen, aber doch so sehr, dass man gemeinsam agieren konnte und ein Faktor gegen die Mächtigen war. Das habe sich aber verändert, erklärte Eribon in seinem Werk aus dem Jahr 2014. Die neue Linke wolle keine Volksbewegung sein, sondern separiere die Gruppen ideologisch und verliere so die arbeitende Bevölkerung.
Wem nützt es also, wenn man aufgrund falscher politischer Haltungen mancher »Kampfesgenossen« gar nicht erst mitmacht? Das Framing der Dresdner Demo als rechts, weil da einige dabei gewesen sein dürften, auf die dieses Label vielleicht – vielleicht auch nicht – zutrifft, ist doch nicht dem Gebot journalistischer Wahrheit geschuldet. Es will Spaltung bezwecken und stigmatisieren. Als ob man es sich im Kampf um bestimmte politische Fragen – wie einst Kämpfe um Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen, gegen Freihandelsabkommen oder eben jetzt in Sachen Frieden –, leisten könnte, Mitstreiter nur deshalb zu verprellen, weil einem deren Weltbild nicht gefällt. Nach einem Krieg fragt keiner mehr nach rechts oder links, wenn es darum geht, Verschüttete zu bergen, Häuser und Straßen zu errichten oder eine Zukunft ins Auge zu fassen. Dass man das heute allerdings als ganz normal erachtet, ist der Saturiertheit geschuldet, die nur der Frieden mit sich bringt – wenn der nicht mehr ist, muss man sich beim Kriegsgefecht auf den Nebenmann verlassen, zynisch gesagt: Einer, der einem Feuerschutz gibt und AfD wählt, ist einem dann sicher lieber, als ein Linker, der kein Gewehr bedienen kann oder will.
Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog ad sinistram. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. Er war Kolumnist beim Neuen Deutschland und schrieb regelmäßig für Makroskop. Seit 2022 ist er Redakteur bei Overton Magazin. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main. Im März 2018 erschien sein Buch „Rechts gewinnt, weil links versagt“.
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