Bayern mag nicht mehr – und will spätestens 2030 aus dem Länderfinanzausgleich aussteigen. Dieses Szenario gefährdet Deutschland – und die rauschhafte Berliner Blase – mehr, als jener Herr Putin aus Moskau. Eine Glosse.
Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente

Da ist er wieder: der Länderfinanzausgleich. Lange hat man nichts mehr von ihm gehört – der Notfallkapitalismus zwischen Pandemie und Krieg hat das Thema irgendwie verschleppt. Markus Söder packt es nun wieder auf den Tisch. Wie immer, wenn das Thema aufs Tapet kam, ist es auch jetzt wieder der Süden des Landes, der darüber sprechen will. Denn es sind die Geberländer, die ihn für ungerecht halten. Zumal jetzt, wo die Geldtröge leerer werden – auch in Bayern, wo die ansässige Automobilindustrie ihrem Detroit ins Auge blickt. Vier Geber finden sich in der Liste der finanzausgleichenden Bundesländer: Baden-Württemberg, Hessen, Bayern und ein Nordlicht – die Hansestadt Hamburg. Letztere ist – als kleiner Stadtstaat – das Geberland mit der geringsten Einzahlungsquote. Der bayerische Freistaat ist hingegen mit Abstand der potenteste Finanzier – fast 10 Milliarden Euro wanderten im letzten Jahr in den Topf.
Der Rest der Republik ist vom Stamme Nimm. Am meisten die Bundeshauptstadt Berlin. 2024 gingen rund 4 Milliarden Euro dorthin. Die Pro-Kopf-Transferleistung 2024 weist damit aus, dass pro bayerischen Bürger 737 Euro in den Länderfinanzausgleich flossen, während jeder Berliner mit 1.069 Euro unterstützt wurde. Der Freistaat Bayern wurde bis 1986 ebenfalls aus diesem Topf subventioniert. Danach stieg man vom Nehmer- zum kommenden Geberland auf. 1987 und 1988 wurde der Finanzausgleich für Bayern zum Nullsummenspiel. Ab 1989 glich man die anderen Bundesländer aus – mit einer einjährigen Unterbrechung 1992, als man nochmal Transferleistungen aus diesem Topf bezog. 1995 musste München etwa 1,3 Milliarden Euro für die Nehmer bereitstellen. Bereits im Jahr 2003 war man erstmals der größte Geldgeber. Damit soll aber Schluss sein – spätestens 2030. Gnua is gnua! Auszoiht is! Markus Söder stellt das Ausscheiden nun in Aussicht.
Putin soll scharf auf Berlin sein?
Die Nachrichtenmeldungen, die den Vorstoß aus Süddeutschland behandelten, vernahm man vor einigen Tagen. Aber ein heißes Thema wurde es nicht. Sicherlich auch, weil der Friedensplan die Berichterstattung überlagert – schließlich sei es doch so, dass Putin wegen Trump bekomme, was er wolle. Das ist doch aller Aufregung wert und gilt im kriegszentrierten Europa und seinem bundesdeutschen Kreiswehrersatzamt als Thema der Stunde. Dabei hat Münchens Ausbruchsvision viel deutlicher das Zeug dazu, dieses Land zu zerreißen, als ein russischer Präsident, den man als Abziehbild des Teufels positioniert und von dem man nicht so sicher weiß, ob er überhaupt ein so starkes Interesse an Berlin haben kann: Was will er denn mit einer Bundeshauptstadt, die so strukturschwach und damit gar nicht überlebensfähig ist, wenn die Geberländer nicht ordentlich zubuttern? Dea woi Berlin no ned moi gschenkt – Söder auch nicht.
Dennoch fielen die Reaktionen auf Söders Aussagen eher zaghaft aus. Vielleicht auch, weil es bis 2030 noch lange hin ist – und die, die heute in Berlin die Party auf Staatskosten feiern, sind dann vielleicht längst schon in irgendeinem Aufsichtsrat und benötigen die Zuwendungen aus dem finanzstarken Süden gar nicht mehr. Sollen sich doch die Karrieristen und Opportunisten darum kümmern, die den heutigen dereinst nachfolgen werden. Soll sich doch Emilia Fester damit befassen, wenn sie die goldene Generation der Grünen in Sündenpfuhl nochmal vertreten darf …
Berlin ist also ein teures Subventionsprojekt. Am Stadtbild der Metropole sieht man von den Geldern, die Berlin am Leben halten, aber reichlich wenig – aber man muss es anders sehen: Gäbe es jene Gelder nicht, hätte Berlin gar kein Stadtbild mehr, sondern wäre eine Art von städtischem Kartoffelacker, eine Art von postapokalyptischer Brache läge über dem Bundeshauptslum. Lange würde es vermutlich nicht dauern, bis für die Parlamentarier die große Sehnsucht nach der Bonner Republik und der rheinischen Aufgeräumtheit aufkäme. Und bis der erste in Berlin riefe: Haltet den Dieb!
Die Kosten für den Bundestag werden freilich nicht aus den Mitteln des Länderfinanzausgleichs gestemmt. Aber wenn Berlin um den Bundestag und die Ministerien herum verkommt, mehr noch als jetzt, dann könnte man den Bayxit aus dem Länderfinanzausgleich durchaus als Frontalangriff auf die demokratischen Strukturen der Bundesrepublik interpretieren.
Ein Westeuropa überschaubarer Vaterländer
Ein findiger Kopf könnte den Austritt aus den Länderfinanzausgleich als versuchten Austritt des Freistaates aus der Bundesrepublik überhaupt deuten – ein Verfassungsbruch wäre er in jedem Falle. Der Bund intervenierte in einem solchen Falle vermutlich sofort und verhängte Sanktionen – man könnte ja eines der Pakete aufwärmen, die man jetzt Moskau in den letzten Jahren schnürte. Darin ist man mittlerweile wirklich meisterhaft geübt. Und wer weiß, vielleicht muss mancher Bayer, der fern der Heimat lebt, auch mit Ausgrenzungen rechnen? Die können sich ja dann beim Aggressor aus München bedanken. Dankschee, Maggus! Verfassungsrechtlich umstritten ist indes, ob der Bundeszwang auch militärische Optionen offenlässt. Wobei anzumerken ist, dass das Grundgesetz seit Einführung des notfallkapitalistischen Regimes ab 2020 nie von großer Tragweite war. Zum großen Glück hat sich die Republik aktuell dazu entschlossen, Milliardenbeträge in die Kriegstüchtigkeit zu stecken. Wir werden es noch brauchen.
Zu was sich die bayerische Hartnäckigkeit in dieser Frage auswachsen könnte, bleibt freilich fraglich. Aber die Auflösung der Finanzsolidarität zwischen den Bundesländern stellt einen Angriff auf die Bundesrepublik dar, den man heute ganz offenbar nicht sieht, weil man an anderer Stelle kapitale Angriffspunkte wittert. Zynischer fomuliert: Söder tut zur Stunde etwas, was Putin noch nicht getan hat – Deutschland offen drohen.
Verwunderlich ist es indes nicht, dass Söder diesen Angriff mit einer gewissen Unversöhnlichkeit in Aussicht stellt. Europäische Nationen haben seit geraumer Zeit mit einer um sich greifenden Tribalisierung zu kämpfen, die begünstigt wird durch die nationalen Zerwürfnisse und Spaltungen – bedingt durch wirtschaftliche Schieflagen und Spardiktate, aber auch durch eine Gesellschaftspolitik, die radikal mit Tradition und Brauchtum brechen will. Warum sollte diese Zerklüftung nicht auch in Deutschland stattfinden, wo man doch jetzt auch hierzulande jene negativen Entwicklungen spürt, mit denen andere Länder schon länger Bekanntschaft geschlossen haben. Überhaupt ist ja auch fraglich, warum ein Bundesland für eine Hauptstadt aufkommen soll, in dem die größte Innovation der kurz gestutzte Problempony einiger Aktivisten ist, die sich das Leben im ländlichen Bayern noch nicht mal vorstellen können und die alles dransetzen, das Brauchtum – in Bayern durchaus noch gelebt – zu zerstören? Des muass ma doch moi frong!
Auch an dieser bayerischen Lust am potenziellen Zerwürfnis mit Berlin zeigt sich, dass der europäische Geist längst verflogen ist. Selbst in den Nationalstaaten grenzt man sich ab; Zusammenhalt wird zwar in immer gleichlautender, gleichanzuschauender Choreographie gefordert, aber diese gilt nur, um lästige Bürger kleinzuhalten – der Überbau kennt hingegen keine Solidaritätsgedanken. Er führt realpolitische Rückzugsgefechte und wittert hier und da in Separationsideen einen Ausweg. Das Europa der Vaterländer wurde in der kontinentalen Megamaschine aufgelöst – nur um am Ende einen Kontinent zu generieren, in dem selbst innerhalb der Vaterländer Skepsis und Zweifel vorherrschen. Europa fürchtet sich vor sich selbst, vor seinem Verfallsdatum – es braucht einen äußeren Feind als Kleister. Nur er simuliert eine einige Union. Wenn Söder seine Idee vom Austritt aus dem Länderfinanzausgleich noch einige Male wiederholt, wird man ihn ziemlich bald schon als Agenten des Kremls diffamieren.

Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog »ad sinistram«. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs »neulandrebellen«. Er war Kolumnist beim »Neuen Deutschland« und schrieb regelmäßig für »Makroskop«. Seit 2022 ist er Redakteur bei »Overton Magazin«. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main.
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