Morgens halb Sechs in Deutschland

Neue Gretchenfrage unter Schreibenden: »Hast du einen frischen Morgenmantel – für den Fall der Fälle?« Hausdurchsuchungen als Pointe des Galgenhumors – und als Symbol einer politischen Kultur, die Kritik zunehmend wie ein kriminelles Vergehen behandelt.

Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente

Mann öffnet Tür, Hausdurchsuchung
Quelle: Dieses Bild wurde mittels Grok entwickelt.

Die Hausdurchsuchungen, die sich gegen Vertreter der schreibenden Zunft richten, häufen sich. Offenbar haben deutsche Staatsanwaltschaften und die Kräfte der Exekutive, die morgens Bürger mit verstärktem Mitteilungsdrang (auch Autoren genannt) aus den Bett klingeln und sich an ihnen in die persönlichen Räume vorbeidrücken, noch reichlich Zeitreserven zur Verfügung, um Nichtigkeiten auf diese demütigende Art und Weise aufzublasen. Jeder unbedeutende Halbsatz kann von großer Bedeutung für etwaige Morgenstunden sein – und den Staatsbüttel auf den Plan rufen. Ob ich wohl dran denke und mir einen Morgenmantel über den Schlafanzug werfe, wenn sich der morgendliche Besuch einstellt?

Das ist der Witz der Schreibenden, wenn sie sich dieser Tage treffen: Hast du einen frischen Morgenmantel? Wann hast du ihn zuletzt gewaschen? Was, du schläfst nackt? Galgenhumor. Wie sollen denn die Leute, die wissen, dass auch sie fällig sein könnten, sonst damit umgehen? Dieser Form therapeutischen Humors bedarf es nicht, wenn man für den Spiegel schreibt – oder sich als Faktenjäger für eine öffentlich-rechtliche Anstalt verdingt. Dort ist man vor Zugriffen sicher, ganz gleich, welchen Unsinn die Herrschaften Journalisten dort verzapfen oder wie justiziabel die eine oder andere Aussage auch war. Heute hängt man die Kleinen nicht mehr – man lungert ihnen vor der Haustür auf und entweiht ihre heiligen Hallen.

Die Durchsuchung: Eine Vergewaltigung

So ein Einbruch in die privaten Gemächer wird von Psychologen gemeinhin als die Überschreitung einer Grenze betrachtet, die im Regelfall traumatische Folgen hat – betritt ein Einbrecher die Privaträume des Überfallenen, so dringt er in die persönlichste Nische desjenigen ein. Überfallene fühlen sich daher nach so einem Ereignis – auch wenn sie gar nicht selbst zugegen waren, als der Ganove eindrang und Schränke durchwühlte – ein Stück weit missbraucht, auch dreckig und benutzt. Denn der persönlichste Rückzugsort wurde verletzt und ein Gefühl stellt sich ein, wonach es keinen Platz auf Erden gibt, an dem man wirklich für sich ist, ohne die Behelligung anderer Menschen. Das eigene Zuhause ist ein unantastbarer Ort – so weiß es auch das Grundgesetz, lässt aber Ausnahmen offen, die allerdings nicht willkürlicher Natur sein dürfen. Doch genau diese Willkür hat nun Einzug gefunden in die politische Justiz.

Der Büttel, dem man im Morgenmantel öffnet, der einen Durchsuchungsbeschluss auspackt und das richterlich genehmigte Eindringen in die Privaträume mit wenigen ergänzenden Worten ankündigt, ist faktisch kein Einbrecher – nicht formaljuristisch. Besonders schlimm sind jene Systeme, die Handlungen, die sonst Ganoven vorenthalten sind, in eine juristische Praxis überführen und das »Recht und Ordnung« nennen. Man darf sich daher sicher sein, dass sich ein solches Erlebnis, sind die Beamten erstmal wieder abgerückt, durchaus genauso anfühlen wird, wie ein ganz ordinärer Einbruch. Nicht, dass jene, die nun mit Hausdurchsuchungen beglückt werden, vorher schon besonders staatsgläubig gewesen wären. Im Gegenteil, die von denen man nun hört – zuletzt eben C.J. Hopkins, ein amerikanischer Autor in Deutschland –, waren eher auf Kriegsfuß mit Staat, Regierung und Zeitgeist. Aber nach der Durchsuchung dürfte das letzte Quäntchen Zutrauen endgültig aufgelöst worden sein. Denn in einem Land zu leben, in dem Nichtigkeiten recht schnell und unkompliziert und völlig unangemessen die Unverletzlichkeit der Wohnung aufzulösen imstande sind: Wie soll aus dieser Gewissheit heraus, nun selbst auf dem eigenen Terrain verfolgt zu sein, noch ein konstruktives Gefühl zum Staat entstehen?

Natürlich mache ich mir Gedanken. Trifft es mich früher oder später auch? Es ist ja billig, wenn sich die Meute bei X nach so einer Durchsuchung zusammenfindet und dem Durchsuchten trotzig-tröstlich mitteilt, dass man jetzt zu einem erlesenen Kreis gehöre: Wer heute noch nicht durchsucht wurde, habe schließlich etwas falsch gemacht. Was wissen diese Leute schon? Danach kann man seine Wohnung doch nicht mehr mit dem Gefühl der Geborgenheit betreten, das man – hoffentlich! – vorher verspürte, wenn man den Absatz seiner Haustür überschritt. Die Beamten, vermutlich bewaffnet, die überall herumstöberten, Schubladen öffneten, intimster Inhalte ansichtig wurden, dies und jenes konfiszierten, unter anderem natürlich den Computer – womit die Arbeit erstmal unmöglich gemacht ist –, haben aus der heimischen Gemütlichkeit einen Tatort entstehen lassen. Und wer will schon an einem Tatort leben? Kann man in einem auf diese Weise entweihten Refugium einfach weitermachen? Die Durchsuchung ist ein Missbrauch, ja eine Vergewaltigung regelrecht – zumindest in diesen aktuellen Fällen, in denen Staatsanwaltschaften aus nichtigsten Gründen solche Schritte anschoben.

Wie nichtig die sind, zeigt sich ebenfalls bei dem bereits oben erwähnte Autor Hopkins. Er hat sich mit der Corona-Politik befasst und sie mit gewissen Aspekten des Nationalsozialismus verglichen – damit verherrlichte er nicht den Nationalsozialismus, sondern wollte auf einen Umstand hinweisen: Die Seuchenschutzpolitik jener Zeit erinnerte fatal an damals – der Sozialwissenschaftler und Autor Rudolph Bauer erfuhr ein ähnliches Schicksal. Man muss die Vergleiche, die beide zogen, nicht als besonders geschmackvoll bewerten – ich tue es in der Tat nur sehr bedingt, weil zwischen Konzentrationslager und Lockdown dann doch noch einige Welten liegen (man kann es freilich auch anders sehen) –, aber für eine Hausdurchsuchung reicht dergleichen nicht aus. Sie ist vollkommen unangemessen und konstruiert eine Motivation, die die betroffenen Publizisten gar nicht verinnerlicht hatten.

Recht geschieht es ihnen!

Die Lage der schreibenden Zunft, die sich nicht in einem großen Verlagshaus verstecken oder in einer von der Öffentlichkeit finanzierten Anstalt verschanzen kann, ist prekär – schon seit langer Zeit. In den letzten Monaten scheint sie noch prekärer zu werden. Denn nun kommt auch noch der potenzielle Angriff auf eigenem Boden hinzu. Und der Aufschrei? Er bleibt mal wieder aus. Im Grunde trifft es ja solche, die es verdient haben – Hopkins hat nicht nur Bildmaterial aus jener braunen Zeit verwendet, sondern auch noch jene Politik, die unsere in Altenheime abgeschobenen Großeltern zu retten vorgab und der man sich im Sinne der Lebensrettung nicht verschließen durfte, mit Scheiße beworfen. So einer hat keine Lobby – auch der Herr, der den ehemaligen Wirtschaftsminister ins Schwachköpfige rückte, kein Mann der schreibenden Zunft zwar, aber dennoch morgens beglückt, konnte nicht mit allgemeiner Solidarität rechnen. Es traf ja einen, der es so wollte – hätte er es nicht gewollt, hätte er geschwiegen.

Ich saß neulich mal mit einem Menschen zusammen, der sich selbst als guten Linken einordnet – als Antifaschist versteht er sich freilich überdies. Woran man das merkt? Er sagt es einem natürlich – oft und zu jeder passenden wie unpassenden Gelegenheit. Als die Rede von jenem Mann war, der damals »Schwachkopf« postete und damit den grünen Ökonomieheiland meinte, spürte man seine Betretenheit. Vermutlich wusste mein Gesprächspartner sehr wohl, dass die morgendliche Durchsuchung von dessen Wohnung zu weit ging – aber da er außerdem gelesen habe, dass der Mann auch schon mal »was Nationalsozialistisches« gepostet hatte, schob er nach: Der habe es sich selbst eingebrockt, er sei ja kein unbeschriebenes Blatt gewesen. Was hatte der vermeintliche Schurke damals gepostet? Im Frühjahr 2024 soll er ein Bild bei X hochgeladen haben, auf dem ein SA-Mann mit einem Plakat zu sehen gewesen sei. Darauf zu lesen: »Deutsche kauft nicht bei Juden«, was der Beschuldigte wiederum so kommentierte: »Wahre Demokraten! Hatten wir alles schon mal!« War das wirklich Befürwortung der SA und des Judenboykotts? Oder konnte das nicht auch so verstanden werden, dass er diese vermeintlich wahren Demokraten von einst, die jüdische Geschäfte boykottierten, nicht gut leiden könne? Ich gebe zu, dass ich die Bild- wie Wortwahl auch nicht besonders stilsicher finde. Aber justiziabel? Für meinen charmanten Gesprächspartner war allerdings klar: Er hätte eben schweigen sollen – sein Problem!

Mir kommt meine Großmutter in den Sinn. Eine gute, sehr fürsorgliche und warmherzige Frau, fromme Katholikin und für mich das Gesicht einer Welt, die es so nie mehr geben wird – ihre Güte finde ich heute in keinem Menschen mehr. Sie tat alles für uns Enkel. Ihr Blick auf damals war aber gelegentlich etwas speziell – wie bei vielen dazumal. Natürlich sei unter Hitler niemanden etwas passiert, wusste sie. Und schob nach: Wenn man nichts Falsches gesagt habe. Vermutlich hatte sie teilweise sogar recht. Für heute gilt das ziemlich ähnlich: Die Stummen haben keine Wohnungsdurchsuchung zu befürchten. Und siehe da, nun habe ich auch einen Vergleich der heutigen Situation mit damals geschaffen. Das geht schnell in Deutschland – Hitler sitzt immer mit am Tisch, selbst wenn man nur über Bratkartoffeln spricht. Eigentlich ist dieser Drang des Vergleichs mit dem einst Deutschland eine Unart, die man lassen sollte. Ich nehme also alles zurück – auch wenn es mir so unglaublich passend erscheint.

Ebenso wenig originell wie der Nazi-Vergleich ist übrigens jener berühmte Ausspruch Martin Niemöllers, den man mittlerweile auch schon unzählige Male las: »Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Gewerkschaftler holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschaftler. Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.« Bitte verstehen Sie das richtig, dieses Zitat beinhaltet die ganze Wahrheit von damals und auch unserer Gegenwart. Denn früher oder später trifft es jene, die heute schweigen, weil sie finden, dem Hopkins, dem Bolz, dem Elsässer oder wer weiß wen noch, geschehe so ein Einmarsch in die eigenen vier Wände zurecht.

Solidarisch sein mit denen, die heute nicht solidarisch sein wollen?

Machen wir uns doch nichts vor: Früher oder später werden andere Kräfte die politische Macht in diesem Land in Händen halten. Die Naiven unter uns glauben, dass es Kräfte sind, die dann mit Vernunft aufräumen und das Land wieder zu einem besseren Ort transformieren wollen. Deshalb werden diese neuen Kräfte die Praktiken aufgeben, die sich jetzt eingeschliffen haben und sie werden zudem mit dem NGO-Saustall aufhören, der Meldestellen einrichtet und Mitbürger denunziert – vielleicht werden sie sogar den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einstellen. Man soll sich nur nicht täuschen. Sobald jene Kräfte Teil einer Bundesregierung sein werden – und sie werden es sein; die berühmte Brandschutzwand kann nicht ewig halten –, dämmert auch denen die Erkenntnis, wie nützlich solche Einrichtungen und Vorgehensweisen zur Etablierung und zum Erhalt der frisch erhaltenen Macht sein werden. Und wer soll denn dann noch protestieren?

Jene, die unter anderen Vorzeichen hausdurchsucht wurden und mit denen die, die dann durchsucht werden, damals nicht solidarisch waren? Das Pendel wird umschwenken und die, die sich jetzt als die Anständigen wähnen, haben allen Regierungen, die da noch kommen mögen, ein Bündel an Maßnahmen vererbt, die auch jene nutzen werden – und zwar auch gegen die, die im Moment wie die Sieger der Geschichte aussehen.

Vielleicht wäre es nun wichtig für sich festzuhalten: Wenn es dazu kommen sollte – und wie gesagt, ich denke, so wird es sein –, dann ist es wichtig, auch mit denen solidarisch zu sein, mit denen man politisch nicht auf einer Welle liegt. Auch diese Leute haben eine Privatsphäre verdient, die nicht aus nichtigsten Gründen aufgehoben werden darf, bloß weil es den machtpolitischen Grundsätzen des Moments entspricht. Ob ich wohl noch so besonnen und solidarisch reagieren würde, nachdem ich eine solche Durchsuchung live und in Farbe bei mir zu Hause – dem was dann einstmals zu Hause war – erlebt habe?

Wir werden als Schreibende wohl Anleihen nehmen müssen bei denen, die in der DDR kritische Texte schrieben und sie auf eine ganz bestimmte der Welt enthobenen Weise verklausulierten, um der Zensur zu entgehen. Das setzt früher oder später ein Publikum voraus, das für sich lernen muss, dass auch im indirekten, um drei Ecken gedacht, etwas sehr Direktes platziert sein kann, wenn man die Gabe besitzt, zwischen den Zeilen lesen zu können. Vielleicht entkommt man so den Häschern der herrschenden Staatslehre, die natürlich Angst und Schrecken verbreiten möchte, um kritische Stimmen zu unterdrücken und die eigene Machtbasis zu stärken. Aber vermutlich wird das auch nichts bezwecken, denn die Vorwürfe sind bereits heute konstruiert, wenn man zur Durchsuchung schreitet – es kommt also nicht sonderlich darauf an, was man wie ausdrückt. Dass man überhaupt eine Trotzhaltung an den Tag legt, ganz gleich welcher Form sie präsentiert wird, stellt die Untat dar. Insofern ist der Erwerb eines Morgenmantels vielleicht in der Tat die beste Maßnahme, die man jetzt ergreifen kann. Stil und Würde bewahren: Mehr bleibt einen in Systemen wie diesen selten.

Roberto De Lapuente

Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog »ad sinistram«. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs »neulandrebellen«. Er war Kolumnist beim »Neuen Deutschland« und schrieb regelmäßig für »Makroskop«. Seit 2022 ist er Redakteur bei »Overton Magazin«. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main.
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