Eine grüne Bundestagsabgeordnete hielt im Hohen Haus eine Rede und hatte dabei ihr Kind an die Brust gegurtet. Das ist kein Zeichen für arbeitende Eltern, sondern eine Szene aus dem politischen Elfenbeinturm – und Bürgerverachtung.
Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente

Hanna Steinmüller ist Bundestagsabgeordnete der Grünen – und fiel bis dato nicht sonderlich auf. Bis neulich, als sie eine Rede hielt zum Etat des Bauministeriums. Auch die Rede war jedoch nicht erinnerungswürdig. Wohl aber ihr Auftritt: Vor ihr – in einer sogenannten Bauchtrage – hatte sie ein Baby mit am Pult. Ihr Baby, um genauer zu sein. Damit wollte die Abgeordnete ein Zeichen für arbeitende Eltern setzen.
Historisch sei der Moment zudem gewesen: Denn sie sei die erste Mutter, die es ans Rednerpult geschafft habe – so titelte unter anderem der WDR. Das ist natürlich Quatsch. Mütter haben schon reichlich im Bundestag Reden gehalten. Sie hatten nur ihr Kind nicht dabei. Wie im Grunde so gut wie alle Mütter hierzulande, wenn sie an ihren Arbeitsplatz kommen. Denn das, was Steinmüller im Anflug allseits beliebter Symbolpolitik arbeitenden Eltern widmen wollte, ist für so gut wie alle, die einer Arbeit nachgehen, gar keine realistische Option.
Die Kinder der Anderen?
Haben Sie schon mal gesehen, dass eine Krankenschwester ihren Nachwuchs mit zur Arbeit nimmt? Können Sie sich das auch nur vorstellen? Und wie viel Verständnis werden Patienten haben, wenn zunächst der Spross gewickelt und gefüttert und erst hernach Wundversorgung geleistet wird? Was macht eine Polizistin mit der Kleinen, während sie die Daten eines Verkehrsunfalles und seiner Beteiligten aufnimmt? Ob der alleinerziehende Lehrer seine Gymnasialklasse dazu bewegen kann, ein Auge auf seinen Dreijährigen zu haben, während er die Klasse unterrichtet? Werden die Restaurantgäste Verständnis haben, wenn sie von der Kellnerin gesagt bekommen, sie sollen sich die bestellten Speisen und Getränke bitte selbst aus der Küche holen, weil sie mit der umgewickelten Bauchtrage den Service schließlich nicht vollumfänglich leisten könne? Und wieso sollte nicht auch ein Generalmajor seinen Spross in den Unterstand mitnehmen dürfen, wenn Deutschland im Ernstfall brennt?
Wenn also Steinmüller verkündigt, sie spreche hier für arbeitende Eltern und Bärbel Bas nachlegt, dass man »ein Mandat auch mit Kind gut ausfüllen können [sollte]. Dazu [gehöre auch], dass Sitzungen nicht ständig bis in die Nacht dauern«, dann sind dies Grüße aus dem Elfenbeinturm heraus. Die Kinder der Anderen hätten – selbst wenn der Arbeitgeber mitspielte – gar keine realistische Chance, am Arbeitsplatz der Eltern anwesend zu sein. Und für unzählige Berufsfelder sind Arbeit zu Unzeiten anstrengende Wirklichkeit, ohne dass die Politik und die stets mütterliche Bas sich hier mokierten. Der Medienbetrieb kaut natürlich den Ansatz der grünen Symbolpolitikerin nach, scheint großes Verständnis für das Anliegen der Mutter zu haben und tut so, als sei das eine dräuende Realität für die schöne neuen Arbeitswelt, die auf uns alle zukommt. Man müsse es nur wollen, die Gesellschaft sensibilisieren, dann stünde der Mitnahme des Kindes nichts mehr im Wege.
Schon einmal haben Medien und Politik bewiesen, dass sie gar keinen Sinn für die Anliegen der arbeitenden Bevölkerung haben – jedenfalls nicht für die Mehrzahl der Arbeitenden. Schon vor Jahren wollten die Sozialdemokraten ein Recht auf Homeoffice etablieren, denn das entspreche dem Arbeitsethos der Zukunft. Als dann die Virusbekämpfer das ganze Land lähmten, war schnell ersichtlich, wie das mit dem Homeoffice tatsächlich zu betrachten ist: Systemrelevante Berufe konnten im Regelfall ohne Präsenz gar nicht bedient werden. Homeoffice hatten in der Mehrzahl Berufsfelder, die man – mit etwas salopper Ausdrucksweise – als Bullshit-Jobs einordnen könnte: Also als Jobs, die nicht von wesentlicher Notwendigkeit sind, um gesellschaftlich bestehen zu können. Die Sozialdemokraten forderten also im Namen des sogenannten kleinen Mannes etwas, was in dessen Lebensrealität gar keine Relevanz hatte. Und die Medien stimmten mit ein. Die Vereinbarkeit von Kind und Arbeitsplatz durch Mitnahme des Kindes herzustellen: Das ist wieder so ein Kniff aus der alltagsfremden und arbeitsungewohnten Trickkiste privilegierter Kreise.
Arbeitgeber darf Konzentration auf dienstliche Belange erwarten
Ohnehin ist es mehr als fragwürdig, ob das ein Ideal darstellt, ein Recht darauf zu erwirken, seine Kinder mit an den Arbeitsplatz zu nehmen. Wenn man nicht gerade für eine der sogenannten Nichtregierungsorganisationen oder staatsnaher Stiftungen arbeitet – für die die »Erwirtschaftung« von Geld lediglich eine Frage von Nepotismus und Klüngelei ist –, bezieht man sein Salär gewöhnlich für die Verrichtung einer Tätigkeit und nicht einfach nur, damit man Haltung an den Tag legt: Das heißt, der Fokus liegt in der Arbeitszeit auf das, was laut Arbeitsvertrag (oder mündlicher Vereinbarung) getan werden soll. Am Arbeitsplatz ist der Angestellte kein Privatier, seine persönlichen Angelegenheiten haben zurückzustehen – was natürlich nicht immer klappt, denn Angestellte bleiben Menschen. Seine privaten Anliegen sollten aber auf ein Minimum zurückgestellt werden.
Dennoch gehört es zum Arbeitsethos, dass man »die beiden Welten« voneinander halbwegs trennt – ein kurzes privates Telefonat am Arbeitsplatz stört den Arbeitsablauf zuweilen nicht. Außer man arbeitet am Fließband oder an einer Klasse. Die Planung des eigenen Geburtstages am Arbeitsplatz würde den Rahmen aber sprengen – das geht höchstens in einen der bereits genannten Bullshit-Jobs. Ebenso wie die Mitnahme des Nachwuchses, der ja – hilfloser Mensch wie er ist – äußerst pflege- und fürsorgeintensiv ist. Wer also jetzt im Eifer der Vereinbarkeit von Beruf und Familie so tut (ein Mandat ist ja noch nicht mal ein Beruf, stellt keinen Job dar), als wären auch Arbeitsplätze zielführend, an denen Kindern gelegentlich anwesend sein können, stellt sich das Wesen des Kindes offenbar als ziemlich statisch vor. Wird man so, wenn man Kinder mehr als Statussymbol denn als menschlichen Kreatur begreift? Verliert man im ideologischen Streben letztlich jeden Bezug zum Naturell des Kindlichen?
Wer möchte als Kunde oder Gast vertröstet werden, weil die Fachkraft, die vor einem steht, zunächst ihr Kind trockenlegen und trösten möchte? Soll das professionell sein? Was die Professionalität betrifft, so möchte man meinen, dass die Jahre, in denen dieses Land virologisch stillgelegt wurde, viel sogenannte Arbeitsmoral ruiniert haben. Die Präsenz am Arbeitsplatz wurde plötzlich zweitrangig und die Erwirtschaftung von Nachfrage – so wurde jedenfalls suggeriert – könne durch Ersatzzahlungen aufgefangen werden. Es scheint so, als habe spätestens in dieser Zeit bei vielen im Lande eine Grundstimmung geherrscht, dass das Geld immer fließt, ganz egal was ist, weswegen man nicht sonderlich professionell auftreten müsse. Für eine Bundestagsabgeordnete trifft das freilich zu – das Mindeste, was sich der bezahlende Bürger erwarten darf: Dass die MdB fokussiert bleibt auf das, was ihr Mandat ausmacht. Das Mütterliche gehört nicht dazu. Es stört an dieser Stelle jene Aufmerksamkeit, die man den Obliegenheiten des Hohen Hauses schenken sollte – anders gesagt: Bürgerverachtung kann zuweilen auch mit einer gut sichtbaren Bauchtrage mit darin gelagertem Baby gezeigt werden.
Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog »ad sinistram«. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs »neulandrebellen«. Er war Kolumnist beim »Neuen Deutschland« und schrieb regelmäßig für »Makroskop«. Seit 2022 ist er Redakteur bei »Overton Magazin«. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main.
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