NATO – Experten diskutieren Trumps Plan zum Ukraine-Krieg und über die Zukunft des transatlantischen Angriffsbündnisses

Zwei international renommierte Experten mit umfangreichen Erfahrungen in Diplomatie und Militär liefern differenzierte und kritische Einsichten in Trumps Absichten, die Machbarkeit seiner Pläne und die weitreichenden Folgen für die westeuropäische Sicherheit und die NATO.

Eine Analyse von Rainer Rupp

shutterstock/Torsten Pursche

In einer Diskussion am 7. März 2025 bei „Dialogue Works“, moderiert von Nima Alkhorshid, zeigte sich Colonel Larry Wilkerson vorsichtig unterstützend gegenüber Trumps erklärter Absicht, den Ukraine-Krieg zu beenden, und betonte die dringende Notwendigkeit, die eskalierenden Verluste an Menschenleben zu stoppen. Er erklärte:

„Trump war entschlossen und offenbar darauf fokussiert, diesen Krieg zu beenden, und das ist aus meiner Sicht positiv … wir haben viel zu viele Opfer.“

Wilkerson schätzte die Verluste auf etwa eine Million auf ukrainischer Seite und 300.000 bis 350.000 auf russischer Seite und bezeichnete die Situation als „absurd“.

Allerdings wies der pensionierte Oberst auch auf die Komplexität hin, Frieden zu erreichen, und merkte an, dass ein einfacher Waffenstillstand nicht ausreichen könnte. Er zog Parallelen zum Koreakrieg in den 1950er Jahren, wo während der Verhandlungen weitergekämpft wurde, und betonte die Notwendigkeit eines Friedens im Rahmen eines umfassenden europäischen Sicherheitskonzepts. Was – zur Erinnerung – die Russen schon seit Ende des Kalten Krieges immer wieder gefordert haben und was von NATO-Seite ebenso konsequent stets verweigert wurde.

Der ehemalige Botschafter Chas Freeman äußerte sich skeptischer gegenüber Trumps Ansatz und stellte die diplomatische Raffinesse infrage, die für ein effektives Ende des Konflikts erforderlich sei. Zwar erkannte er Trumps „gesunde Instinkte“ an, den Krieg stoppen zu wollen, doch argumentierte er:

„Das erfordert ein Maß an diplomatischer Raffinesse, die in dieser Administration bisher kaum erkennbar ist.“

Freeman plädierte für einen politischen Rahmen ähnlich dem österreichischen Staatsvertrag von 1955, der Neutralität garantierte, um sowohl russische als auch westliche Sicherheitsbedenken zu berücksichtigen. Er wies auch die Idee einer militärischen Lösung zurück und kritisierte westeuropäische Politiker wie den polnischen Ministerpräsidenten Tusk, der ein Wettrüsten mit Russland fordert, als „verfehlt“.

Beide Experten stimmten darin überein, dass die Beendigung des Ukraine-Krieges ein entscheidender Schritt sei, unterschieden sich jedoch in ihrer Einschätzung der Erfolgsaussichten unter Trumps Führung. Wilkerson sieht die moralische Verpflichtung, das Blutvergießen zu stoppen, während Freeman die Notwendigkeit einer inklusiveren und diplomatisch fundierten Strategie betont.

Die Zukunft der NATO und der westeuropäischen Sicherheit

Hinsichtlich der Zukunft der NATO äußerten sowohl Wilkerson als auch Freeman Bedenken über die Ausrichtung des Bündnisses und die breitere westeuropäische Sicherheitsarchitektur. Wilkerson kritisierte die NATO-Erweiterung unter früheren US-Regierungen, insbesondere unter Bill Clinton, und argumentierte, dass diese von innenpolitischen und wirtschaftlichen Interessen statt strategischer Notwendigkeit getrieben gewesen sei. Er sagte:

„Es ging mit Bill Clinton alles den Bach runter … weil Bill Clinton die NATO erweitern wollte, um Geld in die Rüstungsindustrie zu lenken.“

Diese Expansion habe Russland entfremdet und zu der aktuellen Krise beigetragen, da Russland historisch gesehen eine Einbindung in Europa gesucht habe, jedoch wiederholt zurückgewiesen worden sei.

Freeman pflichtete diesem Standpunkt bei und bedauerte den Zusammenbruch von Initiativen wie dem Russland-NATO-Rat, den er als „Tragödie“ bezeichnete. Er plädierte für einen inklusiveren westeuropäischen Sicherheitsrahmen und erklärte:

„Die einzige Möglichkeit, wie Europa Frieden und Stabilität genießen kann, ist durch eine inklusive, nicht exklusive Ordnung.“

Also durch eine Sicherheitsordnung mit und nicht gegen Russland.

Freeman kritisierte zudem die wachsende Feindseligkeit einiger westeuropäischer Nationen gegenüber der Russischen Föderation und bemerkte, dass „es jetzt die Nachbarn in Europa sind, die kriegerischer auftreten als wir [die USA]“, obwohl die Vereinigten Staaten historisch gesehen die anti-russische Stimmung in der Region vorangetrieben haben.

Beide Experten sahen Potenzial in Trumps scheinbarer Verschiebung des Fokus vom Transatlantischen zum Pazifischen Raum, wobei Wilkerson bemerkte:

„Wir (die USA) haben endlich einen lange bestehenden, internen Konflikt gelöst … wir konzentrieren uns nun klar auf den Pazifik.“

Freeman warnte jedoch davor, dass dieser Wandel möglicherweise nicht effektiv umgesetzt werde, und beschrieb die US-Politik im Pazifik als „unentschlossen“. Beide Experten stimmten darin überein, dass die Zukunft der NATO davon abhängt, dass die EU mehr Verantwortung für ihre eigene Sicherheit übernimmt – ein Trend, den sie als längst überfällig ansehen. Wilkerson und Freeman warnten jedoch vor einer Militarisierung auf Kosten sozialer Programme und diplomatischer Bemühungen mit Russland.

Fazit

Der pensionierte Oberst Larry Wilkerson und der ehemalige Botschafter Chas Freeman bieten eine ernüchternde Einschätzung von Trumps Plänen für die Ukraine und die Zukunft der NATO. Während Wilkerson den Wert in Trumps Absicht sieht, den Ukraine-Krieg zu beenden, unterstreichen beide Experten die Notwendigkeit eines umfassenden, inklusiven Ansatzes, der russische und westeuropäische Sicherheitsbedenken berücksichtigt – ein Ziel, das ihrer Meinung nach mehr diplomatisches Geschick erfordert, als die aktuelle Administration bisher gezeigt hat.

Hinsichtlich der NATO plädieren sie für eine neu gedachte europäische Sicherheitsarchitektur, die Russland einbezieht und Westeuropas Abhängigkeit von der US-Führung reduziert. Zugleich warnen beide dringend vor weiterer Eskalation und Militarisierung in Westeuropa auf Kosten der gesellschaftlichen Stabilität.

Zu den beiden Diskutanten ist Folgendes anzumerken:

Ambassador Chas W. Freeman Jr. ist ein ehemaliger US-amerikanischer Diplomat und Autor mit über 30 Jahren Erfahrung im Auswärtigen Dienst. Er war von 1993 bis 1994 stellvertretender US-Verteidigungsminister, zuständig für „Internationale Sicherheitsangelegenheiten“ und spielte eine Schlüsselrolle in der Gestaltung der NATO-zentrierten Sicherheitsordnung nach dem Kalten Krieg sowie in der Wiederaufnahme militärischer Beziehungen mit China. Zuvor diente er als US-Botschafter in Saudi-Arabien (1989–1992). Freeman war auch Hauptübersetzer für Präsident Nixon bei dessen historischem China-Besuch 1972. Er spricht fließend Chinesisch, Französisch, Spanisch und Arabisch.

Oberst der US-Army (a.D.) Lawrence B. „Larry“ Wilkerson gilt als ein erfahrener Experte für Außenpolitik und nationale Sicherheit. Er wurde am 15. Juni 1945 geboren und diente über 30 Jahre im Militär, unter anderem im Vietnamkrieg. Nach seiner militärischen Karriere war er von 2002 bis 2005 Stabschef von Außenminister Colin Powell im US-Außenministerium, wo er an zentralen Entscheidungen zur US-Außenpolitik beteiligt war. Wilkerson ist bekannt für seine kritischen Ansichten zur US-Außenpolitik, insbesondere zur Rolle der Neokonservativen und zur Militarisierung internationaler Beziehungen. Nach seinem Rücktritt aus dem Staatsdienst wurde er ein gefragter Redner und Dozent und ist regelmäßig als Kommentator zu geopolitischen Themen in den Medien präsent.

Larry Wilkerson wird per Zoom am 24. März an der Konferenz „Frieden mit Russland“ (Die wichtigste Aufgabe unserer Zeit) in Berlin-Neuenhagen teilnehmen. Sein Freund, Kollege und Mitkämpfer gegen die Gefahren eines Atomkriegs, der weltbekannte Raketen und Atomkriegs-Experte MIT-Professor Ted Postol, wird persönlich am 24. März in Berlin an der Konferenz teilnehmen, bei der bekannte Vertreter aus Ost und West aus Militär, Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft aus dem parteiübergreifenden politischen Spektrum von links bis national-konservativ zusammenfinden.

Details über die „Frieden mit Russland“-Konferenz und Anmeldungen finden Sie über diesen Link. Wer diese in unseren Zeiten besonders wichtige, parteiübergreifende Bewegung für „Frieden mit Russland“ unterstützen möchte, der kann das mit einer Spende auf das Konto des „Deutschen Friedensrates“ als Mitträger der Konferenz tun:

Deutscher Friedensrat e. V., Weydingerstr. 14–16, 10178 Berlin, Kontoverbindung und Spenden: Deutsche Bank; DE75 1007 0848 0629 0779 00; Verwendungszweck: „Konferenz 25“

Wer sich die oben zusammengefasste Diskussion zwischen Col. Larry Wilkerson und Amb. Chas Friedman (eine Stunde, in englischer Sprache) ansehen will, kann das auf YouTube über diesen Link.

Rainer Rupp, Jahrgang 1945, arbeitete von 1977 bis 1989 für die Hauptverwaltung Aufklärung, die Auslandsspionage der DDR. Er war live dabei, als in den 80iger Jahren ein Atomkrieg geplant wurde. Rainer Rupp ist es zu verdanken, dass die NATO – Übung “Able Archer” 1983 nicht zum atomaren Armageddon führte. Er verhinderte es, als die Sowjetunion eine irrtümliche atomare Gegenreaktion auslöste.  Er wurde von der BRD-Justiz 1994 wegen Landesverrats zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Er arbeitete unter dem Decknamen „Topas“ und war der wichtigste Spion des Warschauer Paktes im NATO-Hauptquartier. Seit seiner Entlassung arbeitet er als Publizist. Im März 2023 organisierte er in Berlin die Friedenskonferenz «Dialog statt Waffen» mit ehemaligen Generälen der Bundeswehr und der Nationalen Volksarmee. 

Rainer Rupp ist Mitglied des Beirats des Deutschen Freidenker-Verbandes

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen. 

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