Netanjahu vor US-Kongress: „Bei weitem schlechtester Auftritt eines ausländischen Würdenträgers“

  • POLITIK
  • Juli 25, 2024
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Kurz vor Treffen mit US-Präsident Joe Biden und dessen Vize Kamala Harris enttäuscht Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu mit einer von Protesten begleiteten Rede vor dem US-Kongress die Hoffnungen auf eine baldige Waffenruhe in Gaza. Angehörige von acht amerikanisch-israelischen Geiseln kritisierten den Auftritt als «politisches Theater», wie israelische Medien meldeten. Unter Beifall vor allem aus den Reihen der Republikaner hatte Netanjahu Kritik am Vorgehen in Gaza zurückgewiesen.

shutterstock / photocosmos1

«Er hat es versäumt, neue Lösungen oder einen neuen Weg zu präsentieren», heißt es in einer Erklärung der amerikanischen Angehörigen. Kurz vor Netanjahus Rede bestätigte sein Büro, dass er die für heute geplante Abreise israelischer Unterhändler zu den indirekten Verhandlungen nach Katar abgesagt habe.

Dies sei der «bei weitem schlechteste Auftritt eines ausländischen Würdenträgers» gewesen, der das Privileg gehabt habe, vor dem US-Kongress zu reden, schrieb die frühere Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, auf der Plattform X. Die Hamas bezichtigte Netanjahu der Lügen. «Netanjahus Gerede über verstärkte Bemühungen um die Rückkehr der Geiseln ist eine glatte Lüge und führt die israelische, amerikanische und internationale Öffentlichkeit in die Irre», heißt es in einer Stellungnahme der Hamas.

Netanjahu hatte bei seiner Rede entgegen den Hoffnungen von Angehörigen der 115 noch im Gazastreifen verbliebenen Geiseln keine Vereinbarung über eine Waffenruhe im Gegenzug für die Freilassung der Geiseln angekündigt. Die Abreise einer israelischen Delegation zu den indirekten Verhandlungen in Katar werde außerdem nun erst in der kommenden Woche erwartet, bestätigte eine israelische Repräsentantin. Das genaue Datum sei noch unklar.

Netanjahu wird von Kritikern vorgeworfen, den Krieg zu seinem eigenen politischen Vorteil in die Länge zu ziehen. Er regiert in einer Koalition mit ultra-religiösen und rechtsextremen Parteien, die Zugeständnisse an die Hamas ablehnen und mit der Sprengung der Regierung drohen.

Israelische Soldaten bargen unterdessen im Gazastreifen die Leichen von fünf Geiseln. Während die Angehörigen von weiteren toten Geiseln erführen, setze Netanjahu «seine PR-Tour durch die USA» fort und trete «weiter auf die Bremse» zitierte die «Times of Israel» die Mutter einer der von der Hamas weiter festgehaltenen Geiseln.

Netanjahus Rede war begleitet von lauten Protesten rund um das Parlamentsgebäude in Washington. Ein Teil der Menge sei gewalttätig geworden, teilte die Kapitol-Polizei mit. Es gab Berichte über mehrere Festnahmen. Bei einer propalästinensischen Kundgebung wurde die US-Regierung aufgerufen, die militärische Hilfe für Israel einzustellen. Israel wurde ein«Genozid» im Gazastreifen vorgeworfen, an dem sich Biden, Harris und die Spitzen im US-Parlament beteiligten, hieß es. Netanjahu wurde als Kriegsverbrecher bezeichnet.

Netanjahu äußerte sich in seiner Rede vor beiden Kammern des US-Kongresses verächtlich über propalästinensische Proteste in aller Welt. «Unglaublich viele antiisraelische Demonstranten entscheiden sich dafür, auf der Seite des Bösen zu stehen», sagte er. «Sie stehen auf der Seite der Hamas, sie stehen auf der Seite von Vergewaltigern und Mördern.» Direkt an Demonstranten gerichtet sagte Israels Regierungschef mit Blick auf die Verbindungen zwischen der Hamas und dem Iran: «Ihr seid offiziell zu nützlichen Idioten des Iran geworden.» Viele Demonstranten hätten nicht die geringste Ahnung, wovon sie sprächen.

Netanjahu bekräftigte, der Krieg werde mit einem Sieg über die Hamas enden. Er dankte der Regierung von US-Präsident Biden, den er heute trifft, für die Unterstützung in dem Krieg und bat zugleich um weitere, schnellere Waffenlieferungen. «Gebt uns die Mittel schneller – und wir werden die Arbeit schneller beenden», sagte Netanjahu. Auch ein Treffen mit der US-Vize und demokratischen Präsidentschaftsbewerberin Kamala Harris ist geplant. Am Freitag besucht Netanjahu den republikanischen Präsidentschaftsbewerber Donald Trump.

(red/dpa)

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