Stefan Kornelius von der SZ ist neuer Regierungssprecher. Dass Journalisten in dieses Amt wechseln, gilt in der Bundesrepublik als völlig normal. Sollte es aber nicht sein!
Ein Kommentar von Roberto J. De Lapuente

Steffen Hebestreit war die längste Zeit Bundespressesprecher. Les jeux sont faits! In seine Amtszeit als Chef des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung und Regierungssprecher, wie seine Stelle genau ausgeschrieben ist, hat er wesentlich zur Desinformation im Lande beigetragen. Ja, genau: Denn exakt das ist die Aufgabe, die ein Regierungssprecher übernimmt – nicht direkt, denn die ergibt sich nicht aus der Stellenbeschreibung selbst, sondern aus dem Wesen der Politik und den Vorgängen des Regierens. Der Regierungssprecher übt sich in Vernebelung. So würde man – in Sonntagsreden – freilich nie über den Journalismus sprechen. Wenn der sich feiert, zeigt er sich als Branche, die von Lichtgestalten geleitet wird, von Wahrheitssuchern und aufrichtigen Leuten mit Gerechtigkeitsfimmel und nicht von Vernebelungs- und Verhüllungskünstlern.
Dass man immer wieder Journalisten für den Posten des Regierungssprechers nominiert, ist also an sich einigermaßen kurios. Oder sagt wenigstens viel über den hiesigen Journalismus aus. Hebestreit war übrigens auch Journalist, wenn auch ein kleiner Fisch seiner Zunft, als Hauptstadtkorrespondent der Frankfurter Rundschau – seit über zehn Jahren ist er nun bereits politischer Sprecher in verschiedenen Ämtern, offenbar treibt es ihn nicht mehr zu einer Tageszeitung zurück. Nun folgt ihm Stefan Kornelius, der seit dem Jahr 2000 das Außenressort der Süddeutschen Zeitung leitete und seit 2021 dem dortigen Politikressort vorsteht. Mitten aus dem journalistischen Alltag ins Bundespressehaus also. Mit im Gepäck: Transatlantische Routine und NATO-Distanzlosigkeit.
Distanzlose Berliner Republik
Vor Hebestreit war Steffen Seibert Bundespressesprecher unter Angela Merkel – offenbar muss man Steffen oder Stefan heißen, um sich für so einen Posten zu qualifizieren und die nötige Kompetenz vorzuweisen. Seibert arbeitete vorher für das ZDF – also irgendwie auch für den Staat. Aber da sich die öffentlich-rechtlichen Sender offiziell als »staatsfern« bezeichnen – obwohl es der Staat ist, der die Einziehung der Rundfunkbeiträge exekutiv durchsetzt, von denen der ganze ZDF-Bums bezahlt wird –, konnte man noch behaupten: Der Journalist Steffen Seibert wird Regierungssprecher. Tat man dann auch. 2010 war das. Und damals tat der Berufene außerdem kund, wie er seine Berufung wahrnahm: Für ihn sei das »eine ganz unerwartete, faszinierende neue Aufgabe«, die sich nun auftue.
Seibert verkaufte dem Publikum sein neues Engagement als genau dies: nämlich als faszinierende neue Aufgabe eines leidenschaftlichen Journalisten. Als sei der Posten ein Job wie jeder andere. In gewisser Weise war das absolut ehrlich, denn der moderne Journalismus in dieser Berliner Republik ist tatsächlich distanzlos. Von Drehtüreffekten sprach man früher mal – heute hat der Maurer ein Loch gelassen und baut gar keine Türen mehr ein, alles ist durchlässig, Politik oder Journalismus, Journalismus oder Politik: Wo sind denn da die Grenzen? Ja, wer kam denn je auf die Idee, da Grenzen zu ziehen? No borders – das ist die one world, die es wirklich gibt in unseren aufgeklärten Gefilden.
Dennoch schrieb ich damals, als Seibert diese und seine faszinierende, neue Aufgabe übernahm, folgende Zeilen auf meiner damaligen Publikationsplattform:
Aber dennoch sagt uns diese Stellungnahme viel, auch wenn sie zuerst nach gar nichts klingt: der leidenschaftliche Journalist ist von den Grundsätzlichkeiten seiner Profession weit entfernt. Er ist nicht neutral, nicht kritisch, nicht objektiv – er ist parteiisch, gutgläubig, subjektiv: er ist das personifizierte Verlautbarungsorgan seines Dienstherrn. Er erzählt, was die Regierung von ihn erwartet; er tut kund, was man ihm aufschreibt; er vermittelt Vordiktiertes – das ist nicht journalistisch: das ist propagandistisch!
Regierungssprecher en masse
Das klang damals markig, ja überkritisch geradezu. Und man spürt förmlich noch ein Restvertrauen des damals noch etwas jüngeren Autors in den Journalismus. Würde sich jener Kornelius heute mit den Worten für die Stelle rechtfertigen, mit denen Steffen Seibert es damals tat, so wäre es vielleicht angemessener, ihm für seine absolute Ehrlichkeit zu gratulieren, als so zu tun, als gäbe es zwei Welten. Denn Seibert stellte beides, Propaganda und Journalismus, nicht etwa gegenüber, sondern legte sie als Optionen dar, die ein ausgebildeter Journalist im hiesigen Deutschland ergreifen kann. Ob nun objektiv berichten oder unter der Fuchtel eines Dienstherrn, der mit ihm bespricht, wie er gewisse Ereignisse oder Vorfälle zu kommunizieren hat: Beides ist Betätigungsfeld für Journalisten.
An dieser Einschätzung hinkt allerdings, dass es mit der Objektivität – gelinde gesagt –schwierig ist: Wenn einer aus dem ZDF kommt, dann ja ohnehin. Der Parteiproporz in den Gremien macht das unmöglich. Öffentlich-rechtliche Sender stellen zwar Journalisten ein, meinen damit aber Regierungssprecher – auch wenn die das strikt von sich weisen würden. Doch das ZDF-Personal besteht aus Konsensfließbandarbeitern, wiederholt stets das, was die jeweilige Bundesregierung für angemessen hält, auch einem direkten Dienstherrn aus der Politik unterstellt zu sein. Diese »Freiwilligkeit« ist vielleicht noch viel schlimmer. Insofern ist der Bundespressesprecher die ehrlichere Haut – denn er ist dienstlich verpflichtet. Stefan Kornelius arbeitete für die Süddeutsche Zeitung. Staatsfern – eigentlich. Man merkt in jenem Blatt selten etwas davon. Das muss sich auch ein leitender Angestellter wie eben jener Kornelius vorwerfen lassen.
Diese Durchlässigkeit könnte man freilich hinnehmen, weil es so viel ehrlicher ist, als so zu tun, als würde man einen autonomen Journalismus in diesem Lande noch wollen. Aber dennoch ist es von Regierungsantritt zu Regierungsantritt immer wieder ein eigentlicher, aber kaum vernommener Skandal, wenn einer aus der Branche die Seiten wechselt und man diesen Seitenwechsel nicht mal moniert. Schon klar, es gibt diese beiden Seiten nicht. Oder nicht mehr? Dass es offenbar nicht mal mehr ein Ideal gibt, muss dennoch Sorgen machen. Denn an wem sollen junge Wahrheitssucher und Gerechtigkeitsfreunde sich denn orientieren? An Seiberts und Korneliusse? Das alles sollte keine Normalität sein – ist es aber. Sich eine andere wenigstens hin und wieder vorzustellen: Das ist eine faszinierende, wenn auch nicht ganz so neue Aufgabe.
Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog ad sinistram. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. Er war Kolumnist beim Neuen Deutschland und schrieb regelmäßig für Makroskop. Seit 2022 ist er Redakteur bei Overton Magazin. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main. Im März 2018 erschien sein Buch „Rechts gewinnt, weil links versagt“.
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