Beate Strehlitz war im Saal und zeichnet ein eher ambivalentes Bild. Während der Unmut beim Gericht angekommen zu sein scheint, verteidigt die BR-Vertreterin die Strukturen, die an den Abgrund geführt haben, und gibt ungewollt zu, dass man sich dort von Beschwerden „belästigt“ fühlt. Das Urteil folgt am 15. Oktober.
Ein Bericht von Beate Strehlitz

Der Saal war bis zum letzten Platz gefüllt. Mancher musste draußen bleiben. Die Medienpräsenz war hoch, sogar ZDF und MDR wurden gesichtet. Über die Hintergründe des Verfahrens haben wir hier schon berichtet. Beim Bundesverwaltungsgericht klingt das so:
Die Klägerin wendet sich gegen ihre Pflicht zur Zahlung des Rundfunkbeitrags. Sie macht geltend, der öffentlich-rechtliche Rundfunk verfehle seinen gesetzlichen Auftrag strukturell, weil er kein vielfältiges und ausgewogenes Programm biete und als Erfüllungsgehilfe der vorherrschenden staatlichen Meinungsmacht diene. Dieses strukturelle Versagen beruhe auch auf einer mangelnden Staatsferne der Aufsichtsgremien. Damit fehle es an einem individuellen Vorteil, der die Beitragspflicht rechtfertige. Der Klägerin stehe deswegen ein Leistungsverweigerungsrecht zu.
Vertreten wurde sie von zwei Anwälten (Harald von Herget, Carlos Gebauer) sowie von Jimmy Gerum (Leuchtturm ARD). Auf der anderen Seite: Eva Ellen Wagner für den Bayerischen Rundfunk. Der vorsitzende Richter behandelte schwerpunktmäßig zwei Fragen: Gibt es einen Link zwischen Beitragspflicht und der Programmvielfalt und ist die Programmbeschwerde das geeignete Instrument, mit dem der Beitragszahler das Programm kritisieren und beeinflussen kann?
Bindungswirkung mit Leistung und Gegenleistung?
Es wurde diskutiert, welchen individuellen Vorteil der Beitragszahler mit seinem Beitrag „erkauft“. Ist es nur die Möglichkeit des Empfangs (was ja auch ein „Testbild“ sein kann) oder doch eher Rundfunk in seiner ganzen Vielfalt? Es wurde behauptet, dass die Bindungswirkung verfassungsrechtlich noch nicht auf die Programmvielfalt bezogen worden wäre, sondern nur auf die Möglichkeit des Empfangs. Wenn dem so wäre, könnten das Gericht der Klägerin raten, damit beim Bundesverfassungsgericht vorstellig zu werden, argumentierte der vorsitzende Richter. Es wurde versucht, der Klägerin den substanziellen Nachweis abzufordern, dass die Sender die im Medienstaatsvertrag geforderte Vielfalt nicht anbieten. Diese Forderung wiesen die Vertreter der Klägerin aber zurück, denn bei offensichtlicher und „erschütternder“ Nichteinhaltung trete Beweislastumkehr ein. Carlos Gebauer wies hier auf den Amtsermittlungsgrundsatz im Verwaltungsrecht hin. Das heißt: Eine gerichtliche Prüfung zum Vielfalts-Gebot wäre möglich. An dieser Stelle wurde deutlich, dass eine unabhängige Stelle zur Prüfung der Einhaltung des Vielfalts-Gebots benötigt wird. Wobei „Vielfalt“ sowohl Themen als auch Meinungen umfasst.
Programmbeschwerde statt Klage
Die Programmbeschwerde wurde aus verschiedenen Perspektiven diskutiert. Das Verwaltungsgericht München hatte die Klage auch mit dem Argument abgewiesen, dass es hier ja einen Weg geben würde, seinen Unmut zu äußern. Die BR-Vertreterin behauptete, dass die Sender Programmbeschwerden sehr ernst nehmen, in ihren Gremien diskutieren und Maßnahmen ergreifen. Dabei unterlief ihr ein verräterischer Versprecher, als sie sagte, dass die Sender von sehr vielen Programmbeschwerden „belästigt“ würden, was sie umgehend in „behelligt“ korrigierte. Der vorsitzende Richter brachte den Gedanken ein, dass die Programmbeschwerden möglicherweise nur den Charakter einer Petition hätten. Er betonte, dass eine Aufwertung der Programmbeschwerde von Richter-Seite nicht möglich sei. Das sei Sache von Politik und Parlamenten, die die Medienstaatsverträge schrieben. Die Vertreter der Klägerin versäumten es an dieser Stelle, darauf hinzuweisen, dass die Rundfunkräte selbst dann keine Weisungsbefugnis zur Programmänderung haben, wenn sie die Programmbeschwerde akzeptieren. Hoffen wir, dass sie diese Tatsache in den Unterlagen besprochen haben. Gebauer erwähnte, dass 99,7 Prozent der Programmbeschwerden abgewiesen werden – für ihn unverhältnismäßig viele. Denn in den Sendern arbeiten Menschen, und Menschen machen mehr Fehler. Die Programmbeschwerde sei offensichtlich ungeeignet, die Rechte der Zuschauer durchzusetzen.
Rundfunkbeitrag
Interessant waren auch die Sichtweisen auf die Finanzierung. Während Frau Wagner meinte, der ÖRR werde aus öffentlichen Mitteln finanziert, wies Harald von Herget darauf hin, dass dem gerade nicht so ist. Denn ein Beitrag ist eine gesetzliche Vorgabe und keine Steuer. Würde die Finanzierung vom Beitrag auf eine Steuer umgestellt, so würde nach seiner Ansicht das Bundesverfassungsgericht intervenieren. Denn dann wäre die geforderte Staatsferne offensichtlich nicht mehr gewährleistet.
Stimmungsbild
Im Saal herrschte größtenteils gespannte Stille. Bei besonders hanebüchenen Aussagen von Frau Wagner brach dann doch einmal Gelächter aus. Der vorsitzende Richter hatte aber insgesamt wenig Mühe, die Emotionen im Zaum zu halten. Zwischen den Zeilen und mehr am Rande wurde deutlich, dass der Unmut über die mangelnde Vielfalt im ÖRR durchaus bei den Richtern angekommen war – jedoch nicht bei Frau Wagner. Der vorsitzende Richter erwähnte viele handgeschriebene Briefe, die ihn täglich erreichten. Frau Wagner dagegen meinte, dass die Anstalten Strukturen und Prozesse aufgebaut hätten, mit denen sie sich selbst gut kontrollieren könnten. Damit zeigte sie ungewollt genau auf die fehlenden Möglichkeiten der Kontrolle durch den Beitragszahler.
Carlos Gebauer zeichnete in seinem Abschluss-Statement ein schönes Bild: Wenn man die öffentliche Meinung und die veröffentlichte Meinung jeweils als einen Kreis darstellt, so sollte es uns im Interesse des gesellschaftlichen Friedens gelingen, dass diese beiden Kreise nicht nur am Rand überlappen, sondern möglichst deckungsgleich sind.
Vor dem Gerichtsgebäude hatten sich viele unzufriedenen Bürger bei einer Kundgebung eingefunden, die auch als Life-Stream von Leuchtturm ARD und Team Fuchs übertragen wurde. In den Redebeiträgen wurden die strukturellen Defizite des ÖRR deutlich thematisiert. Der Unmut der Menschen ist inzwischen nicht mehr zu ignorieren. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts wird insofern doch mit etwas Spannung zu erwarten sein.
Quelle: https://www.freie-medienakademie.de/medien-plus/aus-dem-gerichtssaal
Beate Strehlitz ist promovierte Diplomingenieurin in Rente und hat 33 Jahre als Wissenschaftlerin in einem Forschungszentrum gearbeitet.
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