Die strafrechtliche Verfolgung eines Mannes, der Robert Habeck als Schwachkopf bezeichnete, ist nicht nur kleinlich und kleinkariert: Sie ist kleinbürgerlich geprägt.
Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente
Ein 64-jähriger Rentner bekam vor einigen Tagen Besuch von der Polizei. Hausdurchsuchung. Grund: Er hatte bei X ein Bild von Robert Habeck gepostet und drunter stand »Schwachkopf Professional«. Da musste die Exekutive natürlich einschreiten – bevor Schlimmeres geschieht. Später erfuhr man dann, dass der Herr Minister selbst Anzeige erstattete. Worauf die Causa ein Geschmäckle bekam, wie man dergleichen zuweilen nennt. Dabei ist das schon mehr als nur etwas, das man mit schwäbischem Diminutiv abtun könnte: Es ist ein Geschmack – oder, um es mit einer beliebten Metapher aus dem korrupten Chicago der Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts zu sagen: Ein »Mundgeruch der Chicagoer Politik«.
Hier natürlich als »Mundgeruch der Berliner Blase«: Er drängt sich uns mit dieser Geschichte um den Rentner auf, der es wagte, den Wirtschaftsminister mit einer solch ehrrührigen Bezeichnung zu belegen. Es stinkt was im Lande – mehr als aus dem Mund. Dieses Land ist im Griff einer Funktionärskaste, die es geschafft hat, lächerliche Angriffe auf ihre Person zu einem Akt gegen den Staat zu verkaufen. Erst rechtfertigte die zuständige Staatsanwaltschaft die Hausdurchsuchung mit der Beleidigung – dann mit Volksverhetzung. Schade, dass es Majestätsbeleidigung nicht mehr gibt. Und was hätte man eigentlich mit dem Rentner angestellt, wenn es kein »Schwachkopf«, wenn es ein »Arschloch« gewesen wäre? Wäre es dann in Festungshaft gegangen? Oder Standrecht?
Herrschende kann man gar nicht beleidigen
Aushalten können: Das ist die Qualität, die man haben muss, wenn man an die Öffentlichkeit strebt. Vor vielen Jahren hat das der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl den Jungspunden Thomas Gottschalk und Günther Jauch erklärt: Keiner zwang ihn Parteivorsitzender, keine zwang ihn Bundeskanzler zu werden – also müsse er es aushalten. In der Rückschau wirkt dieser in seiner Amtszeit ständig als provinziell verschriene Kanzler wie ein staatsmännischer Koloss – und neben denen, die heute Politik schauspielern, ist das nicht nur Einbildung, sondern Tatsache: Von Helmut Kohl kann heute mancher etwas lernen. Der kleinliche Habeck allen voran: Keiner zwang ihn Wirtschaftsminister zu werden – also hätte er manches auszuhalten. Stattdessen bemüht er regelmäßig die Behörden, wie man liest.
Natürlich winden die sich. Erst teilte die Staatsanwaltschaft mit, man habe das Heim des Mannes durchsucht, weil der Minister beleidigt wurde – einen Tag später schob man nach, dass es außerdem um Volksverhetzung ginge. Er hätte auch etwas Antisemitisches in die Welt – das heißt in X – gesetzt. Schon im Frühjahr dieses Jahres soll er ein Bild gepostet haben, auf dem ein SA-Mann mit einem Plakat zu sehen gewesen sei. Darauf zu lesen: »Deutsche kauft nicht bei Juden«. Und er selbst kommentierte das Bild so: »Wahre Demokraten! Hatten wir alles schon mal!« So berichtete es die Tagesschau. Lässt sich an diesem Bericht eigentlich die antisemitische Verfehlung festmachen? Ist dies wirklich Befürwortung der SA und des Judenboykotts? Oder könnte das nicht auch so verstanden werden, dass er diese vermeintlich wahren Demokraten von einst, die jüdische Geschäfte boykottierten, gar nicht wolle – man habe ja gewissermaßen schon gesehen, wo solche wahren Demokraten uns hinführten.
Man weiß es nicht – beides ist möglich. Und solange man es nicht genauer sagen kann, sollte man mit Vorsicht darüber sprechen und berichten. Außerdem hat der Vorfall nun wirklich nichts mit Schwachkopfgate zu tun. Denn so oder so: Eine Hausdurchsuchung wegen Beleidigung ist und bleibt auch dann nicht nachvollziehbar, wenn man einen weiteren Tatbestand hinzufügt, der schon Monate her ist. Daher zurück zum eigentlichen Thema: Armin Laschet zeigte indes, dass er eher auf den Spuren Kohls wandelt – die Herrschenden als »Idioten, Schwachköpfe und Deppen« zu bezeichnen: Das dürfe man in der Demokratie. In Diktaturen allerdings nicht. Hat dieser Robert Habeck etwa Qualitäten, die ihn für ein anderes Staatswesen qualifizieren? Sind seine kleinbürgerlichen Affekte demokratietauglich – oder sind sie nicht etwa ergiebiger in einer Staatsform und Denkschule, die sich das Thema der Ordnung mit einer gewissen Pedanterie und hart am Polizeiruf widmet?
Der Mundgeruch des Spießers
Spontan denkt man da an jene Gestalten, die am Fensterbrett hängen und Falschparker aufschreiben – in modernisierter Form fahren sie durch die Gassen und weisen sich als Anzeigenhauptmeister aus. Kleinkarierte Ordnungsbesessene, denen es nicht um das eigene Recht geht – ihr persönlicher Parkplatz ist ja nicht besetzt –, sondern um die bloße Einhaltung der Regeln um der Regeln willen. Dieses Milieu hat man bis vor einige Zeit noch das Kleinbürgertum genannt – ursprünglich war damit die Unterschicht des Bürgertums gemeint. Im Laufe der Zeit verstand man darunter auch das sogenannte Spießbürgertum – also eine Gesellschaftsschicht, bei der es für bürgerliche Saturiertheit nicht mehr reichte, die sich aber auch nicht dem Proletariat zugehörig fühlten. Zwischen den Klassen steckend, so könnte man mutmaßen, entwickelte sich eine Verbitterung, die in Kleinlichkeit mündete und die in der bürgerlichen Gesetzes- und Regeltreue offenbar ein Ventil fand, sich dennoch über jene zu erheben, die sie als gesellschaftlich schwächer erachten.
Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog ad sinistram. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. Er war Kolumnist beim Neuen Deutschland und schrieb regelmäßig für Makroskop. Seit 2022 ist er Redakteur bei Overton Magazin. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main. Im März 2018 erschien sein Buch „Rechts gewinnt, weil links versagt“.
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