In einer Zeit, in der die geopolitischen Tektonikplatten mit atemberaubender Geschwindigkeit verschieben, hat die Trump-Administration einen ambitionierten Vorstoß in Zentralasien unternommen – und ist prompt auf Granit gestoßen.
Ein Beitrag von Pepe Escobar

Ein pompöses Dinner im Weißen Haus mit den Staatschefs der fünf zentralasiatischen Republiken sollte den Auftakt zu einem neuen Kapitel US-amerikanischer Dominanz im Heartland Eurasiens markieren. Stattdessen entpuppte sich der Abend als diplomatisches Schauspiel, das die wahren Machtverhältnisse in der Region schonungslos offenlegte. Kaum 48 Stunden nach den Huldigungen an Donald Trump als „Präsidenten der Welt“ landete Kasachstans Präsident Kassym-Schomart Tokajew in Moskau – und unterzeichnete eine strategische Partnerschaft mit Wladimir Putin. Die Botschaft könnte klarer nicht sein: Zentralasien bleibt fest in der eurasischen Umlaufbahn von Russland und China verankert
Der 35-Milliarden-Dollar-Schwindel
Die Schlagzeile war atemberaubend: Ein 35-Milliarden-Dollar-Investitionsabkommen mit Usbekistan, das bis 2035 auf 100 Milliarden anwachsen soll. Doch bei genauerem Hinsehen zerfällt die Ankündigung wie ein Kartenhaus. Kein einziges Detail wurde preisgegeben – weder beteiligte Unternehmen, noch Finanzierungsquellen, noch konkrete Projekte. Wer soll diese Summen stemmen? Chevron und ExxonMobil haben bereits Fuß gefasst, aber 35 Milliarden aus dem Nichts? Das riecht nach politischer Illusion, nach einem Versuch, amerikanische Kampfkraft zu projizieren, wo reale wirtschaftliche Substanz fehlt.
Die zentralasiatischen Staaten spielten mit. Sie mussten. Ein Abend in Mar-a-Lago oder im Weißen Haus ist schließlich der Hof des Löwenkönigs. Schmeicheleien, Händedrücke, vage Versprechungen – und am nächsten Tag die Realität: Tokajews Moskau-Besuch. Kasachstan, geopolitisch das Schwergewicht der Region, exportiert Energie, während Usbekistan primär Transitland für Pipelines bleibt. Turkmenistans Gas fließt ausschließlich nach China – durch eine Pipeline, die Peking selbst gebaut hat. Für die USA bleibt nichts übrig.
Die Multivektor-Politik als Schutzschild
Kasachstan verkörpert die raffinierte Multivektor-Politik Zentralasiens: gute Beziehungen zu allen, Allianzen mit niemandem zu 100 Prozent. Europäer investieren in die Energiewirtschaft, Amerikaner sind präsent, doch die strategische Nummer eins bleibt Russland, die geoeconomische China. Die USA? Ein ferner Dritter, die Türkei ein noch fernerer Vierter. Diese Hierarchie ist kein Geheimnis – sie ist gelebte Realität.
Tokajew rettete 2022 nur knapp sein Amt, als russische Truppen eine Farbrevolution im Keim erstickten. Seither weiß Astana: Moskau ist der Garant der Stabilität. Der Weiße-Haus-Besuch war Pflichtübung, ausgelöst durch Gespräche mit US-Geschäftsleuten am Rande der UN-Generalversammlung. Alte State-Department-Veteranen der Zentralasien-Desks könnten die Gästeliste zusammengestellt haben – Marco Rubio jedenfalls kann Turkmenistan kaum auf der Karte finden.
Das Scheitern der Cheney-Doktrin 2.0
Die aktuelle Offensive erinnert fatal an die 2000er Jahre unter Dick Cheney. Damals schwärmten US-Handelsmissionen alle paar Monate nach Zentralasien aus, um Turkmenistan und Kasachstan von Russland loszueisen. „Vergesst Moskau, verkauft euer Gas an uns, wir bauen Basen.“ Es scheiterte kläglich. Turkmenistan schloss stattdessen ein Mega-Deal mit China ab – Pipeline inklusive, finanziert von Peking. Als Washington aufwachte, war die Sache gelaufen.
Heute wiederholt sich das Muster. Die USA träumen von Militärbasen, von „strategischem Zugang“, Logistik, Training. Afghanistan bleibt der Trauma-Fall: Die Taliban werden keine Bagram-Basis zurückgeben – in einer Billion Jahren nicht. Die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) hat eine klare Linie: ein stabiles, afghanisch regiertes Afghanistan ohne ausländische Truppen. Punkt.
Die eurasische Integration als unumkehrbarer Prozess
Zentralasien ist Teil eines größeren Ganoms: der eurasischen Integration. Belt and Road, Eurasische Wirtschaftsunion, BRICS – Kasachstan ist Mitglied in allem. Die Khorgos-Trockenhäfen an der chinesisch-kasachstanischen Grenze sind das Herzstück der Neuen Seidenstraße. Güterzüge aus Ostchina rollen nach Rotterdam oder Madrid. Eine US-Basis in Kasachstan? Undenkbar. Russland und China würden vetoen.
Die innere Komplexität Kasachstans – der Clash zwischen dem atlantisch gesinnten Nazarbajew-Clan und dem chinafreundlicheren Tokajew – macht Washington nervös. Jede Bewegung wird millimetergenau beobachtet. Doch Astana weiß: Die Beziehungen zu Moskau und Peking sind existenziell. Der Moskau-Besuch war die Antwort auf alle Fragen.
Von Zentralasien nach Lateinamerika: Die Monroe-Doktrin auf Steroiden
Wo Zentralasien verschlossen bleibt, richtet sich der imperiale Furor auf andere Regionen. Lateinamerika steht im Visier – die Monroe-Doktrin erlebt ihre Renaissance. Venezuela mit seinem Öl, Lithiumvorkommen in Bolivien, Kupfer in Chile: Rohstoffe sind das Einzige, was zählt. Kolumbiens Präsident Gustavo Petro warnte jüngst vor Raketen über dem Karibischen Meer – eine verschlüsselte Botschaft an Washington und seine europäischen Kriegstreiber.
Der „War on Terror“ als größte Lüge des 21. Jahrhunderts
Die Maskerade erreicht ihren Höhepunkt in Syrien. Der ehemalige Al-Kaida-Kommandant in Idlib, Ex-ISIS-Emir, Kopfabschneider – empfangen im Weißen Haus. „Tough guy“, lobt Trump. Die Wahrheit: Der „Krieg gegen den Terror“ war nie ein Krieg gegen Terror, sondern ein Krieg des Terrors gegen erfundene Feinde. Al-Kaida war eine Erfindung, geboren in Peshawar 1980, genährt in Camp Bucca. ISIS ein Spin-off. Die Briten – Meister der Covert Ops – schufen die psychologischen Profile, drehten die Figuren um, wenn es passte. Von Kopfabschneider zu „moderatem Politiker“ in einem Wimpernschlag.
Wikileaks enthüllte es bereits: „Al-Kaida is with us.“ Jetzt die grafische Bestätigung. Trillionen Dollar verbrannt, Millionen Tote – alles für die Expansion des zionistischen Projekts in Westasien. Der 11. September? Der Tag, an dem Cheney den „War on Terror“ ausrief. Der Tag, an dem das Pentagon-Büro für die Prüfung von 2,3 Billionen Dollar verschwundenem Geld getroffen wurde. Zufall?
Chinas unaufhaltsamer Innovationssprung
Während das Imperium in Rage versinkt, marschiert China voran. Huawei entwickelt ein eigenes EUV-Lithografiesystem – günstiger, schneller, einfacher als ASMLs Monopoltechnologie. Ab 2026 sollen 3-Nanometer-Chips „Made in China“ produziert werden. Keine Abhängigkeit mehr von ausländischen Lieferanten. Nvidia-Chef Jensen Huang ahnt das Unheil: Der chinesische Markt ist verloren, und bald überholt Peking die gesamte US-Halbleiterindustrie.
Das ist das Ergebnis von Jahrzehnten Planung: Made in China 2025 wird Realität. In sieben von neun Hightech-Feldern ist China bereits führend. Semiconductors und KI sind die letzten Bastionen – und sie fallen. Datenbanken des Staates müssen künftig nur noch chinesische Chips nutzen. Energie? Kein Problem. Xinjiang exportiert billigen Strom aus Wind und Sonne in ganz China. Fünf-Jahres-Pläne, Meritokratie, harte Arbeit – das ist der chinesische Weg.
Meritokratie contra Casino-Kapitalismus
Vergleichen Sie: Der Westen lebt von Finanzialisierung, Spekulation, Wall Street. China von Produktion, Planung, Bildung. Eine fleißige, disziplinierte Bevölkerung, die Fünf-Jahres-Pläne von unten nach oben mitgestaltet. Das Ergebnis: 5 Prozent Wachstum in einem Land von 1,4 Milliarden Menschen – gigantisch. Xinjiang wächst mit 8 Prozent. Moderne Städte entstehen über Nacht, Arbeitslosigkeit unbekannt, Bettler inexistent.
Der soziale Kontrakt lautet nicht „Wir machen euch reich“, sondern „Wir bauen eine moderat wohlhabende Gesellschaft“. Bis 2049 soll sie stehen. Man sieht es: in den Oasen am Taklamakan, in den Malls von Ürümqi, in der selbstbewussten Haltung der Bürger. Nationalstolz ohne Arroganz. Modernisierung im Rekordtempo.
Das Ende der westlichen Illusionen
Washington versteht das nicht. Sunzi? Unbekannt. Den Gegner studieren? Fehlanzeige. Stattdessen Konfrontation, Containment, Kalter-Krieg-Mentalität. China beweist: Sein Modell ist überlegen. Keine Oligarchien, keine Casino-Spielchen. Eine Meritokratie, die liefert.
Das Imperium tobt – aus Verzweiflung, Ohnmacht, Ressentiment. Es hat keine Karten mehr gegen die russisch-chinesische Partnerschaft. Plan B: Verführung, wo möglich; Zerstörung, wo nötlich. Doch Zentralasien bleibt verschlossen. Lateinamerika wird zum nächsten Schlachtfeld. Und China? Es baut weiter – unaufhaltsam, planvoll, zukunftsgewiss.
Die Heartland-Strategie ist tot, bevor sie geboren wurde. Eurasiens Integration schreitet voran. Der Westen bleibt zurück – gefangen in seinen eigenen Lügen, während die Welt sich neu ordnet.
Quelle: uncut-news.ch
Pepe Escobar ist ein brasilianischer investigativer Journalist. Er analysiert geopolitische Zusammenhänge. Er schrieb regelmäßig zwischen 2010 und 2014 die Kolumne „The Roving Eye“ für die Asia Times Online. In Brasilien schrieb er für die Zeitungen Folha de S. Paulo, O Estado de S. Paulo und Gazeta Mercantil.
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