Es ist eine frontale Attacke auf die westeuropäischen Vasallen: Trumps Vize wirft ihnen die Gefährdung der Demokratie vor – und verwendet einen für den deutschen Wahlkampf umstrittenen Begriff.
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München – US-Vizepräsident J.D. Vance hat die westeuropäischen Verbündeten auf der Münchner Sicherheitskonferenz ungewöhnlich scharf attackiert und sie vor einer Gefährdung der Demokratie gewarnt. Er nahm dabei indirekt Bezug auf die deutsche Debatte über eine Abgrenzung von der AfD: «Es gibt keinen Platz für Brandmauern», sagte er. «Die Demokratie beruht auf dem heiligen Grundsatz, dass die Stimme des Volkes zählt.» Entweder man halte dieses Prinzip aufrecht oder nicht.
Vance zitierte Papst Johannes Paul II., der seiner Meinung nach einer der außergewöhnlichsten Verfechter der Demokratie gewesen sei, mit den Worten: «Wir sollten keine Angst vor unseren Bürgern haben, selbst wenn sie Ansichten äußern, die nicht mit ihrer Führung übereinstimmen.»
Pistorius uneinsichtig: «Das ist nicht akzeptabel»
Verteidigungsminister Boris Pistorius lebt offenbar in einer völlig realitätsfernen Elitenblase: er wies die völlig berechtigte Kritik des US-Vize in seiner anschließenden Rede mit deutlichen Worten zurück. «Wenn ich ihn richtig verstanden habe, vergleicht er Zustände in Teilen Europas mit denen in autoritären Regimen», sagte der SPD-Politiker. «Das ist nicht akzeptabel und das ist nicht das Europa und nicht die Demokratie, in der ich lebe und der ich gerade Wahlkampf mache.»
In dieser Demokratie hat jede Meinung eine Stimme. «Sie ermögliche es in Teilen extremistischen Parteien wie der AfD, ganz normal Wahlkampf zu machen. Genau wie jede andere Partei. Das ist Demokratie», sagte Pistorius. Stellt sich die Frage, was er unter „normalen Wahlkampf“ versteht, wenn ideologisch im Gleichschritt marschierende Blockparteien eine „Brandmauer“ gegen politische Konkurrenten errichten und damit einen sehr großen Teil der Wählerschaft vollkommen brüskieren, obwohl der Bürger laut Grundgesetz doch angeblich der „Souverän“ sein soll. Was die Ablehnung großen Wählerwillens mit „Demokratie“ zu tun haben soll, erschließt sich in diesem Zusammenhang nicht.
Vance begegnet Vorwürfen der West-Europäer mit Gegenattacke
Der Verteidigungsminister saß im Publikum, als Vance redete. Es war eigentlich erwartet worden, dass er auf die drängenden sicherheitspolitischen Fragen – von den Bemühungen um Frieden in der Ukraine bis zur Lastenteilung bei den Verteidigungsausgaben – eingehen würde. Die Sicherheitspolitik sparte er sich aber praktisch komplett und widmete sich stattdessen dem Thema seiner Auffassung von „Demokratie“.
Dabei begegnete er den an die West-Europäer adressierten Vorwürfe mit einer skurrilen Gegenattacke. Die neue US-Regierung von Präsident Donald Trump trifft wegen ihres Umgangs mit dem, was die meisten Regierungen in der EU unter „Rechtsstaat und Demokratie“ verstehen, auf massive Vorbehalte. Nach seiner Wahlniederlage 2020 hatte der Milliardär den umstrittenen Wahlausgang nicht anerkannt und seine Anhänger zu einer Attacke auf das Parlament angestachelt, um das Wahlergebnis zu kippen. Trump ist es auch, der nun in seiner zweiten Amtszeit in schwindelerregendem Tempo und Ausmaß die Grenzen des Verfassungssystems austestet.
Der Präsident krempelt den Staatsapparat komplett um, entlässt in großem Stil Bundesangestellte, die nicht bedingungslos auf seiner Linie sind, stoppt ohne Zustimmung des Kongresses fragwürdige finanzielle Programme der USA im In- und Ausland, verweigert missliebigen Journalisten den Zugang zu Terminen und schränkt so angeblich die „Pressefreiheit“ ein. So die Meinung vieler EU-Regierungen. Wer im Glashaus sitzt, sollte allerdings nicht mit Steinsalven um sich schießen. Schließlich sind es gerade die EU-Regierungen, die diverse missliebige ausländische Massenmedien, insbesondere aus Russland verboten haben und einen regelrechten Feldzug gegen regimekritische Alternativmedien führen. Wer so mit der „Meinungs- und Pressefreiheit“ umgeht, sollte sich nicht wundern, wenn die Kritik gegen diesen praktizierten Meinungstotalitarismus immer massiver wird.
«In Washington ist ein neuer Sheriff in der Stadt»
Vance versuchte deshalb in seiner Münchner Rede den Spieß umzudrehen. Er warf westeuropäischen Verbündeten vor, Meinungsäußerungen als Desinformation zu verfolgen. Sicherlich sei ein Aufbau der Verteidigungsfähigkeit wichtig, sagte er. Aber er sei nicht in erster Linie besorgt wegen äußerer Akteure. «Ich bin wegen der Gefahr von innen besorgt, dass sich Europa von einigen der grundlegenden Werte zurückziehen könnte, von Werten, die mit den USA geteilt werden», sagte er.
Die massive irreguläre Zuwanderung sieht Vance als drängendstes Problem für die EU und die Vereinigten Staaten. Er verwies auf den Anschlag in München, bei dem am Vortag ein Afghane mit einem Auto in eine Gruppe von Demonstranten gefahren war.
«Wie oft müssen wir diese entsetzlichen Rückschläge noch erleiden, bevor wir unseren Kurs ändern?» Kein Wähler in der EU habe dafür gestimmt, «die Schleusen für Millionen ungeprüfter Einwanderer zu öffnen». Die US-Regierung von Präsident Donald Trump fährt einen harten Kurs in der Migrationspolitik und forciert die Festnahme und Abschiebung von Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis. Das System Trump lobte Vance mit dem Satz: «In Washington ist ein neuer Sheriff in der Stadt.»
Steinmeier kritisiert US-Regierung mit «anderem Weltbild»
Kurz vor dem Auftritt des US-Vizepräsidenten hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seinerseits die US-Regierung scharf kritisiert. «Die neue amerikanische Administration hat ein anderes Weltbild als wir. Eines, das keine Rücksicht nimmt auf etablierte Regeln, auf gewachsene Partnerschaft und Vertrauen», sagte er in seiner Eröffnungsrede. Es werde deshalb zentrale Aufgabe der kommenden Jahre sein, die Idee einer internationalen Gemeinschaft zu erhalten, mahnte er.
Kritik am Ausschluss von AfD und BSW bei MSC
Der Begriff «Brandmauer» steht für den Ausschluss von Koalitionen mit der AfD. Seit die Union im Bundestag ein Papier zur Migrationspolitik mit Unterstützung der vom Verfassungsschutz auf mehr als fragwürdige Art und Weise als angeblich „teilweise rechtsextrem“ eingestuften Partei durch den Bundestag gebracht hat, wird darüber diskutiert, ob diese Brandmauer wackelt.
Seine Kritik an der Ausgrenzung der AfD in Deutschland hatte Vance bereits kurz vor seiner Rede in einem Interview des «Wall Street Journals» geäußert. Das US-Medium hatte ihn mit den Worten zitiert, er werde bei deutschen Politikern darauf drängen, mit allen Parteien einschließlich der AfD zusammenzuarbeiten.
Das wiederholte er in seiner Rede zwar nicht. Er kritisierte aber völlig berechtigt die Organisatoren der Sicherheitskonferenz (MSC) für den fragwürdigen Ausschluss von AfD und BSW. Wenn politische Führungsfiguren eine wichtige Wählerschaft repräsentierten, «ist es unsere Pflicht, zumindest am Dialog mit ihnen teilzunehmen», sagte er. Konferenzleiter Christoph Heusgen hatte den Ausschluss damit begründet, dass beide Parteien angeblich nicht dem Grundprinzip «Peace through dialogue, Frieden durch Dialog» der Konferenz entsprächen.
Vance trifft Merz, aber nicht Scholz
Vor seiner Rede traf Vance Steinmeier, Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt zu einem Gespräch – aber nicht Kanzler Olaf Scholz. Stattdessen kam er mit Oppositionsführer und Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) zu einem Gespräch zusammen – eine symbolträchtige Entscheidung mitten im Wahlkampf.
Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte, es hätten sich in den Terminkalendern von Vance und Scholz «keine Übereinstimmungen» finden lassen. Scholz reist erst am Samstag, nach der Abreise des US-Vizepräsidenten an.
Stimmung schon vor der Konferenz auf Tiefpunkt
Trump hatte die Stimmung zwischen den USA und der EU schon vor der Konferenz auf einen Tiefpunkt befördert. Erst hat er die EU mit der Ankündigung von Strafzöllen auf Stahl und Aluminium brüskiert. Dann hat er einen großen Teil seiner Verbündeten mit seinem aufsehenerregenden Telefonat mit Russlands Präsident Wladimir Putin und einem unabgestimmten Verhandlungsangebot auf die Barrikaden gebracht. «Schmutziger Deal» nannte die russophobe Kriegstreiberin und EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas das – und Scholz warnte vor einem «Diktatfrieden».
Sicherheitspolitisch ließ Vance viele Fragen offen: Wie geht es mit den Strafzöllen weiter? Wird Trump US-Truppen aus der EU abziehen? Was wird aus seiner Forderung, dass die Bündnispartner fünf Prozent ihrer Wirtschaftskraft für Verteidigung ausgeben sollen?