Unbelehrbare Westeliten: „Multipolarisierung“ ist schlecht – der Münchner Sicherheitsbericht 2025

Die globale Mehrheit setzt ihre Hoffnungen auf eine multipolare Weltordnung. Schon in einem Vorfeld-Bericht der Münchner Sicherheitskonferenz wurde dagegen der konfliktreiche Charakter der „Multipolarisierung“ betont, was die westliche Präferenz für Konfrontation statt Kooperation widerspiegelt.

Eine Analyse von Rainer Rupp

US-Vizepräsident J.D. Vance winkt, als er an Bord der Air Force Two geht, um vom internationalen Flughafen München nach Washington zurückzufliegen. dpa

Der Bericht, der die Konferenz begleitete, umfasst neun Kapitel auf insgesamt 120 Seiten Text. Die Einleitung beginnt mit einer inzwischen zur Binsenweisheit gewordenen außenpolitischen Feststellung, dass nämlich die Welt immer multipolarer wird. Ob die Welt heute bereits multipolar sei, ließe sich diskutieren, so die Autoren, doch die „Multipolarisierung“ an sich sei eine Tatsache:

„Einerseits verschiebt sich die Macht zu einer größeren Anzahl von Akteuren, die Einfluss auf globale Schlüsselprobleme nehmen können. Andererseits erlebt die Welt eine zunehmende Polarisierung sowohl zwischen als auch innerhalb vieler Staaten, was gemeinsame Ansätze zur Bewältigung globaler Krisen und Bedrohungen erschwert.“

Das heutige internationale System zeige „Elemente von Unipolarität, Bipolarität, Multipolarität und Nichtpolarität“. Dennoch sei eine eindeutige Verschiebung hin zu einer größeren Anzahl von Staaten, die um Einfluss ringen, erkennbar. Diese Multipolarisierung zeige sich nicht nur in der Verteilung materieller Macht, sondern auch in der ideologischen Polarisierung der Welt. Der politische und wirtschaftliche Liberalismus, der die unipolare Nachkriegszeit geprägt hat, sei nicht mehr der alleinige Maßstab. Er werde sowohl intern durch den Aufstieg von nationalistischem Populismus in vielen liberalen Demokratien als auch extern durch eine wachsende ideologische Spaltung zwischen Demokratien und Autokratien herausgefordert, sowie durch die Existenz mehrerer konkurrierender oder sich bekämpfender Ordnungsmodelle.

Diese Multipolarisierung löse laut der Autoren „weltweit gemischte Gefühle aus“.

„Optimisten sehen Chancen für eine inklusivere globale Regierungsführung und mehr Beschränkungen für Washington, dessen Dominanz lange von vielen als übermächtig angesehen wurde.

Pessimisten warnen vor einem erhöhten Risiko von Unordnung und Konflikten und einer untergrabenen effektiven Zusammenarbeit.“

Laut dem Münchner Sicherheitsindex 2025 stehen die Menschen in den G7-Ländern einer multipolare Welt weniger optimistisch gegenüber als die Befragten in den „BRICS“-Ländern, wobei nationale Ansichten durch unterschiedliche Perspektiven auf die aktuelle und die jeweils wünschenswerte zukünftige internationale Ordnung geprägt sind.

Kapitel 2 des Berichts beschäftigt sich mit Donald Trumps Präsidentschaftssieg. Der habe den US-amerikanischen Konsens in der Außenpolitik nach dem Kalten Krieg begraben, wonach der liberale Internationalismus als Großstrategie den US-Interessen am besten dienen würde. Für Trump und viele seiner Unterstützer stelle die von den USA geschaffene internationale Ordnung einen schlechten Deal dar. Wörtlich heißt es weiter:

„Als Konsequenz könnten die USA ihre historische Rolle als Sicherheitsgarant Europas aufgeben – mit erheblichen Folgen für die Ukraine. Die US-Außenpolitik der kommenden Jahre wird wahrscheinlich vom bipolaren Wettstreit mit Peking geprägt sein, was die Multipolarisierung des internationalen Systems beschleunigen könnte.“

In Kapitel 3 geht es um China als den angeblich „prominentesten und mächtigsten Befürworter einer multipolaren Ordnung“ wobei sich Peking gern als Anwalt für die Länder des sogenannten Globalen Südens ins Spiel bringt. Viele im Westen würden jedoch hinter Pekings Plädoyer für Multipolarität lediglich einen rhetorischen Vorhang sehen, hinter dem „der große Machtwettbewerb mit den USA stattfindet.“ Trotz Chinas erheblichem Erfolg, die Unzufriedenen der aktuellen Weltordnung zu mobilisieren, stünde das Land aktuell vor hausgemachten Hindernissen. Zudem würden unter Präsident Trump die Bemühungen der USA, China zu behindern, wahrscheinlich intensiviert werden, aber im Gegenzug könnte China auch von einem Rückzug der USA aus internationalen Verpflichtungen oder der Entfremdung Washingtons von langjährigen Partnern profitieren.

Der EU widmet sich das Papier unter Kapitel 4. Weil – so die Autoren – die EU die liberale internationale Ordnung verkörpert, stellten die wachsenden Anfechtungen zentraler Elemente dieser Ordnungsvorstellung eine besonders schwerwiegende Herausforderung für die EU dar. Russlands Krieg gegen die Ukraine und der Aufstieg des nationalistischen Populismus in vielen europäischen Gesellschaften gefährdeten ebenfalls zentrale Elemente der liberalen Vision der EU. Weiter heißt es unter Kapitel 4:

„Donald Trumps Wiederwahl könnte diese Herausforderungen noch verstärken und die Debatte wiederbeleben, ob die EU zu einem autonomen Pol in der internationalen Politik werden muss. Gleichzeitig könnte dies populistische Bewegungen ermutigen, die die inneren Spaltungen Europas vertiefen und die Fähigkeit der EU, die Krisen zu bewältigen, untergraben.“

Die Abrechnung mit Russland kommt in Kapitel 5. In diesem Jahrhundert habe „kein Staat mehr Energie darauf verwendet, die internationale Ordnung zu erschüttern, als Russland“, heißt es dort. Moskau stelle sich eine multipolare Weltordnung vor, die aus „Zivilisationsstaaten“ besteht, wie Russland sich selbst sieht. Kleinere Länder – für Russland zählt die Ukraine dazu – gehören nach Moskauer Sichtweise in die Einflusszone eines Zivilisationsstaats. Auch die nächste Passage aus Kapitel 5 ist wichtig, um zu erkennen, wessen Geisteskind die Autoren des Berichts sind, bzw. von welchem Informationsniveau aus sie argumentieren, denn dort heißt es:

„Trotz der Diskrepanzen zwischen Moskaus Selbstbild und seiner tatsächlichen Machtbasis sind Russland Bemühungen erfolgreich, die Stabilisierung der internationalen Ordnung zu stören. Gleichzeitig steht Russland vor wachsenden wirtschaftlichen Problemen und den Folgen imperialer Überdehnung. Ob das Land seine Vision von multipolaren Einflusszonen umsetzen kann, hängt vom Widerstand anderer ab.“

In Kapitel 6 heißt es:

„Indische Führungskräfte kritisieren die bestehende internationale Ordnung und umarmen den Gedanken der Multipolarität, was untrennbar mit der Suche Indiens nach einem Platz unter den führenden Mächten der Welt verbunden ist.“

Während Neu-Delhi Fortschritte bei der Erhöhung des internationalen Profils Indiens mache, stünde auch Indien vor Herausforderungen: Extern wächst Chinas strategischer Fußabdruck unter Indiens Nachbarn. Zugleich leide Indiens Wirtschaft an strukturellen Schwächen. Zudem sei im Inland der politische und kulturelle Pluralismus im Niedergang. Und obwohl Neu-Delhi sich als Stimme des Globalen Südens positioniert hat, erweckt seine Politik der Mehrfachausrichtung Zweifel, ob Indien bereit ist, eine prominentere Rolle bei globalen Friedensbemühungen zu übernehmen. Letzteres ist eine kaum versteckte Kritik an Indiens Weigerung, sich für die westliche, antirussische Sanktionspolitik gegen Russland zu entscheiden.

In Teil II widmen sich die Autoren des Berichts mit multipolarem Fokus Japan, Brasilien und Südafrika. Der Beitrag mündet in einer Analyse des Polarisierungs- und Konfliktpotenzials, das in diesem Bericht der Münchner Sicherheitskonferenz steckt.

Rainer Rupp, Jahrgang 1945, arbeitete von 1977 bis 1989 für die Hauptverwaltung Aufklärung, die Auslandsspionage der DDR. Er war live dabei, als in den 80iger Jahren ein Atomkrieg geplant wurde. Rainer Rupp ist es zu verdanken, dass die NATO – Übung “Able Archer” 1983 nicht zum atomaren Armageddon führte. Er verhinderte es, als die Sowjetunion eine irrtümliche atomare Gegenreaktion auslöste.  Er wurde von der BRD-Justiz 1994 wegen Landesverrats zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Er arbeitete unter dem Decknamen „Topas“ und war der wichtigste Spion des Warschauer Paktes im NATO-Hauptquartier. Seit seiner Entlassung arbeitet er als Publizist. Im März 2023 organisierte er in Berlin die Friedenskonferenz «Dialog statt Waffen» mit ehemaligen Generälen der Bundeswehr und der Nationalen Volksarmee. 

Rainer Rupp ist Mitglied des Beirats des Deutschen Freidenker-Verbandes

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen. 

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