Wir werden unsere Helden nie vergessen. Ihr Tod war nicht sinnlos. Denn süß und ehrenvoll ist es, für das Vaterland zu sterben? Das ist alles Unsinn! Heldentode sind schnell vergessen.
Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente

Früher oder später stößt man bei Spaziergängen durch deutsche Städte oder Dörfer auf Mahnmale, wo jungen Männern gedacht wird, die im Felde geblieben sind – das ist ein blumiger Ausdruck für getötetes Militärpersonal, welches seine letzten Lebensminuten im Morast verbrachte. Im tiefgängigen, mit Blut gedüngtem Gelände. Gestorben fürs Vaterland. Heldentod – das steht auch manchmal an diesen Gedenkstätten. Das Mahnmal soll anzeigen: Euch vergessen wir nicht. Niemals!
Die Wahrheit ist zuweilen grausam. Denn seien wir ehrlich: Wer gedenkt heute noch der jungen Helden, die zwischen 1914 und 1918 ihr Leben ließen? Und wie lange gedachte man ihnen in der Zeit nach dem ersten großen Weltenbrand? Sicher, die Mutter dachte lange an den tapfer für die Nation getöteten Sohn, wenn sie nicht gerade der Hunger trieb, wenn sie nicht der Steckrübenekel im Griff hatte. Aber die Helden waren oft so jung, dermaßen ungefestigt im Zivilleben, außer Muttern gab es wenige, die sich lange erinnern wollten an den Josef, den Johann oder den Horst. Mancher Soldat hatte schon eine Liebste, vielleicht auch ein Kind: Letzteres erinnerte sich auch nicht an den Vater, der heldisch fiel. Wie an jemanden erinnern, den man nicht kannte?
Glückliche Kriegspatrioten
Natürlich spricht noch keiner in unserer zeitgenössischen Berliner Republik vom Heldentod. Dafür ist die Zeit noch nicht reif. Aber man führt die jungen Menschen langsam dorthin. Sie sollen sich an den Gedanken gewöhnen, dass ihr Leben das Pfand darstellt, das man einsetzt, wenn die Nation nach Höherem strebt. Und mancher junge Mann – es sind erstaunlicherweise keine Frauen, die eine Quote für den Feldeinsatz anstreben – kokettiert schon mit seiner Bereitschaft im Falle eines Ernstfalles. So wie jener junger Herr, den man bei Hart, aber unfair dem Autor Ole Nymoen gegenübersitzen ließ.
Anders als Nymoen sehe er Deutschland nicht als zerrissenes, als ausbeuterisches Land: Daher lohne es sich. Was genau sich lohnt? Na, zu kämpfen natürlich – und wer kämpft, der kann dabei umkommen. Sterben. Heldentod. Darum geht es final immer, wenn man junge Leute dazu ermutigen möchte, ihr Leben den großen Sache nachzuordnen.
Sigmar Gabriel kam bei Maybrit Illner auf das Glück zu sprechen. In den Krieg ziehe derjenige wesentlich lieber, der glücklich sei, ließ er vermelden – die Finnen seien ein glückliches Volk, laut World Happiness Report, daher wären sie eher kriegsbereit als die Deutschen. Ob der ehemalige SPD-Vorsitzende nun in Finnland Umfragen angestellt hat, die das belegen, blieb offen, ganz so wie Nachfragen ganz grundsätzlich gegen jeden guten Propagandastil sprechen würden – aber interessant ist ein ganz bestimmter Umstand dann schon: Endlich spricht mal wieder ein Sozialdemokrat vom Glück, für das man sich gesellschaftlich einsetzen müsse. Das wäre nach all dem Hartz IV und der Agenda 2010 ja echt mal nötig: Würde man das Glück hier bloß nicht so schamlos zweckentfremden wollen, um es zur Grundlage des ganz großen Unglücks namens Hurra-Kriegspatriotismus zu erklären.
Das scheint also Nymoens Defizit zu sein: Er ist nicht glücklich genug, um sich mitten ins schiere Pech vorzuwagen. Als glücklicher junger Mann würde er jetzt gerne im Dreck kriechen und Feinde abmurksen – und ja: Auch die eigene physische Existenzvernichtung als einen Wohlstandsgewinn einordnen.
Diskurs der Selbstaufopferung
Es ist eine große Leistung, den Krieg mit dem Glücksbegriff zu kombinieren, ohne dass es dabei zur Revolte kommt. Man stelle sich mal vor, Gabriel hätte von den Glücksmomenten eines Frauenserienmörders geschwafelt. Pietätlosigkeit hätte man ihm unterstellt. Aber junge Leute glücklich sehen zu wollen, damit diese das Gewehr schultern, um in den Krieg zu ziehen, da gehört eine Mischung aus Chuzpe und Debilität dazu. Und wirft nebenher die Frage auf: Muss man sich deutsche Wehrmachtssoldaten als vom Glück geküsste Kriegsschergen vorstellen? War das Dritte Reich also ein Hort des Glückes, Herr Gabriel?
Marcus Klöckner beschreibt das große Glück, sein Vaterland mit der Waffe in der Hand verteidigen zu müssen, mit folgenden brutalen Ausführungen in seinem aktuellen Buch: »Die Körper in Stücke gerissen, Gesicht weggeschossen, der Kopf zerfetzt, Arme, Bein im Feldlazarett amputiert oder gar gleich komplett durch die Hitzeentwicklung der explodierenden Bomben verdampft. Übrig bleibt: nichts mehr. Vielleicht ein Knochensplitter. Irgendwo im Boden. Der angeblich so kostbar ist. So war es jedenfalls immer. Warum sollte es dieses Mal anders sein?«
Der Kriegstod, der angeblich ein Heldentod ist, er degradiert das menschliche Leben zu einem Stück organischer Masse. Glück sieht im Normalfall nicht so aus – denn es hat mindestens Extremitäten. Sähe die ganz große Heldenhaftigkeit anders aus, wenn die jungen Leute in einem funktionierenden Staat leben würden? Hat die Kriegsbereitschaft schon verloren, als Anfang des Jahrtausends damit begonnen wurde, das Land auf Verschleiß zu fahren?
Ist man gerne ein Held in einem Land, für das man gut und gerne stirbt? Die Diskussionen, die in den Talkshows Deutschlands geführt werden, offenbaren den elitären Dünkel, mit dem man die Leben junger Menschen über Schachbretter zieht. Der junge Mann, der gegenüber Ole Nymoen saß und Sigmar Gabriel: Beide sind desselben Geistes Kind. Sie simulieren die Glückhaftigkeit des Soldatischen, beschwören den Geist der Selbstaufopferung für eine Gesellschaft, die ihnen angeblich alles gibt und der sie nun alles geben sollten. Wirklich alles! Wer so debattiert, hat den demokratischen Diskurs, in dem Menschen als Bürger vorkommen, längst verlassen und bedient den Jargon der Material- und Menschenschlacht, der Menschen nur als Kanonenfutter kennt.
Sigmar Gabriel und das Pack
Immanuel Kant kommt einen in den Sinn, wenn einem der Sinn danach steht jedenfalls. Man sollte stets so handeln, dass man den Nächsten jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel gebraucht: Hier spricht der Königsberger etwas an, was man derzeit in den Debatten um die Kriegsbereitschaft – bis neulich Kriegstüchtigkeit – vernehmen kann: Der Bürger muss zurückstehen, die bloße Verfügungsmasse Mensch tritt als Mittel zum Zweck in Erscheinung. Aber glücklich darf die Verfügungsmasse dann sein, denn – man kennt das aus der Schlachtbranche – nur glückliche Schweine tippeln ohne lautes Quieken in die Bolzenschusskammer.
Wenn einem also so ein Mahnmal von längst vergangenen Kriegshelden begegnet, ist das immer auch ein Eingeständnis, dass man den Menschen als Mittel entwertet hat, um einen Zweck zu erfüllen, den kein Mensch aus freien Stücken als Auftrag annehmen würde. Kriegerdenkmäler ehren nicht etwa den Heldentod, auch wenn sie das vorgeben. Sie versuchen denen, die »nicht das Glück hatten«, einer Schlacht auf Leben und Tod beizuwohnen, nur eines einzureden: Und es war trotzdem für eine gute Sache. Das Opfer war berechtigt. Denken Sie daran, bevor Sie Schuldige suchen.
Nichts ist heldenhaft in einem Krieg. Alles ist schrecklich dumm und sinnlos. Stellt eine Orgie der Menschenverachtung dar. Es gibt keinen Heldentod und kein Glück an der Schwelle zum Waffengang. Diese ganze Rhetorik klingt wie jene, die 1914 in den Krieg schlafwandeln ließ – oder wie jene, die die Nationalsozialisten in den Dreißigerjahren anwandten, um den Krieg wieder als Schule der Nation salonfähig zu machen. Man erinnere sich, wie Sigmar Gabriel einst Bürger in Ostdeutschland, die eine Nähe zur Pegida hatten, als rechtes Pack abtat – zehn Jahre ist das nun her. Nun klingt er wie ein nationalsozialistischer Publizist um 1938, wenn er das Glück beschwört, das in den Krieg weist.
Das Menschenfeindliche erwächst gerade aus der Mitte der politischen Landschaft – aus der Rhetorik der vermeintlichen Demokraten. Und das ist es, was die Sache noch gefährlicher macht, als sie ohnehin schon ist.
Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog ad sinistram. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. Er war Kolumnist beim Neuen Deutschland und schrieb regelmäßig für Makroskop. Seit 2022 ist er Redakteur bei Overton Magazin. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main. Im März 2018 erschien sein Buch „Rechts gewinnt, weil links versagt“.
Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.