Zum Liederverbot in Berlin: Sing, mein Volk, sing laut und ohne Furcht!

Wer würde wohl das Singen eines antifaschistischen Liedes, der antifaschistischen Hymne schlechthin, verbieten? Denklogisch gibt es auf diese Frage nur eine Antwort.

Ein Beitrag von Alexej Danckwardt

Shutterstock/ Sergey Kohl – Eine Aufnahme von 2015 am Sowjetischen Ehrenmahl in Berlin-Treptow

Versuche, Menschen das Singen zu verbieten, gelten in der Rechts- und Menschheitsgeschichte als besonders eklatante Beispiele von Tyrannei. Und zwar – mehr noch als Bücherverbrennungen – einer Tyrannei, die im Endstadium ihrer Monstrosität angekommen, in das Stadium des Absurden und der Lächerlichkeit tritt.

In Berlin wird das vierte Jahr in Folge nicht irgendein Lied verboten – das als Auflage für Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag des Sieges über den Hitlerfaschismus auferlegte Verbot trifft das Symbol des Kampfes gegen den Hitlerfaschismus schlechthin, die in den ersten Tagen nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion geschriebene Widerstandshymne „Der heilige Krieg“. Übersetzt in viele Sprachen der Welt, auch ins Deutsche, begleitete es die sowjetischen Soldaten in tausenden Schlachten und motivierte auch darüber hinaus Menschen zum Kampf gegen den Nazismus. 

Verboten ist es ausdrücklich. Hier verliest die Anmelderin einer antifaschistischen Kundgebung in Berlin die Auflagen und wir hören neben allerlei Absurdem und Unverschämtem auch dies: 

„Untersagt ist […] das Abspielen und Singen russischer Marsch- beziehungsweise Militärlieder, insbesondere aller Varianten des Liedes ‚Der heilige Krieg‘ in deutscher oder russischer Sprache.“

Was hat den Verfassern dieser Auflagen, die sich seit 2022 wiederholen, dieses Lied eigentlich angetan, dass sie es als einziges unter hunderten im Zweiten Weltkrieg gedichteten besonders hervorheben? Wie genau gefährdet es die „öffentliche Sicherheit“ während der Kundgebung (und nur zur Abwehr von unmittelbaren Gefahren in ihrem Verlauf sind Auflagen zulässig)? 

Bei aller Anstrengung fällt mir niemand ein, der sich an diesem Lied stören kann, außer eben ein glühender Hitleranhänger. Jeden anderen lässt es schlimmstenfalls kalt, bestenfalls weckt es Solidarität mit den Kämpfern, die mit ihm auf den Lippen fielen oder überlebten und siegten. Glühende Hitleranhänger in der Berliner Polizei und Ordnungsverwaltung? Alternativ fällt mir nur noch „bodenlose Dummheit“ als Erklärung ein, das war es aber auch.

Der Ukraine-Krieg kann zur Rechtfertigung des Verbots jedenfalls noch weniger als im Fall der Roten Fahne oder des Sankt-Georg-Bandes herhalten: Der „Heilige Krieg“ spielt im Zusammenhang mit ihm keine herausragende Rolle, auch die ukrainischen Antifaschisten haben andere Lieder zu Symbolen ihres Widerstandes gegen das Maidan-Regime auserkoren.

Und auch eine bodenlose Frechheit ist das Verbot: Da erdreisten sich in öffentliche Ämter hineingewachsene Nazi-Enkelchen, den Nachkommen der Sieger vorzuschreiben, wie sie ihrer Gefallenen gedenken und wie sie den großen Sieg ihrer Vorfahren feiern sollen. Eine späte Rache verbitterter Kleingeister, wie so vieles, das seit der Kanzlerschaft von Angela Merkel gegen Russland betrieben wird …

Für Russen und alle anderen sowjetischen Völker gehört dieses und andere Lieder („Tag des Sieges“, „Smugljanka-Moldawanka“) untrennbar zu dieser Feier dazu.

Es gibt keine martialischen und bösen Lieder aus und über den Zweiten Weltkrieg in Russland. Sie sind entweder aufmunternd oder zärtlich oder tragisch, manchmal zum Heulen tragisch („Wir waren drei nur übriggeblieben von achtzehn Jungs“). In diesen Liedern spricht die Seele des Volkes, das viel gelitten, viel verloren, einen hohen Preis gezahlt hat für den Sieg, der der gesamten Menschheit zugutegekommen ist. Da sind Liebe, Heimweh, Schmerz und Zuversicht. Vieles ist in diesen Liedern, nur kein Hass und keine Überheblichkeit, wie wir sie aus deutschen Militärliedern kennen. 

„Dieser Tag des Sieges riecht nach Pulver und nach Rauch,
Er ist ein Fest mit ergrautem Haar,
Er ist Freude mit Tränen in den Augen…“

Das Böse beim Namen zu nennen, wie es der „Heilige Krieg“ tut, ist es das, woran sich die Nazi-Enkel in Berliner Amtsstuben reiben? Fühlt sich da jemand auf der Passivseite angesprochen?

Steh auf, steh auf, du Riesenland!
Heraus zur großen Schlacht!
Den Nazihorden Widerstand!
Tod der Faschistenmacht! 

Es breche über sie der Zorn wie finstre Flut herein. 
Das wird der Krieg des Volkes, der Sieg der Menschheit sein. 

Den Würgern bieten wir die Stirn, 
den Mördern der Ideen. 
Die Peiniger und Plünderer, 
sie müssen untergehn. 

Es breche über sie der Zorn wie finstre Flut herein.
Das wird der Krieg des Volkes, der Sieg der Menschheit sein.

Ist es das, was stört? Und wen kann es überhaupt, denktheoretisch, nur stören?

Eben!

Was die Nazi-Enkel in den Berliner Amtsstuben nicht bedacht haben: Dort, wo das Singen von Widerstandsliedern verboten wird, wird das Singen zum Widerstand. Und das Singen lässt sich nicht aufhalten.

Was wollt ihr machen, ihr Tyrannenparodien? Alle Singenden verhaften? Die Zungen herausreißen? Erschießen wie Víctor Jara? Nur zu, gebt euch noch mehr Blößen, jeden Tag, damit die ganze Welt sieht, wessen Geistes Kinder ihr seid. 

Bislang ist jede Tyrannei gestürzt. In dem Moment, in dem sie sich erdreistete, Lieder zu verbieten, wusste jeder: Ihr Ende naht. Sing, mein Volk, sing überall! Sing laut und deutlich und ohne Furcht!

Wir sorgen dafür, dass der Brut 
die letzte Stunde schlägt. 
Den Henkern ein für alle Mal 
das Handwerk jetzt gelegt! 

Es breche über sie der Zorn wie finstre Flut herein. 
Das wird der Krieg des Volkes, der Sieg der Menschheit sein.

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.

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