„REspect“ und die Trusted Flagger oder: Denunzianten ohne Auftrag

  • POLITIK
  • Oktober 12, 2024
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Ein neues Wort macht die Runde: Trusted Flagger sollen im Internet für Ordnung sorgen. Doch das moderne Denunziantentum ist nichts anderes als die Verwischung des Rechts.

Ein Bericht von Tom J. Wellbrock.

Quelle: Shutterstock

In ihrer Sendung am 17. September 2024 hatte Sandra Maischberger den Tagesschau-Sprecher und Buchautor Christian Schreiber zu Besuch. Der stellte sein Buch „Lasst uns offen reden“ vor. Schreiber beklagt in dem Gespräch, dass das Benennen von Fakten bereits zu Feindseligkeiten führen könne. Er selbst hat in einem seiner Bücher islamische Predigten übersetzt und abgedruckt und erfuhr danach viele Anfeindungen, so sagte er bei Maischberger. Islamophob sei er, ein Populist, der Hass und Hetze verbreite.

Was hat nun aber dieses Gespräch bei Maischberger mit Trusted Flaggern zu tun? Der Zusammenhang erschließt sich, wenn man sich eine konkrete Frage der Moderatorin anschaut:

„Wo ist denn die Grenze? Wir haben hier zum Beispiel gesehen, dieses Lied, das sozusagen mit rechtsradikalen Parolen gesungen wird. Noch Meinung oder schon Hetze?“

Gemeint war das „berühmte“ Lied, das auf Sylt gesungen wurde (L’Amour toujours, gesungen als „Ausländer raus“). An dieser Stelle hätte Schreiber unter Beweis stellen können, wie wichtig ihm das freie Gespräch und die Meinungsfreiheit sind. Doch er antwortete:

„Das ist eine gute Frage, und das ist auch sicherlich in so einem Graubereich etwas, das Gerichte beschäftigen wird und sollte. Genauso wie zum Beispiel auch ‚From the river to the sea‘.“

Und Schreiber fährt fort:

„Ich würde in dem Fall zum Beispiel sagen (auch wenn es problematisch ist, auch im Falle von L’Amour toujours), dadurch, dass wir es in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr sehen, heißt es ja nicht, dass es nicht stattfindet.“

Maischberger wollte es genauer wissen und fragte nach:

„Also, wenn jemand sagt ‚Ausländer raus‘, ist das nun Meinung oder ist das Hetze? Soll man das dürfen im öffentlichen Raum oder dafür dann Konsequenzen (erfahren), so wie es dann eben auch passiert ist, dass man tatsächlich selber angegriffen wird, dass man den Job verliert, soll es so weit gehen?“

Und Schreibers Antwort zielte erneut darauf ab, dass etwas nicht verschwinde, wenn man es nicht sagen dürfe. Dennoch ließ er sich von der Moderatorin letztlich dazu hinreißen, zu sagen, dass man „Ausländer raus“ nicht singen dürfe, nicht singen könne und dass es Konsequenzen geben müsse.

Womit wir beim eigentlichen Thema wären.

Trusted Flagger (den Älteren vielleicht bekannt als Denunzianten) haben einen staatlich erteilten Auftrag. Sie sollen Illegales im Netz melden, dafür werden sie von der Bundesnetzagentur und dem Bundesfamilienministerium bezahlt. Nun, die Denunzianten werden nicht direkt bezahlt, aber die Logistik, die sie nutzen können.

Der Name der Meldestelle lautet „REspect“, pro Jahr werden üppige Summen fällig, angeblich mehrere Hunderttausend Euro. Wirklich neu sind solche Meldestellen nicht, aber diese kommuniziert ganz offen die eigenen geplanten Rechtsbrüche. Denn meldefähig sind nicht nur illegale Inhalte, sondern auch das, was in Deutschland vage als „Hass und Hetze“ bezeichnet wird.

Da der Denunziant traditionsgemäß nicht zu den beliebtesten Figuren einer Gesellschaft gehört und Anglizismen ohnehin das Tagesgeschäft der deutschen Sprache geworden sind, bietet sich der Trusted Flagger an, denn man übersetzt ihn mit „vertrauenswürdiger Hinweisgeber“. Und so kann er losziehen und das Netz nach „illegalen und schädlichen Inhalten“ durchforsten. Vom Staat erhält der Hinweisgeber eine bevorzugte Behandlung, auf X, TikTok oder YouTube müssen seine Meldungen besonders schnell bearbeitet werden, um „problematische Inhalte“ in entsprechendem Tempo entfernen zu können.

Kommen wir in diesem Zusammenhang noch einmal auf das oben genannte Gespräch zwischen Sandra Maischberger und Christian Schreiber zurück. Die Moderatorin fragte den Buchautor, ob das in ein Lied eingefügte „Ausländer raus“ noch freie Meinung oder schon Hass und Hetze sei. Schreibers diplomatische Antwort lautete, das müssten Gerichte entscheiden. Doch – Diplomatie hin oder her – die richtige Antwort wäre gewesen, dass man „Ausländer raus“ vielleicht als Hass oder Hetze bezeichnen kann, ein Fall für einen Richter ist das aber nicht.

Denn der Wunsch nach einem Deutschland ohne Ausländer mag verwerflich wirken, er mag auch unrealistisch sein oder ein rassistisches Menschenbild offenbaren – strafbar ist er aber nicht, er ist durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Das Rumgeeiere Schreibers in der Talkshow von Maischberger offenbart auf eine erschreckende Art und Weise, wie fließend die Grenzen in zahlreichen Köpfen geworden sind. Christian Schreiber, der immerhin ein Buch zum Thema geschrieben hat, weiß nicht (oder will es nicht wissen), was genau Meinungsfreiheit eigentlich bedeutet. Und Maischberger hat aus einer Meinung (wenn auch einer meist unbeliebten) eine strafbare Handlung gemacht, zumindest aber Sanktionen wie den Jobverlust oder den öffentlichen Pranger als angemessen und notwendig dargestellt. Sie wäre ein hervorragender Trusted Flagger, aber eine grottenschlechte Juristin, und als Demokratin hat sie auf ganzer Linie versagt.

Einmal mehr argumentiert die Bundesregierung, diesmal in Person von deren grünen Chef Klaus Müller, die Meldestelle „REspect“ sei wegen des „Digital Services Act“ notwendig geworden. Der wiederum stammt aus europäischer Feder, womit sich die deutsche Politik einen schlanken Fuß machen kann. Nach dem Motto „Wir müssen das tun, können gar nichts dafür, das wurde durch die EU entschieden!“ duckt man sich nicht nur vor der eigenen Verantwortung weg, sondern nutzt die EU, um der eigenen Rechtsstaatlichkeit „Auf Wiedersehen“ zu sagen.

Zu dick aufgetragen? Keinesfalls, denn selbst der viel kritisierte „Digital Services Act“ sieht nicht vor, was „REspect“ sich herausnimmt, weil er sich auf illegale Inhalte beschränkt. Doch Müller von der Bundesnetzagentur argumentiert so: „Illegale Inhalte, Hass und Fake News können sehr schnell und ohne bürokratische Hürde entfernt werden. Das hilft, das Internet sicherer zu machen.“ Staatsrechtler Volker Boehme-Nessler kontert nüchtern, Müllers Aussage sei verfassungswidrig, denn: „Hass und Hetze sind grossteils erlaubt, soweit sie von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, ebenso Fake News.“ Und Boehme-Nessler geht noch weiter und merkt an, dass selbst verfassungswidrige Meinungen erlaubt seien, weil sie von der Meinungsfreiheit gedeckt seien. Der Staatsrechtler sieht in der neuen Meldepraxis nicht nur eine Aufforderung zur Denunziation, sondern die Meinungsfreiheit durch eine Einschüchterungspolitik akut in Gefahr.

Noch einmal zur Frage, was genau meldefähig ist. Das geht weit über illegale Inhalte hinaus, und es geht vorbei am Rechtsstaat, zumindest meistens. Eine Ausnahme bildet Ricarda Lang (die Grünen), die im Netz als „dick“ bezeichnet wurde. Daraufhin ging bei „REspect“ eine Meldung ein, die wiederum bei der Staatsanwaltschaft landete. Doch das ist längst nicht die Regel. In den meisten Fällen werden die sozialen Netzwerke einfach gezwungen, gemeldete Inhalte zu löschen, und zwar pronto!

Erneut sind wir bei der Frage, was meldefähig ist und was nicht. Und wir müssen zum Schluss kommen, dass die Antwort darauf „Willkür“ lautet, genauer: grüne Willkür. Denn hinter „REspect“ stehen das Bundesfamilienministerium, die Bundesnetzagentur und damit im engeren Sinne die Grünen, denen bekanntlich auch Ricarda Lang angehört, deren Beispiel den Wahnsinn verdeutlicht. Die simplen Fragen in diesem Zusammenhang lauten: Ist Ricarda Lang dick? Ist sie dünn? Und wenn sie dick ist, ist es strafbar, sie als dick zu bezeichnen? Wäre ein angemessener Umfang mit der Körperfülle Langs die Falschbehauptung, sie sei dünn? Im Jahr 2024 schwer zu beantwortende Fragen.

Wer sind nun aber eigentlich die Mitarbeiter von „REspect“? Diese Frage ist gar nicht so trivial. Geht man auf der Website auf „Team“, stößt man auf folgenden Comic:

Namen findet man nicht, nur diese fröhlichen Gesichter. Doch eine kleine Recherche ergibt zumindest eine Auskunft über den Chef der Meldestelle: Ahmed Gaafar. Auf der Seite der „Bayerischen Landeszentrale für neue Medien“ (BLM) erfährt der interessierte Leser:

Ahmed Gaafar hat Islamwissenschaften an der Al-Azhar Universität studiert und seine Ausbildung durch die Teilnahme am Emerging Peacemakers Forum der Universität Cambridge sowie einem Masterstudium in Interreligiösen Studien an der Universität Bamberg vertieft. Zusätzlich erwarb er einen Master-Abschluss in Big Data and Business Intelligence von der Universidad Isabel I in Spanien und ist Fellow des Human Fraternity Fellowship an der Georgetown University in den USA.“

Bei „NIUS“ findet man dagegen andere Informationen:

Gaafar studierte Islamwissenschaften an der berüchtigten Universität Al-Azhar in Kairo. Die Bildungsstätte ist für den sunnitischen Islam die bedeutendste Institution weltweit. Immer wieder wurde die Universität auch mit Extremismusvorwürfen konfrontiert. Kritiker bezeichnen die Hochschule sogar als Brutstätte des Islamismus. Ihr seit 2010 amtierender Großimam Ahmed Al-Tayyib unterhält regelmäßige und offene Kontakte zu Hamas-Führern. So dankten zum Beispiel 2019 Hamas-Führer bei einem Treffen Al-Tayyib für die Arbeit der Al-Azhar Universität im Namen der Palästinenser. Besonders seit dem Angriff der Hamas auf Israel zeigte die Universität erneut ihre Ablehnung des jüdischen Staates.

Man tut gut daran, den vollständigen Artikel bei „NIUS“ mit Vorsicht zu genießen (sowie auch einen weiteren, hier nicht verlinkten, der Gaafar in die direkte Nähe zur Hamas rückt und mit wenig Leserfantasie aus ihm einen antisemitischen Terroristen macht). Trotzdem ist es auffällig, dass ausgerechnet er „REspect“ leitet. Denn da im politischen Deutschland die Kluft zwischen Islamismus und Antisemitismus immer größer wird, zeugt die Personalauswahl der Bundesregierung nicht unbedingt von Fingerspitzengefühl.

Wobei es um Fingerspitzengefühl ganz offenkundig auch nicht geht, sondern darum, eine Meldestelle zu etablieren, die – losgelöst vom Prinzip der Rechtsstaatlichkeit – nach Gutdünken entscheidet, was legal und was illegal ist. Mitmachen kann jeder, der – Zitat – „besondere Sachkenntnis und Kompetenz in der Erkennung rechtswidriger Inhalte“ nachweisen kann, wobei man sich fragen darf, wie ein solcher Nachweis wohl aussehen mag.

Volker Boehme-Nessler hat das Kernproblem weiter oben auf den Punkt gebracht: „REspect“ ist prinzipiell verfassungswidrig. Und selbst die „NZZ“, nicht bekannt als revolutionäres Blatt mit Hang zum kriminellen Handeln, schreibt besorgt:

Die Neuerung fügt sich stimmig ein in ein Gesamtbild. Nicht nur wurde in den vergangenen Jahren die Meinungsfreiheit zunehmend beschränkt, etwa durch Erhöhung der Strafbarkeit. Sondern es wurde auch ein ganzes Netz von Meldestellen geschaffen, die «Meinungsäusserungen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze» erfassen – also zulässige Meinungsäusserungen – und gegebenenfalls Strafanzeige erstatten.“

Aufgrund der Möglichkeiten, die „REspect“ eingeräumt werden, wird die Strafanzeige wohl in Zukunft vielfach gar nicht mehr nötig sein, Inhalte werden einfach gelöscht, weil „REspect“ das anordnet. Die Staatsanwaltschaft wird aber trotzdem nicht arbeitslos werden. Denn entweder ist sie damit beschäftigt, die unzähligen Klagen von Politikern wie Marie-Agnes Strack-Zimmerman (FDP), Robert Habeck oder Annalena Baerbock (die Grünen) zu bearbeiten, die sich von Wählern beleidigt fühlen.

Oder sie jagt Schwerstkriminellen hinterher, die Ricarda Lang dick nennen. Man muss eben Prioritäten setzen.

Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er istGründungsmitglied und Mitherausgeber der neulandrebellen.

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.

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