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Ende einer Dienstfahrt

Als österreichische Außenministerin wollte Karin Kneissl den Frieden in Europa wahren und die Wirtschaftsbeziehungen mit Russland stärken. Doch transatlantische Seilschaften brachten die Spitzendiplomatin zu Fall. Protokoll einer Intrige.

Shutterstock/ Alexandros Michailidis
Bild: Shutterstock/ Alexandros Michailidis

Ein Beitrag von Peter v. Wertheim

Immerhin, sie lebt noch. Allerdings im Exil in St. Petersburg. Heute erklärt Karin Kneissl im Podcast „Unipolar-Multipolar“ zusammen mit dem Journalisten Flavio von Witzleben geopolitische Schachzüge und die Interessen dahinter. Anders als die Sofa-Krieger in den Talkrunden der Mainstream-Medien lässt sie dabei NATO-Propaganda weit hinter sich. Doch zuhause in Wien ist die Außenpolitik-Expertin heute unerwünscht. Sogar die Staatsbürgerschaft will man ihr entziehen. Das Ende ihrer Blitzkarriere ist zugleich das Ende der Wiener Neutralitätspolitik. 

Ein Blick zurück: Als Karis Kneissl im Dezember 2017 zur parteilosen Außenministerin von Österreich bestellt wurde, galt sie bereits als Spitzen-Diplomatin: Sie hatte Jura und Arabisch in ihrer Heimatstadt Wien studiert, war Stipendiatin an der Hebräischen Universität Jerusalem und an der Georgetown University in Washington. Zudem absolvierte sie die ENA in Paris und promovierte 1992 zu Grenzbegriffen im Nahen Osten. Karin Kneissl wirkte von 1990 bis 1998 im diplomatischen Dienst und war 20 Jahre selbstständig als international und national nachgefragte Analytikerin, Beraterin und Lehrbeauftragte tätig. Mit dem Rücktritt der Bundesregierung im Sommer 2019 nahm sie ihr freies Schaffen wieder auf. Sie schrieb Bücher über Geopolitik, Energie und den Nahen Osten. In  ihrer diplomatischen Laufbahn suchte sie immer Dialog und Interessenausgleich, auch und vor allem mit Russland.

Als ausgewiesene Osteuropa-Expertin mit pragmatischer Haltung suchte sie die Beziehungen zwischen Mitteleuropa mit Russland zu stärken. Sie baute als österreichische Außenministerin eine persönliche Brücke zum russischen Präsidenten Wladimir Putin. Anlässlich der ihrer Hochzeit zeigte Präsident Putin seine Wertschätzung für die diplomatische Rolle Wiens mit einem privaten Besuch in der Steiermark. Es war ein historischer Moment für das neutrale Österreich, das 1955 durch die Zustimmung der Siegermacht Russland seine Freiheit mit Staatsvertrag und verpflichtender Neutralität erlangte. Aber dies war zugleich ein Affront für die transatlantischen Kräfte in Wien, die Österreich stärker an Washington binden wollten. 

Expertin auf verlorenem Posten

Karin Kneissl wollte mit ihrer auf Ausgleich beruhenden Realpolitik die Rolle des neutralen Österreich als Mittler zwischen Ost und West stärken. Dabei sah sie sich in guter Tradition: Dies war auch das Ziel der Wiener Außenpolitik in der Ära nach dem Zweiten Weltkrieg. Das neutrale und militärbündnisfreie Österreich hat - so sieht sie es - auch als EU-Mitgliedsstaat diese Brückenfunktion. Sie beruht auf dem Kulturraum der einstigen Donau-Monarchie, die einmal auch Ungarn und Teile der heutigen Ukraine umfasste.

Mit der ausgewiesen fachlichen Kompetenz von Karin Kneissl hatte die konservative Regierung aus Österreichischer Volkspartei und Freiheitlicher Partei Österreichs das Potenzial zu einer aktiven Gestaltung der entstehenden multipolaren Welt, die sich von der anglosächischen Hegemonie der vergangenen 100 Jahre emanzipiert.

Mit ihrer Strategie geriet Karis Kneissl in den Fokus transatlantischer Eliten. Denn in Washington und London wird die neue multipolare Geopolitik genauso ignoriert wie von ihren Epigonen in der Bürokratur der EU-Kommission. Einflussreichen Thinktanks an der amerikanischen Ostküste und im Vereinigten Königreich missfällt das Aufstreben der BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Für Karin Kneissl ist dies jedoch schlicht die normative Kraft des Faktischen: So bringt allein das Projekt „Seidenstraße“ tiefgreifende Verschiebungen im Kräfteverhältnis zwischen Ost und West, Asien und Europa. 

Im Fokus transatlantischer Eliten

Doch jenseits des Atlantiks wird das Prinzip der unipolaren Welt mit den USA als Führungsmacht als ideologisches Dogma verordnet: Danach ist jede Kooperation von Westeuropa mit Russland aus anglo-sächsischen Machtinteressen mit allen gebotenen Mitteln zu verhindern und zu zerstören. Die Wiener Ex-Außenministerin geriet durch ihre pragmatisch orientierte Diplomatie ins Visier dieser transatlantischen Machtinteressen. Karin Kneissl benannte klar die Gründe für eine Diplomatie des Ausgleichs in unsicheren Zeiten. Ihre Diplomatie stand für die Welt diskreter Entscheidungen und die Suche nach friedlichen Lösungen anstelle des Waffengangs. 

Ihr ging es um die klassischen Tugenden dieser alten Disziplin: Das Gesprächs auf Augenhöhe pflegen; den Partner und seine Interessen respektieren; auf egoistische Alleingänge verzichten. Karin Kneissl kämpfte für eine Wiederbelebung des diplomatischen Handwerks und der hohen Kunst des Dialogs in Europa und der Welt. Ihre fachlichen Analysen orientieren sich bis heute an dieser normativen Kraft faktischer Realitäten abseits von Ideologien. Transatlantisch betreutes Denken und die Geopolitik des abgelaufenen, anglosächsischen Jahrhunderts ist für sie nach zwei Weltkriegen keine angemessene Strategie. Doch wie konnte es gerade im – zumindest verfassungsrechtlich – neutralen Land Österreich zu einer dystopischen Hetze gegen eine international anerkannte, parteiunabhängige Außenministerin kommen? 

Wien nach dem Zweiten Weltkrieg: Die Stadt ist in Besatzungssektoren der vier Hauptsiegermächte USA, Sowjetunion, Frankreich und Großbritannien aufgeteilt. Ein fünfter, internationaler Sektor, die Innere Stadt, wird von den vier Mächten gemeinsam - monatlich abwechselnd - verwaltet. Auch der Rest des heutigen Österreichs ist aufgeteilt in vier Besatzungszonen.

Das Ende der Neutralität

In Salzburg in West-Österreich wurde nach 1945 über die US-Besatzungszone eine transatlantische, „Infrastruktur“ durch Medienschulungen der führenden Journalisten und Medienmanager direkt aus den USA implementiert. Die US-Besatzungsbehörden besetzten die wichtigen Redaktionen in der Bundeshauptstadt Wien nach und nach mit Vertrauensleuten, deren CIA-Tätigkeit erst Jahrzehnte später enttarnt wurde.  Anti-sowjetische und anti-russische Propaganda war bis 1989 das verordnete Dogma amerikanischer Hegemonie für österreichische Redaktionen. Dennoch bemühte sich das Wiener Außenamt bis 1989 um eine ausgleichende Politik. Ihr Ziel war es, Brücken zu bauen zwischen Ost und West. Denn mit dem Staatsvertrag von 1955 hatte die Sowjetunion Österreich doch noch die Freiheit ermöglicht. Er sicherte dem Land einen neutralen Status zu. Österreichs Hauptstadt Wien wurde ein umkämpfter Schauplatz der Geheimdienste aus West und Ost. Trotzdem blieb Österreich ein wertvoller und unabhängiger Partner im Donauraum, nach dem Modell der Schweiz. Doch dann gelang es der transatlantisch orientierten Europäischen Union, Wien mehr und mehr auf seine Seite zu ziehen.

Das Gipfeltreffen zwischen dem sowjetischen Staats- und Parteichef  und US-Präsident John F. Kennedy fand daher nicht ohne guten Grund in Wien statt. Auf neutralem Boden sollten die Verhandlungen dazu dienen, die Spannungen zwischen den beiden im Kalten Krieg einander gegenüberstehenden Supermächten zu verringern. Sie hatten zwar kein vertragliches Ergebnis, aber vertrauensbildende Wirkung. Seit dieser Zeit verstand sich das neutrale Österreich als Bindeglied bei den Bemühungen um Friedenspolitik. Insbesondere ab 1970 stand dafür der Außenpolitiker und österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky. Wien wurde zu einem weiteren Sitz der UNO. Auch bei den Friedensbemühungen für den Nahen Osten gab es konstruktive Impulse aus Österreich. 

Außenministerin Karin Kneissl wusste um dieses Potenzial. Sie sah die Notwendigkeit, dem neutralen Österreich wieder eine tragende Rolle Vermittler zwischen West und Ost zukommen zu lassen. Politische Beobachter sahen die Außenministerin in der Tradition von Bruno Kreisky. Konnte Kreisky noch in einem weitgehend neutralen Österreich, einem Land ohne EU-Mitgliedschaft und transatlantisch orientierter Außenpolitik souverän gestalten, waren aber in der Ära von Karin Kneissl im Hintergrund bereits EU-Netzwerke dominierend.

Intrigen der Gegenspieler

Diese neuen Kräfte werden immer dann sichtbar, wenn es international zu einem dramatischen Ereignis kommt. Im Außenamt am Wiener Ballhausplatz wird dann Partei ergriffen und die Fahne des Staates gehisst, für den man sich stark macht. Angeordnet wird dies inzwischen von Kneissls Nachfolger,  dem Brüssel-hörigen Alexander Graf Schallenberg. Solche Parteinahmen entsprechen allerdings weder der Idee der Neutralität, noch helfen sie beim Brückenbau. Sie dienen den Interessen unilateraler, transatlantischer Politik.Unter der schwarz-blauen Regierung aus Österreichischer Volkspartei und Freiheitlicher Partei und ihrer Außenministerin Karin Kneissl wäre eine solche Parteinahme eines neutralen EU-Mitgliedstaates kaum denkbar gewesen. Auch die Parteinahme Österreichs im Ukraine-Russland-Konflikt wären diplomatisch vermieden worden. Karin Kneissl hätte sicher versucht, eine Friedenskonferenz Ukraine-Russland in Wien nach dem Vorbild von Kennedy und Chruschtschow zustande zu bringen.

Aber nicht nur die parteiunabhängige und souverän agierende Außenministerin Karin Kneissl, auch der EU-kritische und russlandfreundliche, freiheitliche Koalitionspartner der Regierung Sebastian Kurz I geriet ins Visier der transatlantischen Seilschaften. Das Ende dieser Koalition wurde mit einem heimlichen Skandalvideo einer strafrechtlich substanzlosen Privatunterhaltung des freiheitlichen Parteiobmannes Heinz Christian Strache und seines damaligen Stellvertreters eingeläutet. 

Gefakte Skandale

Eine angeheuerte Schauspielerin einer russischen Oligarchin sollte den Parteiobmann zu vermeintlich politisch verhängnisvollen Aussagen vermittels Alkohol motivieren. Die Justiz konnte in diesem Video keinerlei belastende und rechtsrelevante Inhalte finden. Es genügte jedoch der transatlantisch strukturierten ÖVP mit medialem Getöse als Grund für die Zerschlagung der Regierungskoalition. Schlussendlich wollte man dann mit den Grünen im Interesse der Globalisten durchregieren, mit den Freiheitlichen war das ja so offensichtlich nicht möglich.

Aber das ist noch nicht alles: Der Generalsekretär im Außenamt unter Karin Kneissl stellte noch davor, also 2018 Überlegungen an, einen eigenen, unabhängigen Informationsdienst für das Außenministerium und das diplomatische Corps am Wiener Ballhausplatz einzurichten. Der Grund: Bisher gab es in Österreich gemäß der transatlantisch geprägten Nachkriegsordnung nur zwei nachrichtendienstliche Organisationen in Österreich: Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und das Heeresnachrichtenamt.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) war eine österreichische Sicherheitsbehörde mit nachrichtendienstlichem Charakter. Hauptaufgabengebiet des BVT war der Schutz von verfassungsmäßigen Einrichtungen der Republik Österreich sowie die Sicherstellung von deren Handlungsfähigkeit. Die Behörde wurde 2002 aus der Staatspolizei sowie einigen Sondereinheiten wie EDOK und EBT – Einsatzgruppe zur Bekämpfung des Terrorismus gegründet, die wie das ehemalige Bundesamt direkt der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit beim Bundesministerium für Inneres unterstanden. Das BVT erstellte jährlich den Verfassungsschutzbericht.  Mit 1. Dezember 2021 wurde die Behörde aufgelöst und in die neu geschaffene Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst überführt. 

Ende Mai 2018 kündigte Innenminister Herbert Kickl gemeinsam mit dem von ihm kurzzeitig suspendierten Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, Peter Gridling eine Neuaufstellung dieser Behörde an. In diesem Rahmen sollten die Kompetenzen zwischen dem Bundeskriminalamt und dem BVT neu geregelt werden. Ebenso war geplant, den Verfassungsschutz besser in die Zusammenarbeit mit anderen Diensten, etwa dem Heeres-Nachrichtenamt, zu integrieren. 

Eine Geheimdienst-Affäre

In diesem Zusammenhang stellte 2018 auch eine Gruppe um den Generalsekretär des Außenamtes, Botschafter Johannes Peterlik, Überlegungen an, einen hauseigenen, neuen Nachrichtendienst zu schaffen. Diese „neue Sicherheitsabteilung“ sollte fünf Referate umfassen und vom Generalsekretär geleitet werden.  Ob diese Überlegungen in irgendeiner Weise rechts- oder verordnungswidrig waren, wurde nie geklärt. Auch im Mediendiskurs wurde niemals erörtert, ob dies Verbesserungen bringen könnte. Vielmehr wurde die Empörung bewusst hochgekocht. Es ging das Gerücht um, mit der Gründung eines weiteren Nachrichtendienstes hätten lediglich die Freiheitlichen ihre Kontrolle ausweiten wollen. Denn der Generalsekretär im Außenamt war ein ÖVP-Parteimitglied. Außenministerin Kneissl erklärte gegenüber der „Washington Post“, sie sei von diesen Planungen nicht unterrichtet gewesen.

Fakt ist:  Ein dritter, unabhängiger Nachrichtendienst im Außenministerium nach „deutschem Modell“- hätte –  dem Militär-Geheimdienst Konkurrenz gemacht. Durch einen eigenen Nachrichtendienst wäre das Außenministerium zum „sicherheitspolitischen Akteur“ geworden. „Ja dürfen’s denn das?“- So fragte schon in Alt-Österreich der konsternierte Kaiser Ferdinand, als ihm die Bürgerproteste der Revolution von 1848 in Wien gemeldet wurden.  Im EU-servilen Beamtenapparat wurde eine solche Initiative als Majestätsbeleidigung aufgefasst.

Daß der ÖVP-Mann im Außenamt, Generalsekretär Johannes Peterlik eigene Überlegungen anstellt, die dem mißliebigen Regierungspartner FPÖ in der Sache sehr entgegenkommen würden und die seit Jahrzehnten transatlantisch verordnete Struktur über den Haufen werfen könnte, das war ein Affront.

Journalisten als willige Vollstrecker

Die Mainstream-Medien sahen in Innenminister Herbert Kickl und der unabhängigen Karin Kneissl von Anfang an zwei wichtige, dem Putin-Russland gewogene rechtspopulistische Top-Politiker. Nun hatten sie ihren Skandal: Die beiden Kreml-Freunde, so hieß es, wollten einen eigenen Geheimdienst aufbauen. Es war daher für die ÖVP strategisch wichtig, den unbequemen freiheitlichen Regierungspartner zu stürzen, um Außenministerin Karin Kneissl aus dem Amt zu entfernen. Da sie als parteiunabhängig vom freiheitlichen Regierungspartner ins Amt nominiert wurde, war klar: Ein Ende  der Regierungskoalition bedeutet auch das Ende für Karin Kneissl. In der folgenden  Koalition setzte die ÖVP den transatlantischen Erfüllungsgehilfen Alexander Graf Schallenberg ein. Er ist bis heute im Amt.

Graf Schallenberg sorgte dafür, daß auch der ehemalige Generalsekretär im Außenamt, Johannes Peterlik umgehend entfernt wurde. Peterlik wurde verdächtigt, mit Jan Marsalek im Wirecard-Skandal in Verbindung gestanden zu haben. Das Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK) beschäftigte sich mit dem Fall. Die Staatsanwaltschaft Wien nahm Ermittlungen auf.  Peterlik wurde suspendiert und von seinem Botschafterposten in Indonesien abberufen. Er bestreitet die Vorwürfe. Karin Kneissl, weltweit als außenpolitische Analytikerin gefragt, wird heute in ihrer Heimat Österreich verfemt. Die  Mainstream-Medien unterstellen ihr wiederkehrend, eine Agentin des Kremls und Putin-Regimes zu sein. Aufgrund ihrer aktuellen Tätigkeit in Russland.droht ihr der Entzug der österreichischen Staatsbürgerschaft. Periodisch fallen die Medien über sie her. Auftritte, Vortrags- und Beratungstätigkeit in ihrer Heimat Österreich sind deshalb für Karin Kneissl keine Option mehr.

All das zeigt, wie übereifrige Transatlantiker nicht nur die EU-Kommission fest im Griff haben, sondern auch auf der Ebene der Mitgliedsstaaten und ministeriellen Stabsstellen das transatlantische Denken durchsetzen. Wer es wagt, Washington die Gefolgschaft zu verweigern, dem droht das Ende der Karriere. Er begeht politischen Selbstmord.

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