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EU-Wahl 2024: Die Nacht der lebenden Toten oder Wenn politische Parteien den letzten Schuss nicht gehört haben

Timo Klostermeier  / pixelio.de
Bild: Timo Klostermeier / pixelio.de

Von Lennard Wallenberg

Wer den Horrorklassiker George Romeros „Die Nacht der lebenden Toten“ aus dem Jahr 1968 kennt, weiß um die teilweise haarsträubende Handlung und die erbärmlichen Dialoge. Es wimmelt von Zombies, die ein Haus belagern, in dem eine kleine Schar Menschen sich über die richtige Methode streitet, wie man mit den Untoten fertig wird, und am Ende der einzige Überlebende von einer übereifrigen Bürgerwehr niedergestreckt wird, weil die ihn für einen Zombie halten.

In Deutschland spielt sich seit geraumer Zeit ähnliches ab.

Selbsternannte Tugendwächter und Retter des Planeten terrorisieren das Land mit ihrer Hexenjagd gegen jeden, der es wagt, ihren politischen Zielen und ihren Methoden zur Erreichung der selbigen zu widersprechen. Diese Unmenschen sind für die Inquisitoren unserer Tage selbstredend Nazis. Die Nazi-Keule erschlägt im Zweifel auch aufrechte Antifaschisten, die nur eben den einen Fehler begehen und keine Lust haben, sich den woken Belehrungen zu unterwerfen und hinter jedem zweiten Baum einen Nazi zu vermuten.

Das Bedauerliche ist, dass inzwischen niemand mehr mit Zählen hinterherkommt und gefühlt bereits die halbe Bundesrepublik zu Nazis erklärt wurde. Das hat zur Folge, dass die übereifrige Etikettierung zu einem Abnutzungseffekt geführt hat – nur noch ganz sensible Zeitgenossen sind alarmiert, die meisten rollen nur noch mit den Augen, wenn mal wieder ein Ungläubiger sich eine eigene Meinung geleistet hat und auf das virtuelle Schafott geschleppt wird.

Ein weiterer Kollateralschaden ist, dass die selbsternannten Retter der Menschheit jeden Realitätsbezug verloren haben. Sie haben sich tatsächlich von den beeindruckenden Bildern der Massendemonstrationen des Januar berauschen lassen und angenommen, so würde auch die Wahl zum EU-Parlament ausgehen und die ihnen verhasste AfD sei erledigt.

Nur diese besondere Form der Selbsthypnose kann erklären, dass vor allem die Grünen und die Linkspartei über so lange Zeit jede Warnung und Mahnung, dass sie es sich zu bequem und einfach machen mit der Erklärung aktueller politischer Phänomene, in den Wind geschlagen und als Fakenews und Manipulationsversuche geächtet haben. Um dann am Sonntagabend wie vom Blitz getroffen auf die Wahlergebnisse zu starren.

Das betrifft übrigens auch die Unionsparteien, die klaren Wahlsieger dieser zehnten EU-Wahl. Denn niemand bei CDU und CSU hätte damit gerechnet, dass sie am Ende nur ein Prozentpunkt davon trennte, mehr Stimmen auf sich zu vereinigen, als die drei Ampelparteien SPD, Grüne und FDP zusammen.

Die Wucht des 8,6-Prozentpunkte-Verlustes der Grünen war so kolossal, dass die sonst zur Schnatterhaftigkeit neigenden grünen Vorturner wie zu Stein erstarrt in die Kameras glotzten und im wahrsten Wortsinn sprachlos waren. Gleiches galt für die Linkspartei, deren Stimmenverluste zwar „nur“ 2,8 Prozent betrugen, aber wegen des schwachen Ergebnisses von 2019 (5,5%) gleich ins Bodenlose zu fallen drohten. Das blanke Entsetzen in den Gesichtern der Führungsmannschaften bei Grünen und Linken sprach Bände, dass die Damen und Herren für eine kurze Zeit die Erkenntnis gehabt haben mussten, verdammt, unsere Kritiker hatten doch Recht, auch wenn diese gewiss bittere Erkenntnis später in kein Mikrofon gesprochen wurde.

Lediglich SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert erlaubte sich am Tag nach der Wahl in einem Interview mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender Phoenix vorsichtige Selbstkritik, nachdem sein Parteivorsitzender Lars Klingbeil am Wahlabend beim Fernsehsender n-tv noch bräsig und beleidigt mit der Nazi-Keule um sich schlug und dabei nicht nur AfD-Chefin Alice Weidel, sondern auch sich selbst traf, jedenfalls in den Augen nicht weniger Zuschauer.

Der unbestrittene Wahlerfolg der AfD ist vor allem deshalb so bedeutsam, weil er errungen wurde gegen eine massive und in Teilen abgrundtief verlogene Medienkampagne. Nicht wenigen Politikern der anderen Parteien und selbsternannten Qualitätsjournalisten entfuhr es am Wahlabend verblüfft und fassungslos, dass „die vielen Demonstrationen gegen rechts nichts gebracht“ hätten.

Es ist nicht auszuschließen, dass mit der AfD auch eine echte Gefahr rechtsextremer und völkischer Tendenzen in dieser Partei einhergeht. Die meisten Wähler wissen das. Aber die Wähler sind auch eindeutig zu klug, um nicht zu erkennen, wenn sie manipuliert werden sollen, eine bestimmte Wahlentscheidung nicht zu treffen.

Das Kreuz nicht weniger Bundesbürger bei der AfD ist – auch wenn Politiker und Journalisten das verbissen behaupten – keine Entscheidung „gegen Europa“, sondern maximal gegen die EU, wie sie derzeit konstituiert ist. Es ist auch keine Entscheidung gegen Demokratie, sondern gegen die Art und Weise und die Methoden, mit denen EU-Eliten uns einzureden versuchen, was angeblich echte Demokratie sei und was nicht.

Das Ja zur AfD ist für viele Menschen nicht zuletzt auch kein Nein zur Einwanderung von Fachkräften, sondern ist ein klares Nein zur unkontrollierten Zuwanderung von Armutsmigranten und von jungen Männern aus muslimisch geprägten Staaten. Dieses Nein als Ja zu Faschismus zu denunzieren, ist selbst Faschismus, und zwar in Reinkultur. Abgesehen davon, dass es Neostalinismus ist.

Der Erfolg des BSW ist ohne jedes Wenn und Aber beeindruckend und sucht in der bundesrepublikanischen Geschichte seines gleichen. Auch der BSW musste gegen Verunglimpfungen ankämpfen, die nach der früheren Linkspartei-Ikone Sahra Wagenknecht betitelte Partei, biedere sich bei der AfD an, benutze Nazi-Sprache und habe rassistische und ausländerfeindliche Haltungen. Die 6,2 Prozent, die mehr als 2,4 Millionen Wählerstimmen repräsentieren und für das BSW gestimmt haben, sind eine so schallende Ohrfeige für all die Hetzer und Diffamierer, dass das Klatschen noch mehrere Tage nachhallen wird. Doch allen Anfangserfolgen zum Trotz, für das BSW bedeutet der Einzug ins EU-Parlament aus dem Stand auch die Bürde, den Vertrauensvorschuss des Souveräns nicht zu verspielen.

Die FDP hatte mehr Glück als Verstand. Die Liberalen haben sich frühere Spirenzchen wie die 18-Prozent-Kampagne komplett abgewöhnt, für die FDP zählt nur noch ein Wahlergebnis mit einer Fünf vor dem Komma oder jede andere größere Zahl, denn in der FDP-Zentrale weiß man, sollten die Liberalen noch einmal aus dem Bundestag fliegen, könnte es das letzte Mal gewesen sein. Deshalb ertrug die FDP auch mannhaft das blaue Auge, dass ihr der Wähler am Sonntag gehauen hat. Vielleicht war es ja auch ein etwas skurriler Dank dafür, dass die Partei ihr sprechendes Sturmgewehr Marie-Agnes Strack-Zimmermann nach Brüssel entsorgt hat. Und wie launisch Fortuna bei Wahlen sein kann, erfuhr die FDP, die schon wegen fast 32.000 Stimmen zu jubeln begann, die sie mehr als 2019 für sich verbuchen konnte, während die anderen beiden Koalitionäre schon am Boden lagen. Aber wegen der höheren Wahlbeteiligung waren es am Ende doch nur 5,2 Prozent und damit auch ein Verlust gegenüber der vorherigen Wahl.

„Man findet das Vergnügen nur sehr selten dort, wo man es sucht“, mahnte 1916 der letzte liberale Premierminister Großbritanniens, David Llyod George. Aber da kannte er die FDP und den Filmklassiker „Die Nacht der lebenden Toten noch nicht“.

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