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Patrik Baab: „Wenn Großmäuler an die Front müssten, wäre Krieg morgen vorbei"

„Die Presse wird nach innen zum schärfsten Zensurorgan und nach außen zum zentralen Kriegstreiber“, sagt der Journalist Patrik Baab im NachDenkSeiten-Interview. In seinem gerade erschienenen Buch „Propaganda-Presse – Wie uns Medien und Lohnschreiber in Kriege treiben“ nimmt Baab, der Jahrzehnte beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk war, kein Blatt vor den Mund. Baab liefert eine schonungslose Abrechnung mit einer Presse, die selbst in den Propagandakrieg getreten sei. Im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine stellten Medien ihren „vollständigen moralischen Bankrott“ unter Beweis, sagt Baab im Interview. Der Autor warnt: Die Bürger „müssen den Kriegstreibern entgegentreten: Mit dem Stimmzettel und friedlich, auf der Straße. Sonst werden sie in den Kriegen sterben, die sie nicht verhindern wollten.“

Ein Interview mit Marcus Klöckner und Patrik Baab

Bild: Journalist Patrik Baab 
Bild: Bild: Journalist Patrik Baab 

Marcus Klöckner: „Wenn die Presse ihre Arbeit gemacht hätte, wäre es wahrscheinlich zum Krieg in der Ukraine nicht gekommen.“ Mit dieser Aussage leiten Sie Ihr neues Buch ein. Die Aussage ist sehr weitreichend. Was führt Sie dazu?

Patrik Baab: Die 2023 verstorbene Reporter-Legende John Pilger hat mich dazu geführt. Er erwähnte diesen Satz in einem seiner letzten Artikel mit Blick auf den zweiten Irak-Krieg. Ich habe die Formulierung auf den Krieg in der Ukraine angewandt, denn die Rolle der Medien ist vergleichbar. Kriege beginnen mit Lügen. Die Aufgabe von Journalisten wäre es, diese Lügen aufzudecken. Genau dies tun sie aber nicht. Die alten Medien, sowohl die Konzernpresse als auch die öffentlich-rechtlichen Medien, unterwerfen sich fast vollständig der Propaganda der NATO. Damit erfahren die Medien einen Strukturwandel von einem Informationsinstrument zu einem Kriegstreiber- und Zensurinstrument. Sie ersetzen Informationsgebung durch die Mobilisierung und Kapitalisierung von Ressentiments. Sie machen Hass zu Geld. Der Philosoph Joseph Vogl sieht darin „das Ferment neuer Kriege“.

Marcus Klöckner: Im Gebäude des Spiegels in Hamburg findet sich ein Spruch von Rudolf Augstein an der Wand. „Sagen, was ist.“ Augstein prägte diesen Spruch. Viele Journalisten kennen ihn, denn was darin zum Ausdruck kommt, sollte eigentlich handlungsleitend für Journalisten sein. Auf die Welt, auf Ereignisse, auf Informationen blicken. Sie folgerichtig erfassen und dann in der Berichterstattung nach bestem Wissen und Gewissen „sagen, was ist“. Was ist für den heutigen Journalismus handlungsleitend? Gilt der Spruch noch? Oder ist aus „sagen, was ist“ ein „sagen, was sein soll“ geworden?

Patrik Baab: „Sagen, was ist“ – diesem Anspruch werden die Medien nicht gerecht. In meinem Volontariat habe ich einmal gelernt, dass Journalisten eine Sorgfaltspflicht haben. Diese Sorgfaltspflicht zeigt sich in der souveränen Anwendung handwerklicher Kriterien. Zunächst sind Journalisten gehalten, „ausgewogen“ zu berichten. Das bedeutet, alle wesentlichen Aspekte eines Themas darzustellen. Dies geschieht in der Ukraine-Berichterstattung nicht: Nicht berücksichtigt wird die NATO-Osterweiterung bis an die russischen Grenzen. Nicht berücksichtigt werden die völkerrechtswidrigen Angriffskriege des Westens: Serbien 1999, Afghanistan 2001, Irak 2003, Libyen und Syrien 2011 – sie haben das Völkerrecht durch das Faustrecht ersetzt, Moskau hat nachgezogen. Nicht berücksichtigt wird der Putsch auf dem Maidan 2014 mit Unterstützung des Westens, der ein ultranationalistisches und rechtsextremistisches Regime ans Ruder brachte; nicht berücksichtigt wird der darauffolgende Bürgerkrieg im Donbass seit 2014 mit mehr als 14.000 Toten, vor allem unter der russischstämmigen Bevölkerung. Nicht erwähnt wird, dass die Gebiete östlich des Donbass ursprünglich russisch waren und erst 1922 der Sowjetrepublik Ukraine zugeordnet wurden. So löst „strategisches Framing“ zugunsten der NATO eine ausgewogene Berichterstattung ab: Lügen durch Weglassen. Damit treiben die selbst ernannten Qualitätsmedien die Bevölkerung in neue Kriege.

Marcus Klöckner: Es scheint an den Grundlagen zu fehlen. 

Patrik Baab: Journalisten sind gehalten, die sieben W-Fragen zu beantworten: Wer? Wo? Was? Wann? Wie? Warum? Woher die Meldung? Vor allem „Was“, „Wie“ und „Warum“ blenden sie aber oft aus.

Marcus Klöckner: Haben Sie Beispiele?

Patrik Baab: Die ukrainische Sommeroffensive 2023 endete in einem Blutbad; unsere Leitmedien präsentierten überwiegend Jubelmeldungen. Die Ursachen des Krieges wurden von der russischen Regierung mehrfach benannt: Osterweiterung der NATO, die Verhinderung eines NATO-Beitritts der Ukraine, der Schutz der russischstämmigen Menschen im Donbass und die „Entnazifizierung“ der Ukraine. Unabhängig davon, ob man diese Position teilt, muss darüber informiert werden. Aber wichtige Informationen werden unterschlagen. Das reicht bis zu offenen Lügen: Dass es in Istanbul im Frühjahr 2022 weit gediehene Friedensgespräche gab und der Westen ein Abkommen torpediert hat, wurde von den selbsternannten Qualitätsmedien zwei Jahre lang schlicht abgestritten.

Zum Instrumentarium der Zensur und Propaganda zählt auch, dass Journalisten wie Armin Coerper vom ZDF, Alina Lipp oder ich, die im Kriegsgebiet recherchiert haben, sofort mit Berufsverbot oder beruflichen Nachteilen, Rufschädigung und Denunziation überzogen werden. Damit verhindert die Presse selbst die Realitätsprobe vor Ort und verletzt den Grundsatz „et audiatur altera pars“. Das ist Latein und heißt: Auch die Gegenseite soll gehört werden …

Marcus Klöckner: Stattdessen …

Patrik Baab: … wird, wer als Journalist dieser Handwerksregel folgt, als Putin-Versteher oder Unterstützer eines Angriffskrieges hingestellt. Dies zeigt, wie tief sich die Synkrisis der Medien mit der Propaganda der NATO vollzogen hat: Wer unserer Propaganda nicht folgt, ist die fünfte Kolonne des Gegners.

Mit Blick auf die journalistische Ethik könnte man sagen: In diesem Krieg zeigt sich der vollständige moralische Bankrott der Medien. Über die Toten, die Verstümmelten, die Traumatisierten wird kaum berichtet. Ich habe 1999 im Kosovo im Krankenhaus von Prizren zwei Jugendliche gesehen, zwölf und 14 Jahre alt. Sie wollten sich am Fuß kratzen. Aber sie hatten keinen Fuß mehr: Sie waren oberschenkelamputiert, weil sie auf eine Mine getreten waren – Phantomschmerz. Die Menschen in der Ukraine wollen Frieden, aber redaktionelle Schreibtischbewohner reden vor allem über Waffenlieferungen und plädieren für eine Verlängerung des Krieges. Wer aus der redaktionellen Behaglichkeitszone in der Kaffeetasse rührend andere in den Tod schickt, zeigt, dass er moralisch vollständig verkommen ist. Die Ukrainer werden behandelt wie Kanonenfutter.

Mit ihrem dummen, gefährlichen Gerede verletzen diese Lohnschreiber das Friedensgebot des Grundgesetzes, verstoßen gegen Artikel 1 der Verfassung – „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – und verletzen die Meinungs- und Informationsfreiheit nach Artikel 5 GG. Ich bin überzeugt, dass diese Propagandisten im Gewand des Journalismus strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden müssen. Und ich sage ihnen noch etwas: Wenn die Kinder dieser Großmäuler an die Front müssten, wäre der Krieg morgen vorbei.

Marcus Klöckner: Bleiben wir beim Ukraine-Krieg. „Sagen, was ist“. Würden Journalisten sich an dieses Motto halten, hätten sie mit ihren Redaktionen dann den Begriff Stellvertreterkrieg nicht mindestens so oft verwenden müssen wie „russischer Angriffskrieg“?

Patrik Baab: NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte am 7. September 2023 vor dem Europäischen Parlament, dass ihm Putin vor dem russischen Einmarsch einen Deal vorgeschlagen habe: Wenn die NATO auf eine Aufnahme der Ukraine verzichte, dann verzichte er auf einen Einmarsch. Stoltenberg kommentierte, darauf habe man sich aber nicht eingelassen. Dies zeigt:

  1. Es handelt sich tatsächlich um einen Stellvertreterkrieg.
  2. Der Krieg wäre leicht zu verhindern gewesen, wenn die NATO dies gewollt hätte.
  3. Die Ukrainer werden verheizt, um Russland zu schwächen.

Der ehemalige mexikanische Präsident Lopez Obrador sagte mit Blick auf die Ukraine: „Ihr liefert die Leichen, wir liefern die Waffen. Das ist unmoralisch.“ Es handelt sich auch nicht um einen „unprovozierten“ Angriffskrieg. Vielleicht wäre der Satz von Niccolo Machiavelli hilfreich: „Nicht wer als Erster die Waffe ergreift, ist Anstifter des Unheils, sondern wer dazu nötigt.“

Marcus Klöckner: Wo liegt das Problem? Warum sagen weite Teile der Medien nicht, „was ist“? Auch wenn diese einfache Frage vermutlich nur durch eine sehr lange, komplexe Antwort umfassend beantwortet werden kann: Wo liegen Ursachen?

Patrik Baab: In meinem Buch identifiziere ich fünf Ursachen-Bereiche:

  1. In den Redaktionen landen vor allem Sprösslinge des gehobenen Bürgertums, die nicht wissen, was Krieg heißt, ja, die sich durch den Krieg Vorteile versprechen. Denn im Krieg steigen die Aktien der Rüstungsunternehmen. Und solche Leute können hoffen, den Aktienfonds der Eltern zu erben.
  2. Die redaktionellen Arbeitsbedingungen: Freie Mitarbeiter werden meist nach Zeilen oder Sendeminuten bezahlt. Sie machen, was der leitende Redakteur sagt, damit sie Geld verdienen. Am Ende übernehmen sie die Denkweise der Chefetage, damit sie Themen anbieten können, die angenommen werden. Genau dies ist vorauseilender Gehorsam.
  3. Die Übermacht der Propaganda bei gleichzeitiger Stellenkürzung und Leistungsverdichtung. Es fällt schon auf, dass die Berichterstattung von Leuten bestritten wird, die noch nie in Russland oder der Ukraine waren, nie ein Buch darüber gelesen haben, noch nie in einem Kriegs- oder Krisengebiet waren. Aber diese ungebildeten Redakteure geben den Ton an. Demgegenüber hatte das Pentagon schon vor Jahren etwa 27.000 PR-Mitarbeiter unter Vertrag. Dem haben Redaktionen nichts entgegenzusetzen. Oft arbeiten Redaktionen direkt mit NATO-Geheimdiensten zusammen.
  4. Eigentum: Die Konzernmedien sind in Privathand. Es gibt das sogenannte Verleger-Privileg. Der Verleger gibt die redaktionelle Linie vor. Wie der konservative Publizist Paul Sethe einmal schrieb: „Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.“ Inzwischen sind es in Deutschland deutlich weniger als 200 Leute.
  5. Digitalisierung: Die Nachrichtennutzung geht mehr und mehr über aufs Smartphone, Nachrichten werden nebenbei konsumiert, in der U-Bahn, im Wartezimmer etc. Dadurch verkürzen sich die Aufmerksamkeitszeiten. Dies ist einer tiefergehenden, recherchierten Hintergrundinformation abträglich. Im Wettbewerb um Klickzahlen setzen dann die Macher auf Personalisierung, Skandalisierung und Denunzierung. Es ist allemal leichter, einen Dissidenten in die Pfanne zu hauen, als den langen Weg in den Ukraine-Krieg zu erklären.

Marcus Klöckner: Sie sprechen von Macht. Sie sprechen vom „eingebettet sein“ in Herrschaftsstrukturen. Das ist im Grunde genommen keine bahnbrechende, keine neue Erkenntnis. Wenn man an medienkritische Ausführungen aus den 60er-, 70er-, 80er-Jahren, aber selbst auch davor denkt: Dass Medien und Journalismus auch im Hinblick auf Herrschaftsverhältnisse und als ein Machtinstrument der herrschenden Klasse zu betrachten sind, ist seit Langem bekannt. Dieses Wissen scheint heute aber zumindest an mancher Stelle ausgelöscht. Wenn Sie heute von „Herrschaftsmedien“ sprechen, schauen manche sie schräg an. Wie erklären Sie sich den Verlust dieses Wissens? Oder vermutlich auch: Die Ignoranz gegenüber diesem grundlegenden Wissen?

Patrik Baab: Die Eliten in Politik, Medien, Wissenschaft und Kultur sind in meinen Augen transatlantisch korrumpiert. Es ist den Vereinigten Staaten gelungen, in Europa eine transnationale Elitenbildung zu erreichen. Dies läuft über US-Stiftungen und transatlantische Organisationen wie German Marshall Fund, Atlantikbrücke, National Endowment for Democracy und viele andere. Die Fellows erhalten Einladungen zu Tagungen und zum Austausch von Wissenschaftlern, Forschungsförderung, Stipendien, Studienaufenthalten. Die Geschwindigkeit, wie in allen Gesellschaftsbereichen die Kontakte zu Russland gekappt und Russen unter Druck gesetzt wurden, zeigt: Dies geht nicht auf Befehl, sondern es war ein Konzert des vorauseilenden Gehorsams. Man sieht sich in der Bringschuld, dem großen Bruder einen Gefallen zu tun.

Daneben spielt der Bildungsnotstand eine große Rolle: In völlig unterfinanzierten Schulen werden Lehrer oft von Wissensvermittlern zu Sozialdompteuren. Der Bologna-Prozess und die Dominanz von Drittmittelförderung haben die universitäre Arbeit auf privatwirtschaftlichen Bedarf und Bulimie-Lernen ausgerichtet. In den Gesellschaftswissenschaften haben Multiple-Choice-Klausuren Einzug gehalten. Auf diese Weise werden kritisch-historische Forschungsansätze zurückgedrängt. Es wird ersetzt durch identitäres Denken, das auf Bekenntnisse zu einer bestimmten sozialen Gruppe abhebt und nicht auf Erkenntnisse nach fachlichen Kriterien. Wer aber auf Bekenntnis zur und Überlegenheit der eigenen Positionen abhebt, wird die Interessen anderer hintanstellen. Frieden bedeutet aber Interessenausgleich, identitäres Denken führt in neue Kriege. Ramon Schack spricht vom „Zeitalter der Idiotie“. Gemeint ist eine Zerstörung der Vernunft, die, so fürchte ich, auch in den Medien Einzug gehalten hat.

Marcus Klöckner: Vor ein paar Tagen kam es zu einer bemerkenswerten Szene in der Sendung „Sonntags-Stammtisch“ des Bayerischen Rundfunks. Folgendes war zu sehen: Der CDU-Politiker Armin Laschet sagte: „Man darf sagen: Ich will Friedensverhandlungen jetzt!“ Darauf reagierte die Journalistin und Moderatorin Anja Kohl mit den Worten: „Ja, man kann auch sagen, die Erde ist eine Scheibe.” Was sind das für Medien, die Leute einladen, die auf diese Weise wie Frau Kohl auf eine Aussage wie die von Herrn Laschet reagieren? Gerade der öffentlich-rechtliche Rundfunk sollte doch eigentlich an gewisse Qualitätsansprüche gebunden sein, oder?

Patrik Baab: Man sieht an der zitierten Einlassung: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist, so möchte ich es einmal in Anlehnung an Karl Kraus sagen, degeneriert zur Kasernierung der journalistischen Prostitution. Frau Kohl weiß offensichtlich nicht, was Krieg heißt. Ein Praktikum im Kampfgebiet könnte ihren Horizont deutlich erweitern.

Marcus Klöckner: Was zeigt Ihre Medienbeobachtung? Haben Sie irgendwo im ÖRR oder anderen Mainstreammedien Stimmen aus der Friedensbewegung zu Wort kommen hören? Wir sehen Leute wie Kiesewetter, Strack-Zimmermann, Röttgen. Aber wo sind Stimmen, die einen klaren friedenspolitischen Ansatz vertreten? Sahra Wagenknecht kommt hier und da zu Wort. Ansonsten?

Patrik Baab: Das sogenannte Setting in den Quasselrunden spricht ja schon Bände: Drei Kriegstreiber dürfen mit Unterstützung des Moderators einen Menschen niederschreien, der sich am Friedensgebot des Grundgesetzes orientiert. Bei Markus Lanz darf eine NATO-Propagandistin namens Florence Gaub, die als Expertin eingeführt wird, behaupten, die Russen seien keine Europäer und hätten ein anderes Verhältnis zum Sterben und zum Tod. Kulturgeschichte hat Frau Gaub offenbar nicht studiert. Sie ist Reserveoffizierin der französischen Armee. Dies wird dem Zuschauer aber vorenthalten. Lanz schaut zu und hält den Mund. Mit Journalismus hat das nichts zu tun.

Marcus Klöckner: Warum ist das so?

Patrik Baab: Anders als zu meiner Zeit scheint mir heute im öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Untertanenmentalität weit verbreitet zu sein. Dazu kommen deutliche Bildungslücken. Drittens führen Journalisten ihre Vorurteile spazieren, statt zu berichten. Viertens halten sie das Internet für ein Fenster zur Welt. Das Internet ist aber ein Filter, der aussieht wie ein Fenster: Man sieht nur, was andere nach ihren Interessen hochgeladen haben. Fünftens lehnen sich Journalisten an das herrschende Meinungsklima in der Redaktion an; das erleichtert das Leben. Dieses Meinungsbild wird wiederum orchestriert von leitenden Redakteuren, die in transatlantischen Organisationen sozialisiert wurden oder entsprechende Affinitäten haben. Wer als Führungskraft im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Karriere machen will, wird sich nicht mit dem herrschenden Parteienkartell anlegen. Denn die Vertreter dieser Parteien sitzen in den Aufsichtsgremien und entscheiden dort über die Vergabe von Führungspositionen.

Marcus Klöckner: In Bezug auf den Krieg in der Ukraine sprechen Sie im Zusammenhang mit den großen Medien immer wieder von „Blindheit“. Sie führen unter anderem eine militärische, eine moralisch-ethische, aber auch eine psychologische Blindheit an. Was meinen Sie damit?

Patrik Baab: Aus den bereits genannten Gründen schätzen Journalisten aus der Komfortzone ihrer Schreibtische die militärische Lage falsch ein: Unter Fachleuten gibt es kein Szenario, in dem die Ukraine diesen Krieg gewinnt. Die moralisch-ethische Blindheit besagt, dass die Opferperspektive weitgehend ausgespart wird. Wenn man das Elend des Krieges ausstrahlen und drucken würde, könnte nämlich die Heimatfront ins Wanken geraten. Und die psychologische Blindheit führt dazu, dass die Presse so tut, als sei die Kampfmoral der Ukrainer ungebrochen. All dies ist gelogen. Die Menschen wollen Frieden, im Donbass genauso wie in der Westukraine. Wer Krieg will, das sind immer die, die sich drücken können. Dies wird in den deutschen Medien nicht abgebildet. Insgesamt führt dies dazu, dass eine mediale Filterblase entsteht, die auch das politische Klima prägt. Auf der Basis falscher und unzureichender Informationen neigen Politiker dann dazu, Fehlentscheidungen zu treffen. Sie verfallen der gefährlichsten Fehleinschätzung in einem Krieg, nämlich den politischen Gegner zu unterschätzen und seine Fähigkeit auszublenden, Deutschland mit einem einzigen Atomschlag vollständig zu vernichten. Getrieben von Propaganda-Medien, werden Politiker zu verantwortungslosen Hasardeuren. In diesem Stadium befinden wir uns.

Marcus Klöckner: Was bedeutet die „Schieflage“ im Mediensystem für die Demokratie und unsere Gesellschaft?

Patrik Baab: Die Zerstörung des demokratischen Debattenraums und die Ausblendung von Positionen, die am Friedensgebot des Grundgesetzes orientiert sind, hat zwei Folgen: Die Presse wird nach innen zum schärfsten Zensurorgan und nach außen zum zentralen Kriegstreiber. Durch ihre postfaktische Berichterstattung tragen die Medien erheblich bei zur Zerschlagung der demokratischen Gesellschaftsordnung. Frau Prof. Ulrike Guérot und ich werden namentlich genannt im Jahresbericht von Amnesty International – als Beispiel für Zensur, Berufsverbot und öffentliche Diffamierung. Dies wird weltweit beobachtet. Ich erhalte Post aus den USA, Kanada, dem Vereinigten Königreich, Dänemark, Schweden. Die deutsche Presse interessiert das aber nicht. Gleichzeitig werden Presseorgane wie Compact verboten. Hier bin ich gespannt, was das Bundesverfassungsgericht dazu sagen wird. Das alles zeigt, wohin die Reise geht: Die Kriegsfraktion im herrschenden Parteienkartell arbeitet an der Abschaffung der Demokratie, um in einer postdemokratischen Staatsordnung die Macht zu usurpieren. Diese Leute haben abgewirtschaftet. Sie können sich nur noch mit Stützung des Großen Bruders in Washington und der Unterdrückung abweichender Meinungen halten. Die Kriminalisierung von Dissens ist ein klassisches Zeichen einer Diktatur.

Marcus Klöckner: Sehen Sie Möglichkeiten, wie die Situation „aufgebrochen“ werden kann? Was können die Bürger tun?

Patrik Baab: Die Bürger sollten darüber nachdenken, von der Propaganda-Presse Abschied zu nehmen: Das Zeitungs-Abo kündigen, den Fernseher ausschalten. Eine stärkere Nutzung der neuen Medien wie der NachDenkSeiten kann helfen, sich einen kritischen Blick auf die Propaganda auch in den Medien zu bewahren. Und die Menschen müssen den Kriegstreibern entgegentreten: Mit dem Stimmzettel und friedlich, auf der Straße. Sonst werden sie in den Kriegen sterben, die sie nicht verhindern wollten.

Das Interview erschien in Erstveröffentlichung bei den Nachdenkseiten am 18.Juli 2024. Der direkte Link: https://www.nachdenkseiten.de/?p=118293 

Lesetipp: Patrik Baab: Propaganda-Presse. Wie uns Medien und Lohnschreiber in Kriege treiben. Verlag Hintergrund, 17. Juli 2024, 128 Seiten

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