Pascal Siggelkow ist die faktencheckende Geheimwaffe – der ARD? Oder besser der Ampelkoalition? An ihm sieht man besonders, wie wenig Journalismus und Politik in der Berliner Blase zu trennen sind.
Ein Kommentar von Roberto De Lapuente.
Im Juli 2010 wurde ZDF-Journalist Steffen Seibert von der damaligen Bundesregierung zum Regierungssprecher berufen. Seinerzeit erklärte er, dass diese Berufung für einen leidenschaftlichen Journalisten »eine ganz unerwartete, faszinierende neue Aufgabe« sei. Das war natürlich Unsinn, denn ein Regierungssprecher ist so ziemlich das Gegenteil von einem Journalisten. Er ist schließlich nicht neutral, nicht kritisch, nicht objektiv – er ist parteiisch, gutgläubig, subjektiv: er ist also das personifizierte Verlautbarungsorgan seines Dienstherrn. Und er erzählt, was die Regierung von ihn erwartet; er tut kund, was man ihm aufschreibt; er vermittelt Vordiktiertes. Genau so lautete damals ein Teil der Kritik an dieser Berufung.
Das ist nun 14 Jahre her – und liegt gewissermaßen Jahrhunderte vor dem Jahr 2024. Damals gab es noch keine Faktenfinder bei den öffentlich-rechtlichen Blendeanstalten. Noch gab es den Versuch, den Journalismus als etwas darzustellen, das mit der Kontrolle der Mächtigen zu tun hat. Um nicht falsch verstanden zu werden: Schon damals klappte das nicht mehr so gut. Aber sich auf Kosten der Beitragszahler ein ganzes Heer an Regierungssprecher und -schreiber zu unterhalten: 2010 schien das noch undenkbar. Seiberts Worte von damals, dieses Zusammendenken von Journalismus und Regierungsnähe: Heute ist dies der Standard. Nehmen wir nur mal Pascal Siggelkow. Der wurde nie zum Regierungssprecher berufen, agiert aber wie einer.
Der junge Mann ist nun seit etwas mehr als zwei Jahren ein sogenannter Faktenfinder der Tagesschau. Von Anfang an war seine Tätigkeit dort eine Liebesbeziehung. Und zwar zur Bundesregierung. Sein allererster Eintrag stellt klar, dass es keinen Heizzwang in Kassel gäbe. Damals ging ein Schreiben in den Netzwerken um, wonach die nordhessische Stadt einen Erlass verfügt hätte – dieses Schreiben war gefälscht. Damit wäre der Faktencheck formell beendet, aber Siggelkow legte nach, spannte den Bogen zur gewollten Desinformation und den Unruhen, die Nancy Faeser damals für den Herbst prognostiziert hatte – womit er seinen Beitrag zur Richtigstellung natürlich dick unterstrich: Der Faktenfinder adelte sich selbst als Aufklärer und Bewahrer der öffentlichen Ruhe.
111 Einträge (Stand: 8. August 2024) hat Siggelkow seither formuliert. Eines muss man ihm lassen: Die Qualität seiner Regierungstreue nimmt nicht ab. Bei einem seiner letzten Stücke zeigt sich das blendend: Das Bündnis Sahra Wagenknecht, so arbeitet er heraus, sei auf Linie mit der russischen Propaganda. Denn es fordere Verhandlungen für den Frieden. Dabei wisse man, dass Russland keinen Frieden wolle. Woher Siggelkow das weiß, ahnt man: Es sind dieselben Kanäle, aus denen die üblichen Verdächtigen ihren Wahn beziehen. Leute wie Strack-Zimmermann, Hofreiter, Baerbock, Kiesewetter oder Roth. Sie sind, um Siggelkows Titel zu nutzen: Auf Linie mit der NATO-Propaganda. Denn wenn man mit jemanden nicht mehr spricht, weiß man doch gar nicht, was er will und was nicht.
Ein Auszug aus Siggelkows Œuvre der letzten Wochen: Aufregung um entschwärzte RKI-Protokolle – Siggelkow: nicht nachvollziehbar, denn da steht nichts Neues drin. Bereits im März: Aufregung um damals noch geschwärzte RKI-Protokolle – Siggelkow: Das ist nur ein Skandal, der keiner ist. Angriff auf Kinderkrankenhaus als russische Propaganda – Siggelkow: Weiß nichts, außer das, was NATO-Kreise ihm mitteilen; er verkündet es als Tatsache. Biden gebrechlich – Siggelkow: Alles aus dem Kontext gerissen und rechte Kampagne; fünf Tage später sah es die ganze Welt beim TV-Duell gegen Donald Trump. WHO-Vertrag und Verschwörungstheoretiker – Siggelkow: Halb so wild, denn der Vertrag ändert kaum was. Die Sanktionen gegen Russland wirken – Siggelkow: Macht die Wirkung klar und erklärt gleichzeitig, dass sie dennoch kaum etwas bewirkt haben. Demos gegen rechts kritisiert – Siggelkow: Man wolle nur Correctiv diskreditieren; später musste die Plattform klein beigeben. Wie viele junge Leute wollen wirklich die AfD wählen – Siggelkow: Die Prognosen seien verwirrend und daher Panikmache; bei der Europawahl wurde die AfD bei den Jungen dann zweitbeliebteste Partei.
Man könnte immer so munter weitermachen. Siggelkow ist Chronist – aber anders als es frühere Chronisten taten, erfasst er nicht das Geschehen. Nein, er will das erfassen, was gerade nicht geschehen ist, was aber geschehen sein sollte, wenn es nach ihm geht.
Interessant ist noch ein Aspekt. Pascal Siggelkow checkte zwei ARD-Sommerinterviewte. Einmal den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz – und dann noch Tino Chrupalla von der AfD. Merz unterstellte er, keinen Sinn für Klimaschutz zu haben. Chrupallas Aussagen negiert er dagegen in Gänze. Ob Abschiebungen oder Grenzkontrollen: Das alles sei juristisch gar nicht möglich, erklärt er. Bei Siggelkow liest es sich, als habe der Staat überhaupt keine Kompetenzen mehr und müsste nur noch hinnehmen. Interessant ist in dem Kontext jedoch nicht, was Siggelkow zu den beiden Herren zu schreiben hat. Viel wichtiger ist, was er nicht schreibt.
Denn vor den beiden war noch eine Figur des politischen Berlin auf der Terrasse des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses eingeladen: Der Bundeskanzler selbst. Olaf Scholz sprach viel, sagte aber wenig. Die zentralen Probleme wurden noch nicht mal vom Leiter des ARD-Hauptstadtstudios Markus Preiß angerissen – kritische Nachfragen fanden gar nicht statt. Dabei gab es Anlass genug dazu. Das Thema der Gewalt auf Deutschlands Straßen zum Beispiel: Aber auch hier Fehlanzeige. Und wenn der Kanzler doch was sagte, ergoss er sich in Plattitüden. Das ist man freilich gewohnt von ihm. Aber wo war Siggelkow da?
Ob er wohl im Urlaub war? Vielleicht machte er ja einen Englischkurs auf Malta? Schaden kann das nicht. Denn es war ebenjener Jungjournalist, der sich im Februar 2023 bis auf die Knochen blamierte – jedenfalls hätte er sich schämen sollen. Ob er es tat? Damals nahm er sich Seymour Hershs Bericht vor, wonach die Vereinigten Staaten zusammen mit Norwegen in einer verdeckten Mission die Pipelines von Nord Stream gesprengt haben. Siggelkow erklärte, dass Hersh von einem eingesetzten Sprengstoff berichtete, der in Pflanzenform angewandt würde. Siggelkow hat plant falsch übersetzt – es meinte bei Hersh »anbringen« oder »platzieren« und nicht »Pflanze«. Auf dieser Grundlage ließ man nicht nur Sprengstoffexperten kommentieren, Siggelkow machte Hersh mit einer falschen Übersetzung zum kruden Spinner. Das kommt heraus, wenn Faktenerfinder mit einem klaren Auftrag an Sujets herangehen.
Pascal Siggelkow ist das Paradebeispiel eines Journalismus, der sich vollends verloren hat in der Nähe zur politischen Macht. Wenn er denn überhaupt noch einer ist. Von Beeinflussung seitens der Politik muss man gar nicht mehr sprechen. Der herrschende Jungjournalismus lernt an den Hochschulen, wie er vorankommt: Wenn es hält wie Siggelkow, wie dieser Ampelchecker, der der Bundesregierung nach dem Mund schreibt, stehen einem alle Chancen offen. Siggelkows Credo an die Leser lautet: Wir werden gut und vernünftig regiert. Wer das Gegenteil behauptet, mit dem rechnet er in seinem nächsten Faktencheck ab – wenn es sein muss, mit neu interpretierten Übersetzungen.
Zum Autor: Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog ad sinistram. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. Er war Kolumnist beim Neuen Deutschland und schrieb regelmäßig für Makroskop. Seit 2022 ist er Redakteur bei Overton Magazin. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main. Im März 2018 erschien sein Buch „Rechts gewinnt, weil links versagt“.
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