Deutschlands Doppelproblem: Aktienrückkäufe

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  • März 5, 2024
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Ein Beitrag von Gerd Grözinger

Shutterstock/ Kamil Zajaczkowski

Deutschland hat ein Doppelproblem − zu geringe öffentliche Einnahmen und stockende private Investitionsaktivität. Hier geht es um drei inhaltlich miteinander verbundene Vorschläge, um das Problem praktisch anzugehen. Als erstes geht es um Aktienrückkäufe. Das hört sich nach etwas Exotischem aus der fernen Welt der Finanzinvestoren an. Warum sollte das Normalsterbliche überhaupt interessieren und warum wäre es besser, solches grundsätzlich zu untersagen?

Erklärt ist der Begriff schnell: Es handelt sich um Aufkäufe eigener Geschäftsanteile von Aktiengesellschaften. Bis zum 1998 war das in Deutschland nur unter sehr restriktiven Bedingungen möglich und entsprechend selten. Seitdem wird es aber zunehmend von börsennotierten Firmen genutzt, obwohl der dafür zuständige Paragraph 71 des Aktiengesetztes so beginnt:

„1) Die Gesellschaft darf eigene Aktien nur erwerben, 1. wenn der Erwerb notwendig ist, um einen schweren, unmittelbar bevorstehenden Schaden von der Gesellschaft abzuwenden…“.

Selten ist eine Gesetzesvorschrift in der Praxis anders angewandt worden wie diese Formulierung. Denn Aktienrückkäufe werden von den florierenden Gesellschaften genutzt − und nicht von denen, wo ein ‚Schaden‘ droht. Hier ein beliebiges Beispiel aus einer Aktionärszeitung vom letzten Dezember:

„Die 12-Euro-Marke bei der Deutsche-Bank-Aktie könnte in den kommenden Tagen fallen. In den letzten Wochen hat sich der Kurs immer weiter nach oben gearbeitet. Zusätzlichen Schwung für 2024 dürften auch neue Aktienrückkauf-Programme bringen. Das letzte lief gerade erst aus.“

Warum machen Aktiengesellschaften das eigentlich? Die naheliegende Antwort: weil so viele davon profitieren und die Politik entweder nicht interessiert oder nicht stark genug ist, dagegen zu halten. Es freuen sich erstens die Aktionäre, denn wenn eine erwirtschaftete Gewinnsumme auf weniger Aktienkapital verteilt werden muss, bleibt pro Aktie mehr hängen. Die Börse weiß das natürlich auch, also steigt der Aktienkurs. Da die Boni des Vorstands gerne an dessen Entwicklung gekoppelt werden (zum Beispiel in Form von Aktienoptionen), gewinnt zweitens somit auch das obere Management sowohl an Einkommen wie Reputation. Der Wirtschaftsjournalist Gabor Steingart nannte kurstreibende Aktienrückkäufe deshalb „das Bürgergeld der großen Leute“. Schließlich, der Vollständigkeit halber: wo es die Option von Mitarbeiteraktien gibt, gewinnen drittens aber auch diese von der positiven Kursentwicklung. Vielleicht deshalb sind die Gewerkschaften in der Frage bisher merklich gedämpft.

Die Nachteile sind gesamtgesellschaftlicher Art und vielfältig. Da gibt es erstens relevante Mindereinnahmen bei der Einkommensteuer. Für Unternehmen sind Dividenden und Aktienrückkäufe beides Ausschüttungsformen an Aktionäre. Auf den ersten Blick gibt es hierzulande für die Anteilseigner bei Rückkäufen gegenüber Dividenden nichts mehr an Extras zu gewinnen, da beides steuerlich gleichbehandelt wird (Abgeltungssteuer). Es zeigt sich aber doch ein gewichtiger Unterschied. Während die Einkommenssteuer bei der Dividende sofort anfällt und hilft, die öffentlichen Kassen hier und jetzt zu füllen, gilt das für durch Aktienrückkäufe erzeugte Kurssteigerungen nur bei einem etwaigen Verkauf. Vorher wird seitens des Fiskus bei den Gewinnausschüttungen in Form von Aktienrückkäufen von den Besitzern nichts eingenommen.

Bei den Unternehmen selbst bleibt zweitens dazu auch gerne noch etwas hängen, dann nämlich, wenn sie den Aktienrückkauf ganz oder teilweise kreditär finanzieren, eine gar nicht so seltene Praxis. Diese Zinskosten senken den zu versteuernden Gewinn, wieder vermindern sich also öffentliche Einnahmen. Eine solche Strategie ist dazu für die Unternehmen nicht ungefährlich, denn wenn der Gewinn später einbricht, bleiben die Zinsverpflichtungen trotzdem erhalten. Dass weiter durch Aktienrückkäufe die Konzentration der Eigentümerschaft steigt, weil der Streubesitz − sprich Kleinaktionäre − eher als andere Investoren seine Papiere bei steigenden Kursen verkauft, ist eine dritte vielgeäußerte Kritik.

Viertens verzerren die Aktienrückkäufe den Informationsgehalt der Börsenentwicklung, wie er von Medien und Öffentlichkeit als Indikator für die wirtschaftliche Situation gerne benutzt wird. Eine Untersuchung von Aktienindices der letzten zehn Jahre ergab, dass „Aktienrückkäufe in Nordamerika für 26 Prozent der Kursgewinne verantwortlich sind. In Europa liegt der Anteil der Aktienrückkäufe an der Performance mit 26,8 Prozent noch höher.“

Schließlich gilt fünftens, dass üppige Dividendenzahlungen ein gut erkennbares Signal darstellen, das auch verteilungspolitische Konsequenzen hat. Weil sie Gewerkschaften nämlich intern und extern ermächtigen, ihrerseits für angemessen steigende Löhne zu kämpfen. Aktienrückkäufe dagegen werden in der Öffentlichkeit viel weniger als eine andere Art von Gewinnausschüttung an die Eigentümer wahrgenommen.

Es bleibt natürlich die Frage berechtigt: Ist denn diese Größe überhaupt relevant, um tätig zu werden? Dass dem so ist, dafür spricht eine aktuelle Meldung: „Die 40 Dax-Konzerne haben nach Handelsblatt-Berechnungen 27 Milliarden Euro dafür vorgesehen, eigene Aktien an der Börse aufzukaufen, einzuziehen und so den Gesamtbestand zu verringern. Am meisten Geld geben dafür Mercedes-Benz mit drei Milliarden Euro, SAP mit fünf und Siemens mit sechs Milliarden Euro aus.“

International ist Deutschland da keine Ausnahme. Die Financial Times listete die weltweit 1200 größten an Börsen gehandelten Unternehmen. 2022 wurden von dieser großen Gruppe an Kapitalgesellschaften Aktienrückkäufe im Wert von 1,300 Milliarden Dollar getätigt − eine Verdreifachung in einer Dekade. Und das Volumen erreicht fast schon das der Dividendenzahlungen. Die US-Regierung ist über das Ausmaß und die negativen Auswirkungen beunruhigt. Seit letztem Jahr wird dort eine 1-Prozent-Steuer auf Aktienrückkäufe erhoben. Der Versuch, das jetzt auf 4 Prozent zu erhöhen, ist zwar auf den Weg gebracht, aber bisher im parlamentarischen Niemandsland eines Wahljahrs stecken geblieben.

Die erste Forderung ist deshalb, in Deutschland − wie früher faktisch gegeben − Aktienrückkäufe zu untersagen. Sie erfüllen keine für die Allgemeinheit nützliche Funktion, vermindern dagegen Steuereinnahmen und verzerren das Bild des Umfangs ökonomischer Ungleichheit.

Oben wurde ausgesagt: Für die Aktionäre ist es steuerlich auf lange Sicht betrachtet gleichwertig, ob Dividende oder Aktienrückkauf. Sowohl die klassische Ausschüttung wie auch durch Rückkauf induzierte Kurssteigerungen werden mit dem gleichen Satz besteuert (letzteres, wenn verkauft wird). Es gibt aber eine gewaltige Ausnahme: Kursgewinne bei Aktien, die vor 2009 erworben wurden, bleiben bei Verkauf steuerfrei. Hier fällt also nicht erst später die Abschlagssteuer an, sondern es gibt trotz vielleicht erheblicher Einkünfte gar keine Steuereinnahmen von den Besitzern. Dieses Stichjahr 2009 hängt damit zusammen, dass damals wieder einmal die Dividendenbesteuerung geändert wurde. Warum diese Sonder-Befreiung für zuvor gekaufte Papiere gilt, erschließt sich nicht wirklich. Wirtschaftssubjekte aller Art, darunter Lohnempfänger oder Rentner, sind dauernd Änderungen gesetzlicher Art unterworfen, und können sich nicht darauf berufen, früher hätte aber einmal etwas anderes gegolten.

Dazu kommt, dass diese implizite Subvention denen zugutekommt, die mit einem etwaigen Verkauf lange warten konnten, also den sehr Vermögenden. Sie betrifft aber kaum die Kleinanleger, die das vor allem als Teil der Alterssicherung oder Notgroschen verstehen und bei Eintreten einer solchen Situation ihr Depot aufzulösen beginnen. Die anderen, die eben nicht verkaufen müssen, sondern die Firmenbeteiligung stärker als Langfristinvestition sehen können, dürfen dagegen die Steuerbefreiung, den eine vor 2009 erworbene Aktie bietet, sogar mitvererben.

Die zweite Forderung ist deshalb, den Vorteil, welchen vor 2009 erworbene Aktien bei der Abgeltungssteuer bieten, wegen der Verstärkung gesellschaftlicher Ungleichheit und dem Verlust von Steuereinnahmen ersatzlos aufzuheben.

Die Literatur zu den gesamtwirtschaftlichen Effekten von Aktienrückkäufen wie Dividendenzahlungen ist meist rein betriebswirtschaftlich orientiert, hat also die Interessen der Aktionäre im Blick (‚Shareholder Value‘). Eine neuere Studie aus den USA beschaut aber die Auswirkungen auf die Gesellschaft (‚Stakeholder Value‘). Sie beinhaltet neben Fallbeispielen technologieintensiver Unternehmen auch statistische Analysen. So wurden in der Arbeit für die in den USA gelisteten AGs Aktienrückkäufe plus Dividendenzahlungen zum einen den Nettogewinnen, zum anderen den Ausgaben für Sachinvestitionen plus denen für Forschung und Entwicklung gegenübergestellt, letztere Bezugsgröße ein kombinierter Indikator für das Langfristinteresse der Firmen. Der untersuchte Zeitraum war 1982 – 2021, also seit dem Jahr der großen Lockerung für Aktienrückkäufe in den USA bis zur Gegenwart, dargestellt in mehrjährigen gleitenden Durchschnitten.

Die beiden zentralen Ergebnisse sind erstens, dass die Gesamtausschüttungen (‚returns‘) aus Dividenden und Rückkäufen trendmäßig einen immer größeren Anteil an den Nettogewinnen einnehmen, in einzelnen Jahren sogar darüber liegen. Und dass zweitens auch die Ausschüttungen im Verhältnis zu den Sachinvestitionen plus F&E-Ausgaben dramatisch zunehmen. Die letztere Relation verdreifacht sich fast im betrachteten Zeitverlauf.

Wenn − wie jetzt gerade wieder − über mangelnde Investitionsbereitschaft geklagt wird, werden von den Unternehmensvertretern und den mit ihnen assoziierten Parteien und Ökonomen alle möglichen Gründe aufgeführt, wie angeblich zu hohe Löhne, zu hohe Steuern oder zu hohe Energiekosten. Die obige Grafik zu US-basierten Unternehmen demonstriert, dass das über die letzten Dekaden sich steigernde ‚Kasse-machen-wollen‘ der Eigentümer dabei völlig unterschätzt wird. Davon ist auch Deutschland nicht unberührt. So werden hierzulande für 2023 alleine die Dividendenauszahlungen, also ohne Aktienrückkäufe, auf 75 Milliarden Euro geschätzt, „so viel wie noch nie“.

Reicht aber der gern zitierte ‚Druck der Märkte‘ für einen Automatismus an ausreichenden Investitionen und Innovationen nicht mehr aus, weil ‚Kasse-machen-wollen‘ zunehmend die neue Benchmark ist, an der sich Anleger orientieren, dann muss eine gesetzliche Vorschrift her, die den Verfall langfristiger Interessen wieder kompensiert. Statt weitere einnahmensenkende Sonderabschreibungen etc., wie in Deutschland gerade diskutiert, hätte man mit einer an Ausschüttungen gekoppelten Investitionsverpflichtung einen viel größeren und die knappen Ressourcen der öffentlichen Hand schonenden Hebel zur Hand.

Damit ist nicht gemeint, dass der Staat sich in die Auswahl von Investitionen einmischt, sondern nur eine Untergrenze davon für größere Unternehmen festlegt. Und wenn Firmen so gar nichts einfällt, wie sie ihre Produktions- und Innovationskapazitäten ausweiten könnten, dann könnten sie immer noch Wohngebäude errichten. Daran mangelt es schließlich auch in erheblichem Ausmaß. Schließlich, es wird sich auch eine leicht handhabbare Lösung finden, wenn Konzerne, wie üblich, international tätig sind. Dann könnte etwa die Ausschüttungen nach Anteilen der Beschäftigten hierzulande und anderswo aufgeteilt werden, wobei nur der heimische Part Basis einer Investitionsverpflichtung darstellte.

Der dritte Vorschlag ist, dass künftig jede Form von einer Deutschland zugerechneten Gewinnausschüttung mit einer Investitionsverpflichtung von (hohen) xProzent damit einhergehen soll. Eine solche Verpflichtung bedeutet, dass in diesem Umfang über den Vergleichswert des vorhergehenden Jahres hinausgehende Ausgaben für Sachinvestitionen und F&E auf dem Gebiet Deutschlands nachzuweisen sind. Andernfalls fließen die von einem Unternehmen nicht investiv nachgewiesenen Mittel entschädigungslos in den Bundeshaushalt, um von dort aus Zukunftsinvestitionen in öffentlicher und privater Trägerschaft zu fördern.

Zum Autor: Gerd Grözinger ist emeretierter Professor Sozial-und Bildungsökonomik an der Europa-Universität in Flensburg

Der Beitrag erschien in Erstveröffentlichung am 4.März 2024. Link: https://makroskop.eu/07-2024/deutschlands-doppelproblem/

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