Der Deutschen Angst vor einem Dritten Weltkrieg ist nichts als ein nicht verarbeitetes Trauma: Sagt ein Historiker, der offenbar auch Psychiater sein will.
Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente
Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen. Von Felix Ackermann, einem Professor für Public History an der Fern-Universität Hagen. Jetzt halten Sie sich fest: Wenn Sie Angst haben vor einem Dritten Weltkrieg, dann liegt das nicht an etwaigen Taurus-Lieferungen, die mit Friedrich Merz und seinen grünen Waffenlieferungsverstehern um ein gutes Stück mehr drohen, als mit dem Schlafkanzler: Nein, es liegt zuallererst an der russischen Propaganda.
Denn die erzählt seit Jahr und Tag von einer grundlegenden Auseinandersetzung zwischen Russland und dem Westen. Und im russischen Fernsehen wird schon längstens mit Weltkrieg und Nukleareinsätzen gedroht. Letzteres stimmt sogar, solche Stimmen gibt es im russischen Fernsehen tatsächlich. Aber Ackermann weiß, dass das nur Propaganda ist, die nur heiße Luft fabriziert. Sich trotz klarer Propaganda dennoch davor zu fürchten, bedeutet laut Gastautor allerdings nicht, dass man seinen gesunden Menschenverstand einsetzt, sondern den Propagandisten auf den Leim gegangen ist. Und das trifft fast alle Schichten, meint er: Denn in allen Telegram-Gruppen von Corona-Leugnern fruchtet diese Propaganda. Man sieht: Ackermann weiß, wie man mit Labels hantiert. Dass aber auch Bundestagsabgeordnete dieser Angst erliegen, zeige wie wirksam die Propagandaerzählungen des Kremls wirklich sind.
Frontallappen verknotet
Propaganda hin oder her: Russland ist eine Atommacht. Russland könnte sich in die Enge gedrängt fühlen – der Konjunktiv ist hier Absicht, er soll anzeigen, dass es ja sein könnte, dass trotz Propaganda, die es freilich gibt, dennoch reale Gefahren drohen könnten. Ackermann kommt auf diese Idee gar nicht erst. Darüber verliert der Staatshistoriker – oder wie übersetzt man Public History sonst sach- und fachgerecht? – nicht eine Silbe. Ihn beschäftigt, wie es sein kann, dass man der russischen Propaganda so blind folgen kann. Und natürlich weiß er einen Grund: Es muss ein Trauma sein!
Eigentlich sind es zwei Traumata, auch wenn Ackermann sie wie eines behandelt. Weil die Deutschen im Kalten Krieg glaubten, sie wären das Schlachtfeld einer neuen globalen Auseinandersetzung, so erklärt er, würden sie heute immer noch davon ausgehen, dass es sie treffen würde. Und dann gab es da ja auch noch die Erinnerung an zerbombte Städte, die sich tief eingeprägt hätten in das kollektive Bewusstsein der Menschen. Bei Ackermann klingt das fast vorwurfsvoll – denn beides sei nicht verarbeitet worden: Als haben die Deutschen es aus reiner Bequemlichkeit verpasst, keinen Psychologen aufzusuchen, der ihnen diese Ängste austreibt – als sei die Angst also eine psychische Erkrankung, die zu therapieren längst hätte geschehen sollen.
Gleichzeitig lässt Ackermann seine Leser wissen, dass in Russland der Dritte Weltkrieg schon begonnen hätte. Für die Russen sei er nämlich schon da, bereits aktiv. Dennoch sei die Angst der Deutschen aber eine Folge eines Traumas und damit wären sie anfällig für die Propaganda aus Russland. Hä? Muss man das verstehen? Hat die Redaktion nicht kurz mal innegehalten und sich gefragt, warum sich Ackermann an zentralen Stellen seines Artikels so unglaublich widerspricht? Müsste nicht spätestens zur Hälfte des Gastartikels aufgefallen sein, dass er recht unreflektiert mit Signalwörtern um sich wirft, die eines anzeigen sollen: Ich, der liebe Herr Ackermann, stehe auf der richtigen Seite – ich habe es verstanden. Ob seine Leser es aber auch haben? Wie verknotet muss der Frontallappen eigentlich sein, um seiner Argumentation auch nur den Hauch von Stringenz nachsagen zu können?
Die Angst der Anderen
Wieder so ein Artikel, der unter Aufbringung schier unmenschlicher Geistesverdrehungen versucht, jede Art von Friedensbemühung oder Friedensabsicht – deren Grundlage ja durchaus meist die Angst vor einem Waffengang ist – zu unterminieren und ins Pathologische zu hieven. Denn Angst vor Kriegsdrohungen zu haben, das sei nicht normal, ja nicht gesund. Hat man sie doch, so ist man als Opfer eines Traumas zu bewerten. Ackermann sagt, leicht modifiziert: Dieser blöde Zweite Weltkrieg, er macht uns anfällig für Ängste, die es in einem anderen Vergangenheitsszenario nicht gegeben hätte. Wenn Deutschland den Krieg gewonnen hätte zum Beispiel – gut, diesen Gedankengang bedient Ackermann nicht. Aber es liegt nahe, so weiterzudenken. Dieses Detail steckt gewissermaßen im Wesenskern seiner Ausführungen.
Die »postnationalsozialistische Angst vor der hypothetischen Vernichtung«, wie Ackermann schreibt, sei zudem egozentrisch. Denn es gehe den Verängstigten im Lande lediglich um die eigene Haut. Es ist ihre eigene Angst, die sie umtreibt – und nicht die der Ukrainer. Wo um Himmels willen erleben Menschen auf diesem Erdenrund jemals die Angst anderer am eigenen Leib? Jeder Mensch kennt nur seine Angst, weiß aber nicht sicher, wie sich die Angst seiner Mitmenschen wirklich anfühlt. Wie kommt also Ackermann dazu, diesen Umstand wie eine Anklage im Munde zu führen? Was er da thematisiert, ist die normalste Normalität, die denkbar ist: Menschen erleben ihre eigene Angst selbst. Vermutlich sollen sie aber die nicht erleben, was heißt: Hart zu sich selbst sein, die Angst verleugnen – Kameraden, seid eisern!
Ebenfalls was den Austragungsort eines Krieges betrifft: Dass es Deutschland zwingend sein müsse, hält Ackermann – wie schon erwähnt – für ein Trauma. Dabei wisse man gar nicht, ob es so komme. Da hat er natürlich recht, man weiß nie etwas sicher – aber es gibt Wahrscheinlichkeiten. Und dass ein solcher Krieg auch in Deutschland ausgetragen würde, ist nicht ganz so unwahrscheinlich. Aus dem Umstand, die Zukunft nicht kennen zu können, jedoch eine Ansicht zu modellieren, die die Gefahr erstmal für nicht gegeben hält, statt für durchaus möglich und denkbar, zeugt von ziemlicher Eindimensionalität. Vorausschauend zu sein: Das macht erwachsene Menschen aus – Kinder leben hingegen in den Tag hinein. Kurz und gut: Mehr kindliche Unschuld täte uns sicherlich gut – kindische Argumentation schadet uns aber beträchtlich.
Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog ad sinistram. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. Er war Kolumnist beim Neuen Deutschland und schrieb regelmäßig für Makroskop. Seit 2022 ist er Redakteur bei Overton Magazin. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main. Im März 2018 erschien sein Buch „Rechts gewinnt, weil links versagt“.
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