Rekordhoch bei der Antidiskriminierungsstelle: Es gab so viele Anfragen wie nie. Ist Deutschland wirklich rassistischer, sexistischer und homophober als früher?
Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente
Die Diskriminierung in Deutschland wächst. Ob Rassismus, Sexismus, Ausgrenzung wegen Alter oder Behinderung: Immer häufiger kommt es zu Situationen, in denen diskriminiert wird. So jedenfalls sieht es die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Im Jahr 2023 gab es 10.772 Beratungsanfragen – ein Jahr zuvor waren es nur 8.827. Und 2019 sogar nur 4.247. Die Lage sei ernst, sagte die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes Ferda Ataman, als die Meldestelle ihre Zahlen präsentierte.
Das wäre zu hinterfragen. Ohne jetzt den Umstand leugnen zu wollen, dass es sehr wohl Diskriminierung gibt, bleibt festzuhalten: 10.772 Beratungsanfragen für 84,1 Millionen Bürger scheint eine recht übersichtliche Zahl zu sein – um bei den vor geraumer Zeit sehr beliebten Inzidenzzahlen zu bleiben: Das läuft auf ein Dutzend Fälle auf 100.000 Einwohner hinaus. Ein Inzidenzwert von 12 steht also im Raum. Dabei ist noch nichts über die Qualität der Anfragen selbst gesagt. Und Diskriminierungen wegen Armut, etwa wenn sich eine Familie einen teuren Schulausflug nicht leisten kann und die gesamte Schulklasse den Mangel mitbekommt, werden bei der Antidiskriminierungsstelle gar nicht erst erfasst.
Diskriminierung, die es vorher so nicht gab
Das Anwachsen der Zahlen spricht außerdem nicht für eine ernste Lage, wie die Antidiskriminierungsbeauftragte festhielt – es gibt offenbar einen Markt für Meldefälle. Den hat einerseits die identitätspolitische Überempfindlichkeit, andererseits die Bundesregierung selbst geschaffen. Hier ist unter anderem auf das Selbstbestimmungsgesetz zu verweisen, das unter anderem falsche geschlechtliche Anrede sanktionieren soll – und so nebenher eine Diskriminierungsform schafft, die es vorher gar nicht gab und auf die kaum jemand kam.
In den letzten Jahren war die Identitätspolitik derart damit beschäftigt, etwaige Diskriminierungsmotive geradewegs zu generieren, dass man schon den Eindruck bekommen konnte, dass es Woche für Woche neue Diskriminierungsformen und -arten zu geben schien. Männer, die breitbeinig in der Tram sitzen etwa, die diskriminierten Frauen ebenso, wie Frauen wiederum Transfrauen diskriminierten, wenn sie sie nicht im Frauenhaus oder auch nur in der Frauensauna haben wollten.
Institutionen und Betriebe gaben sich in den letzten Jahren eine Policy, die direkt der identitätspolitischen Agenda entnommen zu sein scheint: Dass dies Fälle von Diskriminierung erzeugt, die es vorher nicht gab und die vorher unter Umständen noch nicht mal jemand als Diskriminierungsattacke wahrgenommen hat, liegt auf der Hand. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) beispielsweise verteilt Drittmittel nach sogenannten »Forschungsorientierten Gleichstellungs- und Diversitätsstandards«. Das heißt, Anträge für Forschungsgelder werden zwar durchaus inhaltlich geprüft, müssen aber mit von den Hochschulen eingehaltenen Diversitätsstandards »verrechnet werden« – werden letztere nicht eingehalten, kann der eingereichte Antrag wissenschaftlich noch so hieb- und stichfest sein: Er wird nicht mit Geldern ausgestattet.
Die DFG verfügte im Jahr 2019 über einen Förderetat von 3,6 Milliarden Euro – Mittel, die vom Bund und von den Ländern bereitgestellt werden. Es wundert also nicht, dass Universitäten penibel auf die Einhaltung solcher Regeln pochen – ihre finanzielle Ausstattung hängt daran, Diskriminierungsfälle zu vermeiden oder bei jedem Verdachtsfall sofort tätig zu werden.
Wer einen Anwalt hat, der braucht ihn auch
Das ist in etwa das Klima, in dem sich diese Republik befindet. Sie legt sich selbst Diversitätsregeln auf – vielleicht auch in guter Absicht, denn Diskriminierung gibt es, wie bereits erwähnt, durchaus in dieser Gesellschaft. Aber am Ende entsteht ein Klima der Angst und der Generalverdächtigung. Jeder Anschein vor Diskriminierung wird umgehend hinterfragt, skandalisiert – und eben auch zur Meldung gebracht.
Wenn man einen Anwalt hat, braucht man ihn auch. Hier ist es nicht anders. Die Installation von Meldestellen und den dazugehörigen Antidiskriminierungsgesetzen, die haarklein auseinanderdividieren wollen, wo und wie genau Diskriminierung aussieht, erzeugen ein Milieu, in dem man Vorfälle geradezu produziert.
Nehmen wir das sogenannte Racial Profiling: Das wird immer wieder angeführt, wenn es um polizeilichen Rassismus geht. Das kann in Einzelfällen auch zutreffen. Aber durchaus nicht immer. Die Frankfurter Polizei durchsucht im Bahnhofsviertel dezidiert Männer, die dem Aussehen nach aus dem Maghreb stammen. Für die Frankfurter Linke – was immer das heute noch bedeutet –, für die Jungs und Mädchen der Antifa, ist das seit Jahren klassische Diskriminierung. Aber warum sollte die Polizei ein Großmütterchen filzen oder einen Geschäftsmann mit Schlips und Kragen. Der mag auch was auf dem Kerbholz haben; Stichwort »Wirtschaftskriminalität«. Aber Drogen auf der Straße verticken: Da würde die Polizei, aus reinem moralisch korrektem Antrieb heraus ganz schön Ermittlungsenergie verschwenden.
In den Vereinigten Staaten wurde vor einiger Zeit ein Fall bekannt, in dem die Lebensgefährtin des Opfers eines Überfalles absichtlich die Hautfarbe des Täters verschwieg, weil sie sich nicht des Rassismus‘ schuldig machen wollte. Denn der Täter war schwarz. So gesehen schafft der Meldestellenstaat einerseits eine Diskriminierungsindustrie, weil er die Gesellschaft derart hypersensibilisiert und hysterisiert, dass damit dem Markt die Wege bereitet sind. Aber andererseits läuft es in seltenen Fällen offenbar auch anders: Dann führt er dazu, dass aus dem Antrieb nicht rassistisch sein zu wollen, Straftaten nicht so korrekt zur Anzeige gebracht werden, dass sie am Ende auch Aussicht auf Erfolg hätten. Dann wird man zusammengeschlagen – aber bleibt moralisch überlegen.
Zum Autor: Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog ad sinistram. Seit 2017 ist er Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. Er war Kolumnist beim Neuen Deutschland und schrieb regelmäßig für Makroskop. Seit 2022 ist er Redakteur bei Overton Magazin. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main. Im März 2018 erschien sein Buch „Rechts gewinnt, weil links versagt“.
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