Die EU lässt sich von Selenskij unter Druck setzen? Ukraine stoppt Transit von russischem Öl nach Ungarn und in die Slowakei. Die EU schweigt.

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  • August 2, 2024
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Ungarn und der Slowakei droht im kommenden Winter eine Öl- und Stromkrise. Der Grund ist die in Kraft getretene Entscheidung der Ukraine, die Durchleitung von russischem Öl über den südlichen Zweig der zu sowjetischen Zeiten für die Versorgung der Staaten im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) verlegten „Druschba“-Pipeline zu stoppen. Nach Angaben der Regierungen in Budapest und Bratislava fallen damit kurzfristig 33 Prozent des Bedarfs in Ungarn und 40 Prozent des Bedarfs der Slowakei aus. Die vorhandenen Vorräte sind auf den Verbrauch von drei Monaten ausgelegt und dürften damit zu Beginn der Heizsaison aufgebraucht sein. Ungarn und die Slowakei teilten sich laut Reuters monatlich rund 900.000 Tonnen russisches Öl. Insgesamt exportierte Russland rund 1,1 Millionen Tonnen (250.000 Barrel pro Tag) über den südlichen Zweig der Druschba-Pipeline, der durch die Ukraine verläuft.

Ein Beitrag von Sabiene Jahn

Shutterstock/ I T S

Kremlsprecher Dmitri Peskow bestätigte den Stopp der Lieferungen. Die Situation sei kritisch, da es keinen Dialog mit Kiew gebe, das den Transit gestoppt habe. „In der Tat ist die Lage für unsere Kunden ziemlich kritisch, aber das liegt nicht an uns“. Auf die Frage, ob Moskau versuchen werde, die Blockade aufzuheben oder den Ländern bei der Suche nach alternativen Lieferwegen zu helfen, antwortete er: 

Ungarn hat angekündigt, die Auszahlung von EU-Hilfen in Höhe von 6,5 Milliarden Euro an die Ukraine zu blockieren. Grund dafür ist der von Kiew verhängte Transitstopp für russisches Öl, das bis dahin über die Druschba-Pipeline nach Europa gelangte. Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó erklärte in einem Interview mit dem Fernsehsender ATV: „Ich habe klar zum Ausdruck gebracht, dass alle die Zahlung der 6,5 Milliarden Euro Entschädigung für Waffentransfers aus dem Europäischen Friedensrahmen vergessen sollten, solange die Ukraine dieses Problem nicht gelöst hat.“ Der Fidesz-Politiker weiter: „Denn wie würde es aussehen, wenn wir uns bereit erklärten, 6,5 Milliarden Euro zu zahlen, während die Ukraine die Sicherheit unserer Energieversorgung gefährdet?“ 

Péter Szijjártó zeigte sich zuversichtlich, dass die EU die Ukraine zur Freigabe der blockierten „Druschba“-Pipeline bewegen werde. Ungarn setzt nicht zum ersten Mal auf eine Blockade der Europäischen Friedensfazilität (EPF). Zuletzt hatte das Land im Mai den Riegel vor eine Auszahlung aus dem EPF-Topf geschoben und Forderungen durchgesetzt. „Wir arbeiten derzeit an einer rechtlichen Lösung“, sagte er nach einem Treffen mit dem russischen Außenminister Sergei Lawrow am Rande eines UN-Treffens in New York, wie Bloomberg berichtete. Wie die Nachrichtenagentur Reuters meldet, hat auch das slowakische Wirtschaftsministerium den Lieferstopp bestätigt. „Die Öllieferungen anderer russischer Exporteure, die nicht auf der erweiterten Sanktionsliste der Ukraine stehen, gehen weiter“, hieß es in einer Stellungnahme des Unternehmens „Transpetrol“. „Lukoil“ und das staatliche ukrainische Energieunternehmen „Naftogaz“ äußerten sich bisher nicht zu den Lieferstopps.

Ungarn und die Slowakei teilten sich laut Reuters monatlich rund 900.000 Tonnen russisches Öl. Insgesamt exportierte Russland rund 1,1 Millionen Tonnen (250.000 Barrel pro Tag) über den südlichen Zweig der Druschba-Pipeline, der durch die Ukraine verläuft. Die beiden EU-Staaten kündigten an, bei der EU-Kommission ein sogenanntes Konsultationsverfahren einzuleiten. Dessen Ziel ist, die EU-Kommission binnen dreier Tage zur Vorlage eines Lösungsvorschlags zu bewegen. Am Dienstag bestätigte die Kommission den Eingang eines sogenannten „Beschwerdebriefs“ der beiden Außenminister. Beide Regierungen behalten sich vor, ein internationales Schiedsgericht anzurufen. Die Slowakei drohte der Ukraine überdies mit dem Stopp der Lieferungen von Treibstoff aus ihrer Raffinerie in Bratislava, die etwa zehn Prozent des in der Ukraine verbrauchten Diesels ausmachen.

Der Import von russischem Öl über die „Druschba“-Leitung ist durch eine Ausnahmeregelung des EU-Sanktionsregimes bisher von den Liefersperren ausgenommen. Eventuelle Versuche Ungarns und der Slowakei, sich über das Ölterminal auf der kroatischen Adriainsel Krk Ersatzlieferungen zu verschaffen, würden aber unter das Sanktionsregime fallen, das russische Ölexporte über See verbietet und gerade erst im 14. Sanktionspaket weiter verschärft worden ist.

Das offizielle Ziel des von der Ukraine verhängten Transitverbots ist dasselbe wie das des EU-Sanktionssystems: Russlands Einnahmen aus dem Rohstoffexport zu verringern. Mit bisher mäßigem Erfolg: Im ersten Halbjahr dieses Jahres sind die russischen Öl- und Gaserlöse nach Angaben aus Moskau um 41 Prozent gestiegen und erlauben, wie die Süddeutsche Zeitung am Montag beklagte, Russland die „mühelose“ Finanzierung des Krieges. Insofern ist es wohl kein Zufall, dass trotz der Ankündigung des ungarischen Außenministers Péter Szijjártó, das ukrainische Embargo beim Treffen der EU-Außenminister am Montag dieser Woche zur Sprache zu bringen, das offizielle Abschlussdokument kein Wort zu dem Thema enthält. 

Versorgungssicherheit von zwei EU-Mitgliedsländern gefährdet

Dass sich die EU von einem Nichtmitglied, das überdies finanziell und militärisch extrem von ihr abhängig ist, die Versorgungssicherheit in zweien ihrer Mitgliedsländer gefährden lässt, widerspricht allen Gesetzen der politischen Logik. Damit liegt der Schluss nahe, dass der EU der Kiewer Handstreich wohl durchaus in den Kram passt, um Ungarn und der mit ihrem südlichen Nachbarland insofern solidarischen Slowakei ihren unabhängigen und als „prorussisch“ diffamierten Kurs in der Ukraine-Frage heimzuzahlen. 

Theoretisch wäre eine gütliche Lösung des Konflikts möglich: Die ukrainischen Sanktionen betreffen formal bisher nur den russischen Lukoil-Konzern, der etwa die Hälfte der Kapazität von „Druschba“ für seine Lieferungen nutzt. Theoretisch könnten also andere russische Konzerne aushelfen und die Belieferung übernehmen. Allerdings bringt diese Option kaum Planungssicherheit für Ungarn und die Slowakei; denn niemand kann garantieren, dass nicht die Ukraine ihr Embargo auch auf diese Ersatzlieferanten ausdehnt.

Da aber die EU offenkundig unwillig ist, gegenüber Kiew ein Machtwort zu sprechen und sich solche Eingriffe in laufende, vom EU-Recht gedeckte Verträge mit zwei Mitgliedstaaten zu verbitten, muss man davon ausgehen, dass sie sich lieber von Wolodimir Selenskij unter Druck bringen lässt. Statt dessen maßt sich Brüssel lieber das Recht zur Piraterie an. Die Pläne für das nächste Sanktionspaket sehen vor, dass Kontrolleure auch in internationalen Gewässern – also außerhalb der EU-Jurisdiktion – Öltanker entern, ihre Ladung kontrollieren und Schiffe mit aus Russland stammenden Ölfrachten auf hoher See beschlagnahmen können sollen.

Zum Autor: Sabiene Jahn, Jahrgang 1967,  ist freie Journalistin. Sie studierte Kommunikation der Werbewirtschaft. Seit über 35 Jahren ist sie als freischaffende Künstlerin (Sängerin und Synchronsprecherin) tätig.  Seit 2015 engagiert sie sich in der deutschen Friedensbewegung. Sie gründete Anfang 2018 den parteifreien Bürgeraustausch „Koblenz: Im Dialog“, um mit Bürgern, Journalisten und Wissenschaftlern in den persönlichen Austausch zu kommen und veröffentlicht Interviews und Vorträge auf ihrem gleichnamigen You Tube Kanal. Sie moderiert u.a. auf dem Kanal DruschbaFM die „NATO-Akte“. Die in Halle/ Saale geborene Autorin, arbeitete einige Jahre in Berlin bei der Gewerkschaftszeitung der IG Bergbau und Energie, später war sie 25 Jahre in Tochterunternehmen des Mittelrhein-Verlages Koblenz tätig und wohnt seit über 30 Jahren in Rheinland-Pfalz.

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen. Die Meinungen und Ansichten der Autoren müssen nicht der Redaktion von Berlin 24/7 entsprechen.

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