Das Magazin „Multipolar“ hat etwas Großartiges vollbracht. Durch die Klage auf Herausgabe der RKI-Akten (RKI-Protokolle) kamen Dinge ans Tageslicht, die von den politisch Verantwortlichen versteckt wurden. Doch der große Skandal blieb ebenso aus wie die so wichtige Aufarbeitung der Corona-Episode. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.
Von Tom J. Wellbrock
Die „Aufarbeitung“ der Corona-Episode geht so: Seit dieser Zeit sei es zu einer Radikalisierung durch die „Corona-Leugner“ gekommen, der Ton habe sich verschärft, Rechtsradikale bestimmten die Debatten, Politiker und Wissenschaftler müssten sich vor Angriffen durch „Covidioten“ fürchten. Die Schuldigen waren damals die kritischen Köpfe, und sie sind es noch heute.
Zwischendurch werden hier und da ein paar kleine Fehler eingeräumt, um sofort wieder abgeräumt zu werden. Motto: Wir wussten es ja nicht besser damals. Das, wie so vieles andere auch, muss man als dreiste Lüge bezeichnen, denn die Zeit der Unwissenheit dauerte nicht lange, vielleicht zwei, vielleicht drei Monate, darüber streiten sich die Geister. Schon nach kurzer Zeit war also klar, dass es sich bei Corona keinesfalls um eine tödliche Gefahr für alle handelte, und die RKI-Protokolle legen das ja auch offen, sondern um eine, die nur eine kleine Gruppe von Menschen betraf.
In Anbetracht der Tatsache, dass diese Fakten damals schon bekannt waren und innerhalb des RKI zum Teil kontrovers diskutiert wurden, muss man die politischen Entscheidungen besonders kritisch betrachten. Es ist in höchstem Maße zynisch, wenn wir uns an Lothar H. Wieler erinnern, der die Chuzpe hatte, den Menschen das kritische Denken verbieten zu wollen und dazu aufforderte, die „Maßnahmen nicht zu hinterfragen“.
Gefahrenlage nach Gutdünken
Wann es zu einer Gefahrenlage kam oder nicht, entschied die Politik damals nach Lust und Laune. Rund um die Debatte der Impfpflicht war sie angeblich extrem ausgeprägt, was sich damals und heute nicht durch Fakten belegen lässt. Kurz vor der Bundestagswahl dagegen schien die Lage kontrollierbar zu sein, die Politik hatte andere Prioritäten, da stand die Pandemie, die zu anderen Zeiten bestens geeignet war, um Druck auf die Bevölkerung auszuüben, nur im Wege.
Letztlich lief alles auf den Showdown hinaus, der in der Impfpflicht gipfeln sollte. Tatsächlich wäre es längst überfällig, den Kritikern dieser Pflicht zu danken, denn sie waren es zumindest teilweise, die sie verhindern konnten. Wissenschaftliche Vernunft jedenfalls war nicht die Leitlinie der Politik, denn die Idee des Impfens gegen Coronaviren gab es zuvor gar nicht, weil wissenschaftlicher Konsens war, dass eine Impfung nur zu zusätzlichen Varianten führt. Das RKI schrieb das auch genauso am 6. Januar 2021:
„Eine Zunahme von Varianten durch die Impfung ist zu erwarten.“
Medien und Aufarbeitung
Eine echte Aufarbeitung verhindern Medien und Politik gleichermaßen. Verwundern kann das nicht, denn die Täter von damals wollen sich heute ihrer Schuld nicht stellen.
Am Beispiel eines Artikels der Tagesschau lässt sich deutlich ablesen, dass eine selbstkritische Aufarbeitung unrealistisch ist. Am 7. April 2024 schrieb die Autorin Nadine Bader dort:
„Minister Lauterbach hat inzwischen mehr Transparenz angekündigt. Die Protokolle sollen nach Möglichkeit weitgehend entschwärzt werden. Verschwörungsideologen und Corona-Leugnern hätten die RKI-Protokolle neuen Auftrieb gegeben, sagt Josef Holnburger. Er ist Co-Geschäftsführer bei CeMAS (Center für Monitoring, Analyse und Strategie), das Informationen zu Verschwörungsideologien und Desinformation sammelt.
In der ‚Querdenken-Szene‘ werde teilweise über Verhaftungs- und Vernichtungsfantasien gesprochen. Man habe gedacht, nun so weit zu sein, Anklage gegen die damalige Bundesregierung zu erheben.
Für Verschwörungsideologen stehe hinter dem geschwärzten Namen Angela Merkel. Es gehe bis hin zu NATO-Generälen oder Bill Gates. Die Protokolle zu entschwärzen, werde daran nichts ändern, sagt Holnburger. Dann komme der Vorwurf, die Protokolle seien gefälscht worden.“
Das nennt man dann wohl Täter-Opfer-Umkehr. Statt also die Kritiker als solche anzuerkennen und ihre Leistung entsprechend zu honorieren, werden die üblichen Diffamierungen benutzt, um sachliche Kritik zu dämonisieren und demzufolge als Lüge darzustellen.
Doch es bleibt nicht bei Diffamierungen und Beleidigungen, die Autorin lässt durch einen „Experten“ auch gleich noch pathologisieren:
„Menschen aus dieser Szene zu erreichen, sei schwierig. Am ehesten könnten Menschen aus dem Umfeld – Freunde, Verwandte und Arbeitskollegen – an sie herankommen, sagt Holnburger. Er verweist auf Beratungsstellen, die bei dieser Problematik helfen könnten. Wenn man die Corona-Pandemie aufarbeiten wolle, bräuchten auch solche Organisationen mehr finanzielle Unterstützung. Es gebe lange Wartezeiten, viele Anfragen nach Hilfe würden lange liegen bleiben.“
Die Aufarbeitung der Corona-Episode muss also mit einer erfolgreichen Behandlung der Kritiker erfolgen, so der eindeutige Tenor.
Die Täter von damals kommen dagegen ungeschoren bei der Tagesschau davon:
„Aber die Corona-Jahre haben Spuren in der Gesellschaft hinterlassen. Für viele war es eine Zeit geprägt von Trauer, Angst und Entbehrungen. Mit dem Ziel, Leben zu retten, hatte die Politik weitreichende Maßnahmen und Grundrechtseingriffe veranlasst.“
Damit sind die Täter von ihren Taten freigesprochen. Sie wollten Leben retten, ihre Taten werden aus diesem Grunde folgenlos bleiben.
Politik und Aufarbeitung
Wer sich auf die Suche begibt und Nachrichten über den Corona-Untersuchungsausschuss finden möchte, wird keine finden. Ein solcher Ausschuss wurde zwar diskutiert und von der AfD wiederholt gefordert, doch es kam nie dazu, dass er seine Arbeit aufnahm.
Nach dem Bekanntwerden der RKI-Protokolle geisterte der Untersuchungsausschuss zwar kurzzeitig wieder durch die Medien, doch das war es auch schon. Und das kann ja, wie gesagt, auch nicht wirklich verwundern. Keiner der Täter hat ein Interesse an Aufklärung und Aufarbeitung.
Sie gestalten die Sache anders. Und sie sind erfolgreich damit. Über den damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) war auf „ntv“ nachzulesen:
„Was einen zentralen Punkt seiner Coronapolitik angeht, bekam Spahn erst jüngst einen Rüffel vom Bundesrechnungshof. Wie der ‚Spiegel‘ berichtete, warfen die Finanzprüfer dem CDU-Politiker und dem von ihm damals geleiteten Gesundheitsministerium mangelnde Aufarbeitung, was eine ‚massive Überbeschaffung von Schutzmasken zu Beginn der Coronapandemie‘ angeht, vor. Auch der Umgang mit Dokumentenanfragen wurde scharf kritisiert.„
Es perlte von Spahn ab, und die Tatsache, dass er zu den Schlimmsten der verhängten Corona-Maßnahmen gehört, ebenfalls. Im selben Artikel auf „ntv“ wird Spahn wie folgt zitiert:
„‚Es gibt diejenigen, denen gingen die Maßnahmen zu weit. Aber es gab auch diejenigen, die hätten sich noch schärfere, klarere Maßnahmen gewünscht‘, sagte Spahn mit Blick auf die mögliche Aufarbeitung in einer sogenannten Enquete. ‚Und deswegen darf das weder die rosarote Brille für die Regierung und die Politik werden noch ein Querdenkergerichtshof, sondern wenn wir die Dinge aufarbeiten, dann sollten wir es auch mit der nötigen Breite tun.'“
Faktisch ist aber genau das der Fall: Es bräuchte das, was Spahn abfällig Querdenkergerichtshof nennt. Denn die noch immer diffamierten kritischen Geister haben in fast allen ihren Befürchtungen Recht behalten, sie haben die Gefahren der Corona-Politik früh erkannt und in unzähligen Formaten dokumentiert. Es mag sein, dass die Opfer von damals nicht als Richter taugen. Es sind zu viele Verletzungen aufgetreten, Schmerzen entstanden, sodass Kritiker als verurteilende Instanz befangen wären.
Doch sie müssten eine wichtige Rolle bei der übergeordneten Aufarbeitung spielen, als Zeugen, Zeitzeugen, Betroffene, Opfer. Was die Politik betreibt, ist das Eliminieren der Opfer, sodass es demzufolge auch keine Täter mehr geben kann.
Der Tenor in Politik und der als Komplizen zu bezeichnenden Wissenschaft rund um Namen wie Drosten, Brinkmann, Wieler und andere lautet immer wieder, man sei insgesamt gut durch die Pandemie gekommen. Nicht alles würde man heute wieder genauso machen, aber es passe schon. Und immer wieder werden die Opfer als Grund allen Übels bezeichnet.
Einer der Schlimmsten von damals ist Volker Bouffier (CDU), der in seiner Militanz stellvertretend für die große Gruppe der Corona-Täter argumentiert. Er sagte, dass
· eine Corona-Analyse nur sinnvoll sei, wenn dabei keine Schuldfrage gestellt werde
· Coronaleugner, Verschwörungstheoretiker und Menschen, die den Staat zersetzen wollen, durch einen Untersuchungsausschuss auch nicht von ihrer Meinung abrücken würden
· Schulschließungen nur aufgrund verängstigter Eltern beschlossen wurden
Einmal mehr schießt Christian Drosten den Vogel ab, der unverzüglich vom Himmel fällt und leblos am Boden liegen bleibt. Für Drosten war im Grunde alles in Ordnung:
„Die Wirksamkeit der Prävention wird nach Meinung Drostens in der aktuellen Aufarbeitungsdebatte zu gering veranschlagt. In der öffentlichen Diskussion hätten sich in der Pandemie Räume für Verschwörungstheorien geöffnet, die schwer zu schließen seien. Dabei sei wissenschaftlich gesichert, dass viele Maßnahmen gut wirkten: die Versammlungs- und Ausgangsbeschränkungen etwa, Homeoffice-Regelungen, Maskenpflicht sowie die Testpflicht und Kontaktverfolgung – und auch Schulschließungen.“
Unterm Strich muss man als Kritiker der Corona-Politik vielleicht sogar dankbar sein, dass es keinen Untersuchungsausschuss gibt. Am Ende würden die Opfer der Corona-Politik womöglich zu den Opfern von heute werden. Und die Täter wären dieselben wie damals.
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Autor, Moderator und Podcaster. Er betreibt gemeinsam mit Gert Ewen Ungar den Blog „neulandrebellen“ und den Podcast „wohlstandsneurotiker“. Wellbrock hat für zahlreiche Medien geschrieben und Interviews unter anderem mit Oskar Lafontaine, Dirk Pohlmann, Daniele Ganser, Lisa Fitz und Ulrike Guérot geführt.
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