Die Tagesschau: Ihr Psychodauerdienst

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  • Dezember 3, 2024
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Schlechte Nachrichten fressen Sie auf? Keine Sorge, die Tagesschau kümmert sich rührend um Sie.

Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente

shutterstock/beekeeps

Sag noch einer, dass die Prätorianergarde deutscher Nachrichtenpräsentation, gemeint ist die Truppe der Tagesschau, nicht auch das Herz am richtigen – am rechten oder linken? – Fleck hat. Die Macher wissen offensichtlich, dass sie ihrem Publikum so einiges zumuten. Daher Service am Rezipienten: Besser mit schlechten Nachrichten umgehen – so lautet der Titel eines Beitrages vom 11. November auf der Webpräsenz der Tagesschau. Ihre Nachrichtensendung mit Gefühl und Rücksichtnahme. Die Tagesschau: Ihr psychiatrischer Dauerdienst.

Ein Resilienzforscher aus Mainz gibt dort Tipps, wie man durch diese Zeiten voller schlechter Nachrichten kommt – die da wären: Das Aus der Ampelkoalition, Donald Trump wird abermals US-Präsident und die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten toben noch immer. Natürlich geht man bei der Tagesschau davon aus, dass jeder Nutzer ihres Nachrichtendienstes die aufgezählten schlechten Nachrichten auch als solche erkennt. Es kommt den ARD-Nachrichten offenbar gar nicht in den Sinn, dass es Menschen im Lande geben könnte, die sich über das Ende dieser Regierung freuen oder Donald Trump für eine dufte Type halten.

Geballte Kompetenz im Kittel

Aber das ist natürlich kein Zufall, der Beitrag leitet mit fraternisierendem Kalkül ein: Der Zuschauer oder Leser soll ja gleich wissen, was wirklich schlechte Nachrichten sind – besser gesagt: welche er als schlecht erachten soll. Die Tagesschau formt sich auf diese Weise zu einer Schicksalsgemeinschaft um: Dass die Ampel gesprengt wurde etwa – sie stilisiert es zu einem schicksalsträchtigen Nackenschlag, den der Zuschauer nur ertragen kann, wenn er seine Resilienzkompetenz schärft. Und die Tagesschau ist da gerne behilflich.

Aber sie hilft nur denen, die wirklich Hilfe benötigen. Die Mehrheit der Bevölkerung, so zitiert sie den Forscher aus Mainz, wäre auch in Zeiten wie diesen mental stabil. Für die anderen, die Schwachen, die mental Angegriffenen, gibt es warme Ratschläge: Schalten Sie doch den Fernseher ab. Und gehen Sie an die frische Luft. Wertvolle Hinweise, auf die man nur kommt, wenn man lange studiert hat und einen weißen Forscherkittel trägt.

Der besagte Forscher hat das herausgefunden, weil er 28 Studien auswertete, die während der Corona-Zeit gemacht wurden. Daraus habe sich ergeben, dass »die Befragten psychisch kaum belastet« waren. Man muss nur die richtigen Leute fragen. Menschen könnten demnach auch ohne Therapie resilient sein. Eben durch Fernsehabstinenz. Oder mittels eines Waldspazierganges. Außerdem im Repertoire: Sport und soziale Kontakte. Zwei Therapieformen, die ausgerechnet in der Corona-Zeit, aus der die Studien stammen, die der Mann im Kittel ausgewertet hat, teilweise gar nicht, teilweise nur selten und unter Auflagen erlaubt waren.

Mündiger Bürger oder Mündelbürger?

Einsame Menschen wären hingegen mental nicht so gesund, erfährt der aufmerksame Leser. Auch das ist eine Erkenntnis, die ein Studium der Statistologie voraussetzt und die nur unter die Leute kommt, weil bei der ARD nur die gewieftesten Fachleute ein Forum erhalten. Es ist also dem wertvollen Beitrag der Tagesschaugeschuldet, geballtes Fachwissen zu präsentieren. Ein Sofa einzurichten, auf das sich alle aus der großen, aus der bundesweiten Tagesschau-Familie legen können, denen die Nachrichtenlage zu Kopf steigt.

Stellen wir uns in einem Anflug naiver Kühnheit nur mal vor, die Tagesschau hätte schlechte Nachrichten gebracht, die wirklich schlechte Nachrichten sind – Beispiele: Es droht eine Regierung unter Friedrich Merz. mRNA ist noch nicht in allen Ländern verboten – nur die Slowakei plant diesen Gang. Armut gestiegen – deutsche Städte verwahrlosen weiter. Kinder werden immer dümmer, gehen immer weniger raus, leben im Second Life, wie man eine Weile zu den digitalen Welten sagte. Oder: Hochschulprofessoren und Lehrer müssen Studenten und Schüler gut bewerten, auch wenn sie schlecht sind – andere Medien als die Tagesschaujubelten daher am letzten Wochenende: Die Schüler würden so gut bewertet wie nie. Hurra, wir werden immer klüger! Stellen wir uns also ganz kurz solche Meldungen vor. Und dann die wertvollen Vorschläge des Experten, wie man dem entkommen kann: Einfach abschalten! Wegschauen! Ausblenden!

Sind das die Empfehlungen an Staatsbürger? Oder die Ratschläge, die man einem Kind gibt, das nicht in der Lage ist, komplizierte Entwicklungen zu verarbeiten und damit umzugehen? Im besten Falle sollen Rezipienten nicht abschalten, um den gesellschaftlichen Entwicklungen zu entgehen – sie informieren sich, um als mündiger Staatsbürger dagegenhalten zu können. Die Tagesschau aber pathologisiert ihre Zuschauer und degradiert sie zu Mündel. Empfiehlt ihnen sich hinzulegen und auszuruhen – im Grunde also: Den Mund zu halten, es zu ertragen und das Unerträgliche – oder das, was die Tagesschau bei der Aufzählung von Beispielen genannt hat – erträglich zu gestalten.

Einschalten um abzuschalten

Natürlich hat das ARD-Nachrichtenformat auch nicht zum Widerstand aufzurufen –tut es aber faktisch indirekt mit der Vorauswahl seiner Themen und der Nichtauswahl anderer Themen. Aber auch, wenn es die wirklichen Fehlentwicklungen unserer Gesellschaft zum Sujet machte, ist es nicht die Aufgabe des Chronisten, die Geschichte nach seinem Gusto anzuleiten. Es ist aber auch nicht sein Metier, den Abnehmern seiner Berichterstattung psychologische Notfallversorgung zu leisten. Denn für den Chronisten sollte es ja noch nicht mal schlechte oder gute Nachrichten geben, sondern schlichtweg Berichtenswertes.

Braucht es eigentlich diese Webpräsenz der Tagesschau? Reichte es nicht völlig aus, wenn sie eins zu eins das bringen würde, was auch in der Sendung im Fernsehen gezeigt wird? Mit welcher Begründung muss man die Redaktion auf Beitragszahlerkosten so aufblasen und ein paralleles Eigenleben im Internet entfalten lassen? In die Sendung hätte es die Meldung mit dem Resilienzforscher vermutlich nicht geschafft. Stattdessen hält die Tagesschau ihre Zuschauer als Leser zum Narren, indem sie sich gleich noch als Lebensberatung engagiert – Hand in Hand schaffen wir es nämlich; sie, die Redaktion und wir, die vermeintlichen Rezipienten, in dieser Welt voller Hiobsbotschaften. Seit wann gehört es zum Bildungsauftrag der öffentliche-rechtlichen Nervenheilanstalt, sich um die psychische Gesundheit der Bürger zu kümmern?

Und wenn schon, ein Griff an die eigene Nase wäre mal eine Maßnahme gewesen. Wenn die Tagesschau die Berichterstattung zum Krieg in der Ukraine an den Fakten ausrichtete, an den wirklichen Entwicklungen nordete, dann blieben auch etliche Zuschauer mehr von einer mentalen Sinn- und Erfassenskrise verschont und bräuchten auch den Mann im Kittel nicht, der jetzt Sport, Natur und Bettruhe als Expertise herausposaunt. Man darf sich ohnehin sicher sein, dass die, denen es wegen der Berichterstattung der Tagesschau psychisch nicht gut geht, längst abgeschaltet haben – sie müssten erst wieder einschalten, um abschalten zu können.

Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog ad sinistram. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. Er war Kolumnist beim Neuen Deutschland und schrieb regelmäßig für Makroskop. Seit 2022 ist er Redakteur bei Overton Magazin. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main. Im März 2018 erschien sein Buch „Rechts gewinnt, weil links versagt“.

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.

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