Der deutsche Journalismus wirkt geradezu befreit, seit die Ampel eigenhändig ihre Lichter ausgeschaltet hat. Nachfragend, kritisch und ohne Scheu konfrontiert er die Koalitionäre mit Fragen und Einordnungen, die das Herz eines jeden kritischen Bürgers höher schlagen lassen. Doch der Gratismut hat einen faden Beigeschmack.
Ein Beitrag von Tom J. Wellbrock
Theo Koll ist ein Journalist, wie er im Buche steht. In Interviews mit der AfD wirkt er angriffslustig, kommt auf den Punkt und lässt unbeantwortete Fragen nur ungern zu. Er hakt nach, er provoziert, ist meist gut vorbereitet und weiß, was wer wann in welchem Zusammenhang gesagt hat (auch wenn er sich meist sehr flexibel in seinen Deutungen zeigt). Vorbei ist es mit dem unbequemen Journalismus aber spätestens, wenn Koll es mit einem Regierungsmitglied zu tun hat. Wer die letzten drei Jahre der Ampel an sich vorbeiziehen lässt und dabei Koll in den Fokus nimmt, wird einen weichgespülten, devoten und dabei die Regierungserzählung brav wiederkäuenden Journalisten sehen, vor dem niemand Angst haben muss, der der SPD, FDP oder den Grünen angehört.
Kürzlich bei Maischberger aber überraschte derselbe Theo Koll, als er die Persönlichkeit des Noch-Kanzlers Olaf Scholz (SPD) als „autistisch“ bezeichnete. Er ist mit dieser Art der Ansprache nicht allein, auch Melanie Amann vom SPIEGEL und zahlreiche andere Kollegen sind seit dem Ampel-Aus in Höchstform. Sie bezeichnen die Politiker und ihre Handlungen, Äußerungen und Dummheiten als das, was sie sind, nämlich als unwürdig, lächerlich, absurd und unverschämt. Sie ordnen den urplötzlich ausgerufenen Bundeswahlkampf ohne Gnade als Theater ein und drängen in direkten Gesprächen die nun schwächelnden Regierungsmitglieder gekonnt in die Ecke.
Der deutsche Journalismus zeigt sich kampfeslustig und immer hart an der Sache. Doch das Loblied muss an dieser Stelle beendet werden, denn nichts von den hier aufgeführten Attributen entspricht der Wahrheit.
„Ihr könnt uns gar nichts!“
Man kann den genauen Zeitpunkt der Liebesbeziehung zwischen Politik und Medien nicht genau bestimmen, aber es ist sicher nicht ganz falsch, wenn man die Kanzlerschaft Angela Merkels (CDU) als Ausgangspunkt der heutigen Symbiose bezeichnet. Im Laufe der Zeit wurde diese immer enger, journalistische Distanz, wie man sie erwarten würde, gibt es heute faktisch nicht mehr. Solange die aktuelle Regierung noch an der Macht und handlungsfähig war, gab es kaum kritische Stimmen von der journalistischen Seite. Brav wurden noch bravere Fragen gestellt, ausweichende Antworten von Politikern wurden gnädig hingenommen, Widersprüche ignoriert.
Die Tatsache, dass das nun vorbei zu sein scheint, hat nicht mit der Erkenntnis vieler Journalisten zu tun, sich nie mit einer Sache gemein zu machen – auch nicht mit einer Guten -, sondern hängt damit zusammen, dass die Ampel-Koalitionäre einfach nichts mehr zu sagen haben, keine Türen öffnen, Journalismus also keinen Profit aus ihr schlagen kann. Regelrecht befreit wirkt es, wenn auf Olaf Scholz, Robert Habeck (Grüne) oder Christian Lindner (FDP) eingetreten wird. Endlich frei und ohne Hemmungen sagen, was ist, was sein könnte und was sein sollte, das wirkt wie Balsam auf jene Journalisten, die jahrelang die Bücklinge vor der herrschenden Politik gemacht haben.
Es ist absolut undenkbar, dass ein Theo Koll vor ein paar Wochen Olaf Scholz einen Autisten genannt hätte, viel zu duckmäuserisch ist dieses Exemplar eines deutschen Journalisten. Dass er es heute tut, hat viel mit Gratismut, aber wenig mit der Überzeugung eines politischen Journalisten zu tun. Koll und all die anderen sind nun auf der Suche nach den Nachfolgern der gescheiterten Ampel, sie halten Ausschau nach denen, die künftig im Sattel sitzen, sie biedern sich an und bereiten ihre neue Strategie vor, die dieselbe ist wie vorher, aber mit neuen Köpfen, zu denen sie aufschauen, an denen sie sich orientieren und aus denen sie persönlichen Profit schlagen können. Sie mögen Überzeugungstäter sein, aber sie sind keine aufrichtigen Journalisten, sondern kalkulierende Profis, die mit Politik eigentlich nicht viel am Hut haben.
„Ihr könnt uns (vielleicht) doch etwas!“
Doch man spürt das Unwohlsein bei einigen Journalisten. Einerseits genießen sie die neue Freiheit, sonnen sich im wohligen Gefühl, einmal die Giftpfeile verschießen zu können, die schon so lange im Köcher stecken. Andererseits könnten die heute Machtlosen und Handlungsunfähigen im kommenden Jahr schon wieder ihre Ansprechpartner sein, wenn es um gemeinsame Absprachen und Abendessen beim Italiener geht.
Olaf Scholz ist da noch das beste Opfer, denn Bundeskanzler wird er aller Voraussicht nach nicht wieder werden, und als Vizekanzler unter Friedrich Merz (CDU) kommt er auch nicht in Frage, diese Blöße wird sich selbst der gänzlich von der Sozialdemokratie befreite Scholz nicht geben. Aber beim Gedanken zurück an Gerhard Schröder (SPD), der es wider Erwarten dann doch noch einmal geschafft hatte, greifen auch hier natürlich-journalistische Grenzen und man hält sich besser ein bisschen zurück.
Die derzeitige Situation in Deutschland macht das Dilemma der Mainstreamjournalisten überdeutlich. Sie sind schon seit Jahrzehnten in Abhängigkeit von der Gnade der politischen Entscheider – und haben sich freiwillig in diese Abhängigkeit begeben, weil sie sich davon (oft zu recht) berufliche oder persönliche Vorteile versprechen -, während sie gleichzeitig vor dem Spiegel als ehrenhafte und aufrichtige Berufsschreiber durchgehen wollen. Aber beides geht nicht.
Oder eben doch. Jetzt, in dieser Situation vor der Vertrauensfrage und der Bundestagswahl, können sie sich für ihre Verhältnisse frei bewegen und nutzen diese Bewegungsfreiheit, um nach außen die kritischen und unabhängigen Journalisten zu mimen. Das ist nur Show, aber der Journalismus steht im Augenblick recht gut da.
Wären da nicht diese verdammten Inhalte …
„Das war aber gar nicht nett.“
Und Inhalte wollen deutsche Medien gern überwinden, was im Fall des aktuellen Ampel-Chaos einmal mehr eindrucksvoll gelungen ist. Zwar stimmt es, dass die Art und Weise, wie Olaf Scholz seinen Finanzminister entlassen hat, alles andere als rühmlich war, 14 Minuten lang persönliche Beschimpfungen tragen nicht gerade zu einem Bild professioneller Politik bei. Doch den deutschen Journalisten fiel nichts Besseres ein, als sich ohne Unterlass über genau dieses Thema auszulassen.
Politische Inhalte? Sucht man vergebens, sowohl bei den plappernden Politikern als auch bei den schnatternden Journalisten. Dabei haben sich alle Beteiligten aus Ampel und Union gegenseitig in ihrer Kriegshetzerei übertroffen und ohne Pause von Respekt, Verständnis, dem Wählerwillen und ihren Amtseiden schwadroniert, ohne wirklich etwas zu sagen.
Aber so ist es eben in Deutschland inzwischen: Der Wähler darf seine Stimme abgeben und seinen Willen gleich mit. Ob Krieg und Frieden, Migration, Wohnungspolitik, Rente, Gesundheit, Bildung, Infrastruktur oder auch nur die Einstellung zum Gendern – der Wähler wurde über Jahrzehnte zum Schlachtvieh umfunktioniert. Und als solches geht es dann im Februar an die Wahlurne und entscheidet sich für den Schlächter, der ihn die nächsten vier Jahre am Nasenring durch die Manege führt. Deutsche Journalisten haben dazu keine Meinung.
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er ist Gründungsmitglied und Mitherausgeber der neulandrebellen.
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