George Friedman über Russland, den Nahen Osten, China und die USA

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  • Februar 2, 2024
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Friedman: „Die USA bleiben der wichtigste Machtfaktor der Weltpolitik, ein Ende des Ukrainekriegs ist unabsehbar und in der islamischen Welt tun sich Brüche auf,“ ist ein Versuch, die wichtigsten Trends im internationalen System herauszuarbeiten. George Friedman ist Gründer der US-Denkfabrik „Geopolitical Futures“. Der Beitrag erschien zum ersten Mal im Magazin Politico am 30.Januar 2024. 

Shutterstock/ Dan Thornberg

Dies ist keine detaillierte Prognose über das Schicksal jedes einzelnen Landes im Jahr 2024. Es ist vielmehr ein Versuch, die wichtigsten Trends herauszuarbeiten, die die künftige Richtung des internationalen Systems beeinflussen werden.

Die Vereinigten Staaten bleiben ein unverzichtbarer Faktor in der Weltpolitik. Ihr Status als größte Volkswirtschaft und stärkste Militärmacht der Welt verwickelt sie unweigerlich in fast alle wichtigen globalen und sogar regionalen Fragen. In finanzieller Hinsicht sind die USA oft nicht wegen des Handelns der Regierung involviert, sondern weil Krisen in der Regel die Preise drücken, was wiederum privates US-Kapital anlockt. 

Wenn sich die USA militärisch einmischen, versuchen sie in der Regel, Instabilitäten zu verhindern oder einzudämmen, die direkt oder indirekt ein lebenswichtiges Interesse der USA bedrohen könnten. Im Grunde werden die USA immer wieder in Konflikte hineingezogen, sei es aus freien Stücken oder durch die Handlungen ausländischer Akteure.

Vorhersage: Bis zu den Wahlen im November werden sich die wirtschaftlichen Probleme sowie die sozialen und politischen Unruhen in den Vereinigten Staaten verschärfen.

Der andauernde Krieg in der Ukraine ist nach wie vor das hartnäckigste militärische Problem, welches seit zwei Jahren andauert, ohne dass es einen klaren Sieger gibt. Die Ukraine ist aufgrund logistischer Beschränkungen nicht in der Lage, einen nennenswerten Vorstoß gegen Russland zu unternehmen. Ihre amerikanischen und europäischen Unterstützer konzentrieren sich zunehmend darauf, einen souveränen ukrainischen Staat zu erhalten, ohne den Krieg dramatisch zu eskalieren oder auszuweiten. 

Anfänglich setzte Russland auf den Einsatz massiver, aber unzureichend unterstützter Panzer, ist aber längst zu einer zermürbenden Kriegsführung übergegangen, die darauf abzielt, Gelände zu gewinnen und die ukrainische Linie zu durchbrechen. Trotz einiger Erfolge ist es Russland nicht gelungen, die ukrainische Armee zu lähmen oder auch nur relativ kleine Gebiete einzukesseln.

Russlands Hauptproblem ist die Demographie. Eine auf die Infanterie ausgerichtete Strategie gegen einen vorbereiteten Gegner erfordert eine beträchtliche Anzahl von Truppen. Die Russen diskutieren nun über die Einberufung einer großen Zahl von Zivilisten und die Anwerbung ausländischer Staatsangehöriger. Es dauert jedoch viele Monate, einen kompetenten Soldaten auszubilden – und schlecht ausgebildete Neulinge an die Front zu schicken, ist ineffizient und tendenziell zum Scheitern verurteilt.

Ein Waffenstillstand im Jahr 2024 wird immer unwahrscheinlicher. Voriges Jahr waren die Voraussetzungen für ein Abkommen gegeben, aber die Sondierungsgespräche verliefen im Sande. Obwohl ein ruhigeres Schlachtfeld normalerweise ein Abkommen begünstigen würde, haben die Russen kein solches angeboten. Nachdem sie den Krieg begonnen haben und massive Verluste hinnehmen mussten, wollen sie nicht mit leeren Händen nach Hause zurückkehren.

Waffenstillstand hin oder her, Russland wird weiterhin nach Verbündeten suchen. Am wichtigsten wären aus Sicht des Kreml Partnerschaften mit Nachbarländern, die als Puffer zur Nato dienen können. Ungarn scheint für eine solche Rolle offen zu sein, während die Lage auf dem Balkan so unbeständig ist wie schon lange nicht mehr. In der Zwischenzeit wird die Erweiterung der Nato um Finnland und Schweden einen Teil der Eindämmungslinie verschärfen.

Vorhersage: Unabhängig vom Ausgang des Krieges wird Russland seine Bemühungen um die Schaffung von Einflussgebieten verstärken, die das Eindringen ausländischer, insbesondere amerikanischer Kräfte verhindern sollen. Der Balkan wird ein Hauptaugenmerk Moskaus sein, ebenso wie der Iran, Saudi-Arabien und andere Länder im Nahen Osten. Wie bei vielen russischen Manövern wird diese Strategie offensiv erscheinen, ist aber in Wirklichkeit defensiv. Die USA dürften darauf mit wirtschaftlichen und militärischen Gegenmaßnahmen reagieren, die jedoch nicht auf einen Krieg hinauslaufen werden.

Eine Analyse des Gaza-Konflikts muss von zwei Tatsachen ausgehen. Erstens hat keine arabische Macht einen nennenswerten Beitrag zur Unterstützung der Hamas geleistet. Die arabische Welt ist tief gespalten und hat Angst, das regionale Gleichgewicht der Kräfte zu stören. Zweitens ging dem Angriff der Hamas das größte Versagen der israelischen Geheimdienste seit 1973 voraus. 

Fünfzig Jahre zuvor wussten die Israelis, dass Ägypten und Syrien Truppen aufstellten, aber sie unterschätzten die Wahrscheinlichkeit eines bevorstehenden Angriffs und waren nicht darauf vorbereitet, als er kam. Im Jahr 2023 erkannte der israelische Geheimdienst nicht, was die Hamas in der Nähe des israelischen Staatsgebiets tat. Aus israelischer Sicht bestand die Gemeinsamkeit der nachrichtendienstlichen Versäumnisse in der Tendenz, die Bedeutung der Bedrohung zu vernachlässigen, selbst nachdem sie erkannt worden war.

Vorhersage: Der Ausgang des Krieges und die unterlassene Unterstützung der Hamas werden die muslimische Welt in Aufruhr versetzen. Der Kampf islamischer Gruppen um die Wiederherstellung ihrer Glaubwürdigkeit wird zu weiteren Angriffen auf Israel führen, jedoch nicht zu bedeutenden. Wichtiger sind die tiefen Gräben, die sich in der muslimischen Welt auftun. Zwischen dem Selbstmordattentat des Islamischen Staates im Iran und dem darauf folgenden Austausch von Raketen und Drohnen zwischen der iranischen und der pakistanischen Regierung sind die Anzeichen für Probleme deutlich.

In Israel werden das Versagen der Nachrichtendienste und die Leistung des Militärs unter die Lupe genommen werden, aber das größte Augenmerk wird auf die Politiker fallen, die den Kriegsverlauf bestimmt haben. In den Monaten vor dem Überraschungsangriff der Hamas lösten umstrittene Justizreformen weit verbreitete Proteste in Israel aus – auch innerhalb des Militärs, was wahrscheinlich dazu beigetragen hat, dass dem Gaza-Streifen keine große Aufmerksamkeit geschenkt wurde. 

Die Israelis werden auch ihre Beziehungen zu den Vereinigten Staaten hinsichtlich mehr Sicherheitsabkommen überdenken müssen. Vor dem Krieg war Israel davon ausgegangen, dass es über ausreichend Kräfte verfügte, um sich ohne amerikanische Hilfe zu schützen. Diese Annahme war richtig, aber nicht in dem Maße, wie es dachte.

In den vergangenen Jahren hätte China bei jeder globalen Prognose ganz oben gestanden. Doch vor zwei Jahren endete das chinesische Wirtschaftswunder. Chinas spektakulärer Aufstieg basierte auf Exporten und Investitionen, und sein wichtigster Wirtschaftspartner waren die Vereinigten Staaten. Aber die Risse, die sich bereits abzeichneten – schwacher Binnenkonsum, übermäßige Investitionen und ein müdes Wachstumsmodell – wurden durch den Ausbruch der Pandemie noch erheblich verschärft. 

Das Wachstum stabilisierte sich 2023, aber auf einem zu niedrigen Niveau, um das Vertrauen der Öffentlichkeit wiederherzustellen. Das zwang das Regime, die Grundlagen seines Legitimationsanspruchs zu überdenken. Trotz eines Gipfeltreffens zwischen dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping und dem US-Präsidenten Joe Biden haben die Investitionen aus den USA und die Nachfrage nach chinesischen Waren das Niveau von vor der Pandemie nicht wieder erreicht und können es wahrscheinlich auch nicht mehr. Offensichtlich hat dies das chinesische Regime verunsichert, wie das immer häufiger auftretende Verschwinden hochrangiger Beamter des Militärs und des Außenministeriums zeigt.

In militärischer Hinsicht richtet China seine Rhetorik zwar weiterhin auf Taiwan, doch seine Aufmerksamkeit bezieht sich verstärkt auf die Philippinen. Peking und Manila führten vielversprechende Gespräche, als Washington die Philippinen überredete, ihr Verteidigungsbündnis um vier weitere US-Stützpunkte zu erweitern. Anschließend schlossen die USA ein Abkommen über die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich mit Papua-Neuguinea. 

Zusammengenommen stärkten diese Entwicklungen die US-Basislinie, die sich von den Aleuten bis nach Australien erstreckt und darauf abzielt, China einzudämmen und die Vorherrschaft der USA über das Südchinesische Meer zu sichern. Chinas Bestreben, seinen Zugang zum Pazifik und darüber hinaus zu kontrollieren, bleibt somit blockiert, und die USA würden wahrscheinlich jeden Versuch Pekings, gewaltsam auszubrechen, eindämmen.

Vorhersage: Chinas wirtschaftliche Probleme sind für Chinesen und andere sichtbarer als seine militärischen Probleme, aber das Regime ist sich beider Schwächen schmerzlich bewusst und wird sich darauf konzentrieren, sie zu beheben. Chinesische Unternehmen und Arbeitnehmer werden unter starkem Druck stehen, ihre Produktion zu steigern, wobei sie vor allem auf eine Erhöhung der Exporte achten werden. 

Bedeutende ausländische Investitionen werden erst dann wieder fließen, wenn sich Chinas grundlegende Wirtschaftslage verbessert hat. Ich erwarte daher, dass sich Peking auf die Stabilisierung seines Regimes und seiner Gesellschaft konzentrieren und gleichzeitig die Produktion steigern wird. Es hat mehrere Jahre gedauert, bis China an diesen Punkt gelangt ist, und es wird mindestens so lange dauern, bis es sich wieder erholt.

Wir betrachten diese Länder und Konflikte als die folgenreichsten für den Rest der Welt. Viele andere blieben in dieser Zusammenfassung unerwähnt – nicht weil sie unwichtig wären, sondern weil wir nicht erwarten, dass sie sich so stark verändern, dass sie das geopolitische System beeinflussen. In den Vereinigten Staaten rechnen wir mit mehr sozialer, wirtschaftlicher und politischer Instabilität, aber wir sehen dies als Teil eines historischen Zyklus, der wahrscheinlich in einem grundlegenden Wandel enden wird – nicht mit der bevorstehenden US-Präsidentschaftswahl, sondern im Jahr 2028. 

Der Krieg zwischen Israel und Hamas wird sich fortsetzen, allerdings in einem langsameren Tempo. Die Russen werden am aktivsten sein und versuchen, ihr Land zu sichern und ihren Status als bedeutende Macht im internationalen System wiederzuerlangen. Sie haben noch viel Zeit, um dies zu erreichen. China schließlich befindet sich inmitten einer Krise, die unserer Ansicht nach noch längere Zeit andauern wird.

Der Beitrag erschien in Kooperation mit Geopolitical Future (GPF). Zum Autor: George Friedman, 74, ist einer der bekanntesten geopolitischen Analysten der Vereinigten Staaten. Er leitet die von ihm gegründete Denkfabrik   Geopolitical Futures  und ist Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschien „Der Sturm vor der Ruhe: Amerikas Spaltung, die heraufziehende Krise und der folgende Triumph“ im Plassen-Verlag.

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