Hehre Ziele und niederste Instinkte

  • MEINUNG
  • August 30, 2024
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Wirtschaft und Politik warnen: Wer AfD oder BSW wählt, gefährdet Wachstum und ruiniert das Land? Stagnierendes Wachstum und Ruin: Das ging schon ohne AfD und BSW gut.

Ein Kommentar von Roberto De Lapuente.

shutterstock/Felix Geringswald

Deutschland steht offenbar vor wegweisenden Wahlen – und zwar in Brandenburg, Thüringen und Sachsen. Täglich werden die Warnungen aus der etablierten Politik und der Wirtschaft lauter. Wer im September die Alternative für Deutschland (AfD) oder das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wählt, so vernimmt man nun aus den einschlägigen Kanälen des Mainstreams, der würgt das Wachstum ab und gefährdet und ruiniert damit Wirtschaft und Gesellschaft.

Interessant ist diese Einschätzung allemal: Denn das klingt, als würde die Bundesrepublik im Falle hoher Ergebnisse für diese beiden Parteien, von einem Wachstumsparadies in einer Stagnationshölle landen. Dabei wies das Land im Jahr 2023 ein Minuswachstum aus – und zwar um 0,3 Prozent. Für 2024 wird ein Nullwachstum erwartet. Ganz ohne AfD, ganz ohne BSW. Das Land verfällt täglich mehr, die Infrastruktur darbt in vielen Bereichen. Eine Zugfahrt reicht zuweilen, um das zu erkennen. Und nun mahnt man Vernunft an, um nichts zu riskieren? Dabei gehen wir seit Jahren, ohne die beiden genannten Parteien, ins volle Risiko – und verlieren zusehends.

Sie sagen »Demokratie«, meinen aber Pfründe

Wenn also die große Gefahr, die uns allen droht – insbesondere ökonomisch – dieselbe ist, die wir schon etabliert haben, dann ist schon fraglich, ob sich die Schreihälse, die sich voller Selbstbewusstsein »Demokraten« nennen, wirklich um den Erhalt eines Systems bemühen, das sie wiederum als »Demokratie« bezeichnen. Sie meinen damit freilich eine Staatsform, die sie gemeinhin in der Theorie bemühen, aber in der Praxis hinter sich zu lassen bevorzugen.

Denn dass die Wachstumsraten nun vollends stagnieren, nachdem sie über viele Jahre, ja Jahrzehnte nur darbten, hat mit der Außenpolitik zu tun, die »die Demokraten« Deutschlands machen. Die Entscheidung, den russischen Nachbarn nicht zum Dialog zu bewegen, sondern auf eine Konfrontation zu setzen, die »von Freunden« kommt, die dem Land viel weiter entfernt sind, als eben jenes Russland: Das war eine höchst antidemokratische Entscheidung. Nicht nur, dass die Entscheidung zur Sanktions- und Boykottpolitik gegen Russland ohne Rückkopplung zum Volk getroffen wurde – es hat die Bevölkerung auch hart getroffen. Wenn man heute sagt, dass die Russland-Sanktionen greifen, dann kann das nur als invertierte Wirkung gemeint sein – denn sie wirken unmittelbar in Deutschland und treffen den Souverän hierzulande ganz besonders.

Auf die Menschen nicht blicken, sie alleine lassen mit ihren Sorgen, ja, die Sorgen gar zu vergrößern: »Die Demokraten« sind darin geübt. Seit Jahr und Tag guckten sie zur Seite, wenn man ihnen aus den Stadtteilen berichtete: Von der Zunahme der Gewalt, von der deutschen Sprache, die seltener und bald schon so gut wie gar nicht mehr dort gesprochen wurde – vom Dreck, der Verarmung direkt vor der Haustüre. Sprach man das an, wurde man als jemand eingeordnet, der im Gestern lebt und die Chancen der globalisierten One-World-Vision nicht anerkennen wollte. Ein solcher Kritiker musste geradezu einfach nur ein Nationalist sein – einer, der Deutschland schaden will, weil er noch in Grenzen denkt. Germany first? Unvorstellbar das auch nur zu denken!

Die Infrastruktur leidet seit mehr als 20 Jahren. Wenn wir von einer Gefahr für die Demokratie sprechen, dann ist der Abbau von existenzrelevanten Dienstleistungen unbedingt zu nennen. Wer sie der Erosion überlässt, sie gar aktiv abträgt, der ist kein findiger Sparfuchs, nein, der gefährdet ganz wesentlich demokratische Werte, denn er zerstört die Grundlagen der alltäglichen Selbstbestimmung der Bürger. 

In den USA dasselbe

Das BSW und die AfD sind für diese Entwicklungen nicht verantwortlich zu machen. Dieser Niedergang trat schon ein, da gab es beide Parteien noch längst nicht. Über Jahre taten die verantwortlichen Akteure so, als seien sie die einzig gültige Stimme der Demokratie – obgleich sie die Forderungen der Bürger nicht zur Kenntnis nahmen und deren Sorgen ignorierten. Wie lange sollte das noch so weitergehen, ohne dass sich neue Bewegungen und Parteien formieren und die Unzufriedenheit Bahn brach? »Die Demokraten«, die vorher noch gar nicht so laut mit ihrem demokratischen Label hausieren gehen mussten, weil es keine Alternativen zu ihnen gab, waren arrogant genug zu glauben, so würde es weiter- und immer weitergehen: Sie verwalten das Land zu Tode und schoben die Transformation zu einer marktkonformen »Demokratie« an, in der der Souverän nur noch als Konsument und Arbeitskraft vorkommt, der alle anderen Belange seiner traurigen Existenz aber hinnehmen sollte.

Die Arroganz ist nach wie vor ihr Antrieb – schlimmer denn je. Etwaige neue Parteien gelten ihnen als Produkt eines Rechtsruckes, als Ausblick auf eine Autokratie: Mit ihnen selbst hat die Existenz dieser Parteien aber selbstverständlich nichts zu tun. Sie haben nichts falsch gemacht, reden sie sich ein. Aber der Wähler sehr wohl. Er maßt sich nämlich an, falsch zu wählen – und alles zu gefährden. Aber was gefährdet er eigentlich? Die Vorrangstellung derer, die sich als »die Demokraten« adeln lassen wollen? Fürchten sie um ihren Adelsrang, den sie in der bundesrepublikanischen Republik erworben haben? Wollen sie schlicht ihren Senatssitz nicht mit anderen teilen müssen?

Bezeichnend die Ausführungen des SPD-Politikers und Philosophen Julian Nida-Rümelin in der Süddeutschen Zeitung. Er lässt sich zitieren: »Eine Diktatur der Mehrheit dürfen wir niemals zulassen.« Was sich hier anbahnt in den Worten eines vermeintlich nachdenklichen Mannes ist »die Demokratie«, die sie meinen. Mehrheiten dürfen in ihr keine zentrale Bedeutung mehr haben: Es gibt offenbar Wahrheiten der Minderheiten, die notfalls mit Zwang exekutiert werden müssen, wenn es – ja wem eigentlich? – dient.

In den Vereinigten Staaten sehen wir eine ganz ähnliche Vorstellung. Die Demokraten, die hier auch parteilich so heißen, retten die Demokratie vor dem Zugriff Donald Trumps. Sie wollen nicht sich, ihre Partei, ihre Pfründe sichern – Biden sagte gar, es gäbe Wichtigeres als seine Präsidentschaft, als er zurücktrat; vorher war sie ihm so wichtig, dass er alles vergaß, nur nicht, am Stuhl zu kleben: Nein, ihnen geht es um das Land, um die Demokratie. Ein Staatswesen, das auch sie brutal mit den Füßen traten, indem sie dabei zusahen, wie ganze Landstriche verarmten und in die Bedeutungslosigkeit fielen, während sie synchron dazu die Betroffenen als nicht leistungsbereite Hohlköpfe verlachten. Es ist perfide, wie man hier hehre Ziele ausweist, um niederste Instinkte zu bedienen: Nämlich die Gier nach Macht und Machterhalt.

Zum Autor:  Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog ad sinistram. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. Er war Kolumnist beim Neuen Deutschland und schrieb regelmäßig für Makroskop. Seit 2022 ist er Redakteur bei Overton Magazin. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main. Im März 2018 erschien sein Buch „Rechts gewinnt, weil links versagt“.

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.

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