Die Gastspiele des Bolschoi-Theaters in Südkorea sorgen für diplomatische Verstimmungen. Die ukrainische Botschaft kritisiert den Auftritt der Ballerina Swetlana Sacharowa und fordert internationale Partner auf, die Zusammenarbeit mit russischen Künstlern einzustellen. Die ukrainische Botschaft in Südkorea hat eine Erklärung veröffentlicht, in der sie das bevorstehende Ballett Modanse kritisiert, das vom 17. bis 21. April in Seoul stattfinden soll. Auf der Bühne soll unter anderem die Ballerina Swetlana Sacharowa stehen. Das Stück, das in Zusammenarbeit mit dem französischen Modehaus Chanel entstand, wurde 2019 im Bolschoi-Theater in Moskau uraufgeführt.
Unter Hinweis auf deren Unterstützung für die russische Regierung bezeichnete Kiew Auftritte von Künstlern aus dem „Aggressorstaat“ als absolut inakzeptabel und forderte Südkorea auf, die kulturelle Zusammenarbeit mit Moskau einzustellen. „Bei allem Respekt für Meinungspluralismus und den inklusiven Charakter des Kulturaustauschs fordern wir unsere internationalen Partner auf, die kulturelle Zusammenarbeit mit dem kriminellen russischen Regime und seinen Kulturvertretern auszusetzen“, so die ukrainische Botschaft. Auch die Delegation der Europäischen Union in Südkorea sprach sich gegen die Ballettaufführungen aus.
Ein namentlich nicht genannter Botschaftsvertreter sagte der Korea Times, Kiew lehne die Aufführung auch deshalb ab, weil das Bolschoi-Theater von einem „engen Freund“ des russischen Präsidenten geleitet werde. Der Dirigent Waleri Gergijew, der seit kurzem sowohl das Bolschoi-Theater als auch das Mariinski-Theater in Sankt Petersburg leitet, gehört zu den Künstlern, die in der Ukraine wegen ihrer Unterstützung für die russische Regierung auf die schwarze Liste gesetzt wurden.
Die Gastspiele russischer Künstler seien „normale Konzertaktivitäten“, die auf direkten Vereinbarungen zwischen den beteiligten Parteien beruhten, reagierte die russische Botschaft in Südkorea. Versuche, Meisterwerke der russischen Kultur abzusagen, seien albern. „An die Ausschreitungen der ukrainischen Diplomaten und ihrer europäischen Kollegen könnte man sich bereits gewöhnen, aber dieses Mal haben sie sich selbst übertroffen“, hieß es weiter. Die Botschaft begrüße den kulturellen Austausch zwischen Russland und Südkorea und sei bereit, diesen aktiv zu fördern. „Das koreanische Publikum kann russische Oper und russisches Ballett erleben, zeigt großes Interesse daran und verliebt sich in die weltberühmten Werke russischer Komponisten und Schriftsteller“, hieß es in einer Stellungnahme. Das Außenministerium der Republik Korea teilte lediglich mit, dass die Aufführungen von privater Seite organisiert und durchgeführt werden.
Swetlana Sacharowa wurde in der ukrainischen Stadt Luzk geboren und besuchte die Ballettschule in Kiew, ist aber russische Staatsbürgerin und Mitglied des Bolschoi-Ensembles. Sie gilt derzeit als eine der besten Ballerinas der Welt. Von 2007 bis 2011 war sie Abgeordnete der regierungsnahen Partei Einiges Russland. Dieses Jahr wurde sie als Putins Vertraute bei den kommenden Präsidentschaftskandidaten registriert.
Auch in Deutschland konnte eine regelrechte Diffamierungskampagne gegen russische Spitzenkünstler beobachtet werden. Nur einige Beispiele sollen genannt werden. im September 2023 forderten in einem offenen Brief Akademiker, Kulturschaffende und ukrainische Organisationen, den Auftritt der russischen Opernsängerin Anna Netrebko in der Berliner Staatsoper abzusagen. Der Sängerin wird unter anderem vorgeworfen, sich nicht für den Krieg in der Ukraine entschuldigt zu haben. Der Brief richtete sich an den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner (CDU), Kultursenator Joe Chialo (CDU) und Opernintendant Schulz. Er wurde von „Vitsche“ veröffentlicht, einem Verein, der proukrainische Aktionen in Deutschland koordiniert.
Auch Stardirigent Gergijew traf ein Verbot: Ende März 2023 bekräftigte der Stardirigent Waleri Gergijew darauf, „Russische Musik lasse sich nicht aufhalten. Jeder, der es versuche, werde auf Schwierigkeiten stoßen,“ erklärte der unter westlichen Sanktionen stehende Maestro am Rande der erfolgreichen Tournee des Mariinski-Theaters in Peking. Innerhalb von nur 20 Minuten waren 8.000 Karten für Konzerte von Waleri Gergijew und dem Symphonieorchester des Mariinski-Theaters in Peking ausverkauft. Dies verkündete der Stardirigent aus Russland auf einer Pressekonferenz im Nationalen Zentrum für Darstellende Künste (NCPA) in Peking, die im Rahmen der China-Tournee des Theaters gegeben wurde. Zu den ständigen Versuchen des Westens, die russische Kultur zu verbieten und abzuschaffen, bemerkte Gergijew gegenüber Journalisten: „Es ist zu spät, Tschaikowski aufzuhalten.“ Und fuhr fort: „Mussorgski, Tschaikowski, Prokofjew, Schostakowitsch, Strawinsky, Rimski-Korsakow sind nicht nur berühmt, nicht nur beliebt, sondern haben für Millionen von Menschen in der Welt höchste Priorität … Ich mache mir keine Sorgen um russische Komponisten, ich mache mir absolut keine Sorgen um russische Musik. Es ist nicht unsere Musik, die Probleme hat, sondern die Leute, die meinen, sie könnten die russische oder italienische Musik aufhalten.“
Er glaube an die Kraft der Musik, so Gergijew, und daran, dass russische Musik „keine Grenzen hat, keine Einschränkungen“. Die Musik gehöre außerdem nicht zu bestimmten Nationen, denen bestimmte Komponisten angehören. „Und aufgrund des nationalen Charakters besteht die Kraft der Musik darin, der Welt zu zeigen, wie schön chinesische, russische, deutsche oder französische Musik ist“, meint der Stardirigent.
Doch es gibt auch Lichtblicke in diesem Real-Satirestück mit überbordender Russophobie und Ausgrenzung. So verteidigte die Scala Ende November 2022 die russische Oper „Boris Godunow“ vor Ukrainern. Der Direktor der Mailänder Scala, Dominique Meyer, erläuterte seine Entscheidung für „Boris Godunow“ des russischen Komponisten Modest Mussorgski als Eröffnungsstück der neuen Spielzeit. Die Oper sei nicht gegen Ukrainer gerichtet.
Auch das Berliner Kultursommerfestival begann im Juni 2022 mit Puccini und Tschaikowski, leider ohne Netrebko. Stundenlang ertönte im schön gelegenen Raum zwischen der Staatsoper und der Humboldt-Universität die schönsten Klänge aus berühmten Symphonien und Arien. Am Sonntag spielte Chefdirigent Daniel Barenboim mit seiner Staatskapelle, dem Orchester der Staatsoper, die 4. Symphonie von Robert Schumann und die 5. Symphonie („Schicksalsymphonie“) von Pjotr Tschaikowski. Der finale Satz Andante maestoso eines der am meisten gespielten Komponisten weltweit war unter dem freien Himmel im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend. Nach nicht enden wollenden Applaus legten Barenboim und seine Truppe nach und drückten mit der „Onegin“-Polonaise ebenjenes Komponisten wieder erbarmungslos auf die Tränendrüsen der Zuschauer.
„Ein schöner russischer Abschluss“, könnte man meinen – die Gespräche über die angebliche Abschaffung russischer Kultur im Westen seien maßlos übertrieben, zumal auch am Vorabend alle Titelpartien bei der „Turandot“-Premiere des Regisseurs Philipp Stölzl russischen bzw. russischsprachigen Künstlern gehört hatten – Elena Pankratova als Prinzessin Turandot, Yusif Eyvazov als Prinz Calàf und Aida Garifullina als verliebte Sklavin Liù. Die Premiere war trotz der unkonventionellen Regie-Lösungen für das Kultmeisterwerk von Giacomo Puccini ein voller Erfolg, und die drei Genannten wurden mit anderen Stars des Abends später, als sie aus dem Opernhaus kamen, auf offener Bühne am Bebelplatz vom Publikum herzlichst gefeiert.