Ein Gesetzentwurf, der dem US-Repräsentantenhaus vorgelegt wurde, unterbreitet sowohl der chinesischen Social-Media-App als auch den US-amerikanischen Digital-Unternehmen ein Angebot im Stile der Mafia. Aber was genau steckt hinter diesem Vorgehen?
TikTok ist weltweit die am häufigsten heruntergeladene Social-Media-Applikation. Mit monatlich über einer Milliarde aktiven Nutzern ist die Plattform zu einer weltweiten Sensation geworden, hat andere Social-Media-Plattformen überflügelt und sich zum neuesten Trend unserer Zeit entwickelt. Aber US-amerikanische Politiker sehen dahinter ein großes Problem, eines, das sie noch nie akzeptieren konnten: Die Applikation ist chinesisch. TikTok wurde nicht wie alle anderen Social-Media-Plattformen von einem Unternehmen aus dem Silicon Valley in Kalifornien entwickelt, sondern von einem chinesischen Unternehmen namens ByteDance. Dies hat dazu geführt, dass die App in Washington immer wieder ins Zentrum politischer Paranoia gerückt wurde, vor allem von Politikern der republikanischen Partei, die davon besessen sind, TikTok zu verbieten.
Wie bei den meisten Dingen, die aus China kommen, verurteilen diese Politiker die Applikation als Teil einer Verschwörungsstrategie der Kommunistischen Partei Chinas, um die USA auf irgendeine Weise zu infiltrieren, zu beeinflussen oder auszuspionieren. Es gab nie ernsthafte Belege für ein Fehlverhalten der Betreiber von TikTok, dennoch wurde das politisch motivierte Narrativ immer weiter vorangetrieben, weil es einfach zu bequem war.
Empörung bei 170 Mio Nutzern
Es gab in der Vergangenheit bereits eine Reihe von gescheiterten Versuchen, die Applikation zu verbieten. Darunter ein Vorstoß der Regierung von Donald Trump im Jahr 2020, der jedoch durch eine rechtliche Anfechtung scheiterte, sowie ein weiterer Versuch, die App im Bundesstaat Montana zu verbieten – was ebenfalls vor Gericht scheiterte.
Aber die Hysterie will nicht nachlassen. Der republikanische Abgeordnete Mike Gallagher, Vorsitzender des Sonderausschusses des Repräsentantenhauses für die Belange im Zusammenhang mit der Kommunistischen Partei Chinas, hat einen neuen Gesetzentwurf im US-Kongress eingebracht, der erneut versucht, die Plattform endgültig zu verbieten. Der Gesetzentwurf hat die Ausschussphase durchlaufen und wurde vom Repräsentantenhaus angenommen. Jetzt muss er noch vom Senat die Zustimmung erhalten. Präsident Joe Biden hat angekündigt, dass er den Gesetzentwurf unterzeichnen wird, sollte er von beiden Kammern angenommen werden. Dieser Gesetzentwurf löste bei den 170 Millionen US-Nutzern von TikTok heftige Empörung aus, worauf sie ihre Kongressabgeordneten mit Protesten eindeckten und verlangten, sich einem Verbot von TikTok zu widersetzen.
Mafiöse Gaunerei um kulturelle Sensation
Aber wie bei den meisten Dingen in Washington, die etwas mit China zu tun haben, stößt dies weitgehend auf taube Ohren. Der Abgeordnete Mike Gallagher besteht darauf, dass sein Gesetzentwurf kein völliges Verbot von TikTok verlangt. Technisch gesehen sieht der Entwurf lediglich vor, dass es für Distributoren der App – also App Stores – illegal wird, von ByteDance kontrollierte Apps bereitzustellen. Das chinesische Unternehmen hat jedoch die Möglichkeit, sich dafür zu entscheiden, die Kontrolle über die eigene App aufzugeben, damit TikTok auf dem US-Markt bleiben kann. Offensichtlich handelt es sich bei diesem Winkelzug lediglich um eine mafiöse Gaunerei, um ByteDance zum Verkauf der beliebtesten App der Welt an ein US-Unternehmen zu nötigen.
Mit anderen Worten: Akzeptiert, dass die USA euer Social-Media-Unternehmen zerschlägt, um es an sich zu reißen. Der Gesetzentwurf ist kaum mehr als die Legalisierung von Erpressung und sagt viel über die Mentalität US-amerikanischer Politiker aus. Die Vereinigten Staaten haben eindeutig ein großes Problem damit, dass einer ihrer geopolitischen Rivalen eine weltweit beliebte Social-Media-Anwendung entwickeln konnte. Schließlich waren die USA bis vor Kurzem unangefochten führend in der Social-Media-Welt. Es gab keinen Wettbewerb, da Facebook, Twitter und andere Plattformen allesamt US-amerikanische Entwicklungen waren, durch die unser Alltag verändert und beeinflusst wurde.
Die Vorstellung, dass ausgerechnet China die Social-Media-App der nächsten Generation entwickeln konnte, ist ein Schlag ins Gesicht für das US-amerikanische Ego, ein Schock für das US-amerikanische Selbstverständnis, praktisch gleichzusetzen mit dem „Sputnik-Moment“, als die Sowjetunion als erstes Land der Erde den Wettlauf ins All gewann. In der Causa TikTok gibt es jedoch einen grundlegenden Unterschied: In diesem Fall reagieren die USA nicht mit Blick „von außen nach innen“, wie dies bei den Errungenschaften der UdSSR jeweils der Fall war. TikTok ist in den USA zu einer kulturellen Sensation geworden und damit zu einer Projektion chinesischer „Soft Power“.
Im Kampf gegen China ist es zu einem prägenden Merkmal geworden, dass die USA, in ihrer eigenen Unsicherheit, zunehmend mit einer „nach innen“ gerichteten Reaktion in Richtung Peking kontern. Während sich die USA während des Kalten Krieges „nach außen“ richtete und sich mit ihrem Kulturexport und ihrer Dominanz in so gut wie allen Bereichen der westlichen Gesellschaft engagierte, um mit der Sowjetunion in Konkurrenz zu treten, fürchten sie nun, dass sie auf vielen Ebenen nicht mehr mit China mithalten können. Daher greifen die USA auf repressive Maßnahmen zurück, wie Verbote, Sanktionen, schwarze Listen, Exportkontrollen, Spionagevorwürfe und vieles mehr, mit gleichzeitiger Verpflichtung für ihre Verbündeten, die daraus entstehende Kosten und Schäden mitzutragen.
Paranoid in Bezug auf wirtschaftlichen Aufschwung Chinas
Dies offenbart natürlich auch die Realität, dass China – im Vergleich zur Sowjetunion – eine ganz andere Strategie verfolgt. Eine, die auf einem viel intensiveren globalen, wirtschaftlichen und kommerziellen Engagement beruht, sowie auf technologischem Fortschritt. TikTok muss als Sinnbild dafür betrachtet werden. Die Frage, die man sich in Washington stellt, lautet: Wenn chinesische Unternehmen mit ihren Fähigkeiten im Bereich der Künstlichen Intelligenz jetzt damit beginnen, die alte Garde des Silicon Valley aus dem Rennen zu werfen, was wird dann in Zukunft noch passieren? Offenbar haben die US-Politiker darauf keine andere Antwort, als in die Defensive zu gehen. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass das Verbot selbst bei einer Verabschiedung des Gesetzentwurfs erneut einer rechtlichen Prüfung nicht standhalten wird.
Ein solches Verbot käme in Konflikt mit dem ersten Zusatzartikel der Verfassung der USA. Denn wenn die US-Regierung eine Social-Media-Plattform willkürlich mit der Begründung verbieten kann, sie begünstige „Propaganda“, dann schafft dies wohl einen beunruhigenden Präzedenzfall, der dazu genutzt werden kann, alles und jeden mundtot zu machen. Doch die Tatsache, dass US-Politiker vor dem Hintergrund dieser Prämisse dermaßen bereitwillig etwas verbieten wollen, könnte uns aufzeigen, wie verunsichert und paranoid sie in Bezug auf den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas geworden sind. Man kann mit Fug und Recht erwarten, dass das Thema TikTok weiterhin in den Schlagzeilen bleiben wird – selbst wenn ein Verbot dieser Plattform letztlich nicht zustande kommt.
Der Autor Timur Fomenko ist ein politischer Analyst , er publiziert u.a. in der englischsprachigen Ausgabe von Pressenza. Der Beitrag erschien in Erstveröffentlichung am 12.März 2024. Berlin 24/ 7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln.