Die Militärparade in Moskau zum 80. Jahrestag des Sieges in Europa war ein voller Erfolg. Die Lufttemperatur war kühl, und fast alle auf der Tribüne, einschließlich Präsident Putin, trugen Mäntel. Aber es war sonnig, und der gefeierte Überflug der Luftwaffenjets bildete einen perfekten Abschluss der Veranstaltungen auf dem Roten Platz.
Reiseerlebnisse von Gilbert Doctorow (Übersetzung Andreas Mylaeus)
Der russische Präsident und die Ehrengäste begaben sich anschließend zum Grabmal des Unbekannten Soldaten im nahe gelegenen Alexandergarten, um dort eine Schweigeminute einzulegen und Kränze niederzulegen.
Am Nachmittag findet noch der Marsch des Unsterblichen Regiments statt, der das öffentliche Pendant zur offiziellen Militärparade ist und bei dem Russen aus allen Gesellschaftsschichten Fotos ihrer Vorfahren hochhalten, die im Großen Vaterländischen Krieg, wie der Zweite Weltkrieg in Russland genannt wird, gekämpft haben oder an der Heimatfront in der Rüstungsindustrie gearbeitet haben. Wir können davon ausgehen, dass auch dies ohne Zwischenfälle verlaufen wird.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Drohnenangriffe, mit denen Kiew die Sabotage der russischen Siegesparaden angedroht hatte, nicht stattfanden. Wir können nun alle etwas ruhiger sein, da eine scharfe Eskalation des Krieges vorerst unwahrscheinlich ist.
Aber die gesamten Feierlichkeiten in Moskau waren für viel mehr wichtig als nur dafür, dass nichts schiefgelaufen ist, und darauf möchte ich im Folgenden eingehen.
Zunächst einmal waren alle großen Staaten Indochinas oder Südostasiens, wenn man so will, vertreten: Vietnam, Laos, Kambodscha, Myanmar. Und dafür gibt es gute Gründe. Heute haben sie gemeinsam den Sieg in Europa gefeiert. Im Juli (das genaue Datum steht noch nicht fest) werden sie erneut zusammenkommen, diesmal in Peking, um den Sieg im Pazifik zu feiern, d.h. die Kapitulation Japans, das sie alle während des Krieges überfallen hatte. Und Präsident Putin hat angekündigt, dass er ebenfalls an dieser Veranstaltung in China teilnehmen wird. Angesichts dieser Tatsachen, die erst jetzt klar geworden sind, verstehe ich Putins Entscheidung besser, Xi zum wichtigsten Gast der heutigen Feierlichkeiten zu ernennen, auch wenn ihm dies sicherlich die Teilnahme des indischen Premierministers gekostet hat, der unter keinen Umständen als Xi untergeordnet erscheinen durfte.
Der nordkoreanische Staatschef Kim Jong Un war nicht in Moskau anwesend, aber seine Soldaten waren da und nahmen an der Parade teil. Darüber hinaus nahm sich Präsident Putin unmittelbar nach der Parade die Zeit, den hochrangigen Offizieren seines Kontingents die Hand zu schütteln und ihnen für ihren unvergesslichen Beitrag zur Befreiung der Region Kursk zu danken.
Wenn wir uns die Staatsmänner auf der Tribüne ansehen, müssen wir den serbischen Staatschef Vučić und den slowakischen Staatschef Fico besonders erwähnen. Beide waren von der für Außenpolitik zuständigen Vizepräsidentin der EU-Kommission, Kaja Kallas, mit schwerwiegenden Konsequenzen bedroht worden, sollten sie an Putins Feier teilnehmen. Serbien würde seine Chancen auf einen EU-Beitritt verlieren, sagte sie. Und auf Betreiben Brüssels sperrten die baltischen Staaten ihren Luftraum für das Flugzeug des slowakischen Staatschefs, um ihm die Reise nach Moskau unmöglich zu machen. Aber er reiste trotzdem dorthin.
Wir können sicher sein, dass diese bösartige Schikane aus Brüssel nicht vergessen wird, wenn Ficos Stimme benötigt wird, um weitere EU-Beschlüsse zur Verlängerung der Sanktionen gegen Russland oder zur Gewährung von Hilfen für Kiew zu verabschieden. Mit einem Wort: Durch ihr Überziehen hat die Diktatorin an der Spitze der Kommission, Ursula von der Leyen, mehr erreicht als die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin Merkel mit ihrer fehlgeleiteten Politik der offenen Türen für alle illegalen Einwanderer im Jahr 2015. Diese Dummheit hat die EU die britische Mitgliedschaft gekostet. Die jüngste Dummheit der EU-Kommission könnte den Zerfall der EU selbst vorantreiben.
Erwähnenswert ist auch, wie russische Fernsehkommentatoren bemerkten, dass diese Reise nach Moskau Vucic und Fico wie nie zuvor zusammengebracht hat und sie sich gegenseitig als Verbündete gefunden haben.
Dr. Gilbert Doctorow, Jahrgang 1945, ist politischer Analyst mit Sitz in Brüssel. Gilbert Doctorow ist seit 1965 professioneller Beobachter der Sowjetunion/ Russischen Föderation. Er ist Absolvent des Harvard College (1967) mit magna cum laude, ehemaliger Fulbright-Stipendiat und Inhaber eines Doktortitels mit Auszeichnung in Geschichte von der Columbia University (1975). Nach Abschluss seines Studiums verfolgte Gilbert Doctorow eine Geschäftskarriere mit Schwerpunkt UdSSR und Osteuropa. 25 Jahre arbeitete er für US-amerikanische und europäische multinationale Unternehmen im Marketing und im General Management mit regionaler Verantwortung. Von 1998 bis 2002 war Doctorow Vorsitzender des Russischen Booker-Literaturpreises in Moskau. Im akademischen Jahr 2010–2011 war er Gastwissenschaftler am Harriman Institute der Columbia University. Seit 2008 veröffentlicht Herr Doctorow regelmäßig analytische Artikel über internationale Angelegenheiten auf verschiedenen Websites, z.B. auf https://gilbertdoctorow.com Er hat Sammlungen von Essays als eigenständige Bücher sowie eine zweibändige Ausgabe seiner Tagebücher und Erinnerungen als Memoirs of Russianist veröffentlicht
Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.
