Das allgemeine Klagen ist groß. Die Baukosten explodieren ebenso, wie die überbürokratisierten Bauvorschriften. Sozialer Wohnungsbau ist so unrentabel wie noch nie. Während in Leipzig in den letzten Jahren Luxuswohnungen wie Pilze aus dem Boden schossen, haben nach statistischen Erhebungen 38% der Leipziger Einwohner Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein, weitere rund 12% stehen kurz davor. Rund 50% der in Leipzig wohnenden Bevölkerung lebt also in oder benötigt Sozialwohnungen. Eine Trendwende im Wohnungsbau ist deshalb dringend notwendig. Unter solchen Rahmenbedingungen aber unmöglich? Mitnichten. Ein kleines Wohnprojekt in Leipzig-Wiederitzsch zeigt, wie es gehen kann.
Ein Gastbeitrag von Christiane Domke, Dipl.-Ing. Architektin
Der Rohbau des dreigeschossigen Wohnhauses steht. Bei strahlendem Sonnenschein versammeln sich rund 65 Akteure vor dem Neubau in der Hermann-Keller-Straße 66.
Auf der obersten Gerüstebene trägt der Polier der ausführenden Firma in feierlicher Zimmermannskluft den Richtspruch zum Bauvorhaben vor:
„…Es wurde geschachtet, geschalt, bewehrt, gemauert und betoniert undmit viel Fleiß dieser Neubau montiert.
Nun ist´s vollbracht, die Vision von sozialem Wohnungsbau in Leipzig lebt,
der Rohbau des Hauses steht,
und auf ihn nun bald der Richtkranz weht. …“
In alt bewährter Tradition bedankt sich der Bauherr mit dem Richtfest bei allen Beteiligten, die zum „Wachsen“ des Gebäudes beigetragen haben: dem Architekten, Tragwerksplaner, Vermesser, Baugrundgutachter, Brandschutzplaner, den Haustechnikplanern und ganz besonders bei den beteiligten Baufirmen vor Ort, den Tiefbauern, den Rohbauern, den Monteuren der HLS-und Elektrofimen, den Fensterbauern …
Nach dem Vortragen des Richtspruches stoßen Bauleiter und Polier auf das Vorhaben an.
Das Glas des Poliers wird dem Gebrauch folgend an die Wand des Gebäudes geworfen und zersplittert in tausend Scherben: Scherben bringen Glück, also möge das Bauwerk seine Bewohner auf lange Zeit beschützen und ihnen ein sicheres Heim ermöglichen.
…doch was wird hier errichtet?
Ein Wohngebäude nach den Kriterien des sozialen Wohnungsbaus: entsprechend der Förderkriterien, für Personen / Familien, die am freien Wohnungsmarkt keine Chance auf gesunden passenden Wohnraum aufgrund ihrer finanziellen Möglichkeiten haben. Die Wohnungen sind konzipiert für Familien mit 2 und 3 Kindern und für Senioren. Die Nachfrage ist groß, eigentlich benötigt Leipzig eine Vielzahl dieser Wohnungen. Nur wenige werden in den Genuss der Zuweisung in eine dieser Wohnungen kommen.
…wie wurde dieses Projekt konzipiert und realisiert?
Die Saatzucht-Plaußig-Grundstücksgesellschaft mbh als städtische Wohnungsgesellschaft stellt sich seit vielen Jahren der Wohnraumversorgung aller wohnraumsuchenden unserer Gesellschaft und entwickelte gemeinsam mit dem Architekturbüro Domke die Idee der Realisierung eines Bauvorhabens für Sozialen Wohnungsbau in Leipzig-Wiederitzsch.
Das AB Domke ist seit Jahrzehnten erfahren in der Konzipierung, Planung und Umsetzung von diversen sozialen Wohnungsbauvorhaben und Wohnprojekten: für Familien, für Mehrgenerationswohnen, für Senioren und Menschen mit Behinderung. Das Projekt in Leipzig-Wiederitzsch weist Grundrisse mit knappen Wohnraumgrößen (weil damit weniger Quadratmeter Miete zu bezahlen sind), aber gut möblierbaren Zimmern auf.
Die 5-Raum- Wohnungen erhalten Bad und kleines Duschbad, die Bauhülle ist entsprechend der aktuellen energetischen Vorgaben, aber als einschalige hochdämmende Außenwand konzipiert. Die Wärmeversorgung erfolgt über eine Luftwärmepumpe, zur Eigenversorgung wird auf dem Flachdach eine großzügige PV-Anlage platziert, im UG (Untergeschoß) werden Abstellflächen für alle Mobilitätsarten angeboten. Jedes Detail des Gebäudes wurde nach wirtschaftlichen Erwägungen geprüft und abgewogen. Insgesamt entsteht ein kompaktes Gebäude mit klarer Grundrisslösung und einem zeitgemäßen technischen Standard. Die bauliche Umsetzung liegt in den Händen der erfahrenen Köster-Baugesellschaft mbh, die mit schlagkräftigem Team das Baugeschehen in zielstrebiger Art in kurzer und abgestimmter Zeit zum Rohbau geführt hat.
…schlagkräftig! Entsprechend der Tradition des Richtfestes muss der Bauherr den letzten Sparrennagel des Dachstuhles einschlagen. Da aufgrund der modernen Bauform kein Holzdachstuhl vorliegt, wird das Einschlagen des „letzten Nagels“ in einen symbolischen Holzbalken vorgenommen und passend zur Projektidee als gemeinsame Aktion der Geschäftsleitung und Projektleitung der Bauherrschaft, der Architektin, der Leitung der Baufirma und dem Polier der ausführenden Firma realisiert. Diese symbolische Geste verdeutlicht, was entstehen kann, wenn alle Projektbeteiligten an einem Strang ziehen: bezahlbare Wohnungen, mit optimaler Bauqualität. Die Bezahlbarkeit für Geringverdiener ist allerdings erst möglich durch die seitens der Stadt Leipzig, dem Amt für Wohnungsbau und Stadterneuerung gewährten Förderung. Die ebenfalls anwesenden Vertreter des Amtes freuen sich, dass das Vorhaben im Zeitplan liegt und zum Herbst dieses Jahres die ersten Mieter einziehen können.
Leider entstehen aktuell bei diesem Vorhaben nur 600qm Wohnraum, wünschenswert wäre eine Vielzahl dieser Fläche. Alle beteiligten Akteure stehen bereit, um weitere dieser Wohnformen zu realisieren.
Lesen Sie dazu auch unseren Artikel Sozialer Wohnungsbau ist nur dann möglich, wenn ihn alle Beteiligten auch wirklich wollen.