Deutsche Rüstungsunternehmen gehen zunehmend zur Produktion von Waffensystemen in der Ukraine über und nehmen dabei international eine führende Stellung ein. Die Ukraine soll einer der größten Waffenproduzenten der Welt werden. Vom Nachrichtenportal German-foreign-policy.
Mit Unterstützung der Bundesregierung treiben laut dem Bericht deutsche Rüstungsunternehmen führend den Aufbau der ukrainischen Rüstungsindustrie voran. Im Beisein von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat der Drohnenhersteller Quantum Systems aus München am vergangenen Donnerstag eine Fabrik zur Herstellung von Aufklärungsdrohnen in der Ukraine eingeweiht. Zuvor hatte unter anderem Deutschlands größter Rüstungskonzern Rheinmetall dort einen Standort eröffnet. Der Panzerbauer KMW beziehungsweise. dessen deutsch-französisches Joint Venture KNDS wird folgen, ebenso der deutsche Ableger des Lenkwaffenherstellers MBDA, der gemeinsam mit dem Kiewer Staatskonzern Ukroboronprom respektive Ukrainian Defense Industries (UDI) Systeme zur Drohnenabwehr fertigen will. Deutsche Unternehmen spielen im Rahmen der Rüstungsallianz, die Kiew im vergangenen Herbst offiziell gestartet hat, um westliche Waffenschmieden zu Investitionen in der Ukraine zu motivieren, eine zentrale Rolle. Präsident Wolodymyr Selenskyj fordert, die Ukraine solle einer der bedeutendsten Rüstungsstandorte weltweit werden. Dabei ist ihre eigene Rüstungsbranche zur Zeit mit eklatanten Problemen konfrontiert.
Die ukrainische Rüstungsindustrie ist seit Kriegsbeginn stark gewachsen. Laut Angaben des Ministers für strategische Industrie, Oleksandr Kamyschin, produzieren mittlerweile rund 500 ukrainische Unternehmen Rüstungsgüter, darunter gut 100 staatliche. Größter Konzern ist das Konglomerat Ukroboronprom, das seit März 2023 offiziell den Namen Ukrainian Defense Industries (UDI) trägt; ihm gehören ungefähr 130 Einzelunternehmen mit einer insgesamt gut fünfstelligen Zahl an Mitarbeitern an. Wenngleich es der Branche mittlerweile gelungen ist, ihre Produktion massiv auszuweiten, kämpft sie mit allerlei Schwierigkeiten. Einige davon sind kriegsbedingt. So greift Russland immer wieder ukrainische Waffenschmieden mit Drohnen sowie Raketen an; manche Unternehmer sind dazu übergegangen, ihre Fabriken alle drei Monate an einen neuen Standort zu verlegen. Hinzu kommen Stromausfälle, die aktuell wieder zunehmen – ein Ergebnis der jüngsten russischen Angriffe auf die ukrainische Energieversorgung. Nicht zuletzt beklagen ukrainische Rüstungsunternehmen einen Mangel an Arbeitskräften, der daraus resultiert, dass Hunderttausende Ukrainer an der Front kämpfen und weitere Millionen – häufig dauerhaft – ins Ausland geflohen sind.
Andere Schwierigkeiten, die die ukrainische Rüstungsproduktion zur Zeit hemmen, sind hausgemacht. So klagen ukrainische Unternehmer über exzessive bürokratische Hindernisse und über Unstimmigkeiten zwischen Ministerien, die mit der Auftragsvergabe befasst sind. Zudem können die benötigten Rohstoffe nicht immer in ausreichender Menge importiert werden, und es wird über Probleme bei der Vergabe von Lizenzen durch westliche Konzerne berichtet, insbesondere bei den Bemühungen, dringend benötigte Artilleriemunition vom Kaliber 155mm in Eigenregie herzustellen. Als vielleicht gravierendste Schwierigkeit gilt der Mangel an Geld. So gibt Kamyschin an, die ukrainische Rüstungsbranche sei mittlerweile zwar in der Lage, Produkte im Wert von 18 bis 20 Milliarden US-Dollar jährlich herzustellen. Die Regierung könne aber allenfalls ein Drittel davon finanzieren. Die Forderung diverser ukrainischer Waffenschmieden, den darüber hinaus gehenden Ausstoß ins Ausland verkaufen zu dürfen, stößt in Kiew bislang auf taube Ohren – auch, weil es als nicht vermittelbar gilt, Kriegsgerät zu exportieren, zugleich aber teure westliche Rüstungsgüter einzufordern. In der vergangenen Woche hat Dänemark angekündigt, Kiew 28,5 Millionen US-Dollar für den Kauf von Waffen bei ukrainischen Herstellern zu gewähren.
Unabhängig davon schreitet der Aufbau der im September 2023 gegründeten Rüstungsallianz der Ukraine mit Unternehmen aus westlichen Ländern voran. Ziel ist es, westliche Konzerne zur Gründung von Fabriken beziehungsweise Joint Ventures mit ukrainischen Firmen zu bewegen, um einerseits dringend benötigte Investitionen ins Land zu holen, andererseits die ukrainische Branche, die einst stark war, die in den vergangenen drei Jahrzehnten aber marode wurde, energisch zu modernisieren. Berichten zufolge sind der Rüstungsallianz mittlerweile knapp 100 Unternehmen aus über 20 Staaten beigetreten, darunter etwa BAE Systems, die französische Thales Group, die italienische Leonardo, Saab aus Schweden sowie der türkische Drohnenhersteller Baykar. Baykar teilte im Februar mit, man habe bereits mit dem Bau einer Fabrik begonnen; das Gebäude selbst solle in zwölf Monaten fertiggestellt sein, dann folge die Ausrüstung mit Maschinen. Perspektivisch sollten dort rund 500 Mitarbeiter etwa 120 Drohnen pro Jahr fertigen; unklar sei nur noch, ob man die bewährten Modelle Bayraktar TB2 oder die Neuentwicklung TB3 produzieren werde.[6] Andere westliche Unternehmen beschränken sich noch darauf, in der Ukraine Reparaturen und Instandhaltung durchzuführen; die Produktion soll später folgen.
Dieses Vorgehen hat auch Rheinmetall, der größte deutsche Rüstungskonzern, praktiziert. Rheinmetall hat am 24. Oktober vergangenen Jahres in Anwesenheit von Bundeskanzler Olaf Scholz gemeinsam mit Ukroboronprom/Ukrainian Defense Industries (UDI) die Gründung des Joint Ventures Rheinmetall Ukrainian Defense Industry LLC vollzogen. Erst kürzlich bestätigte ein Unternehmenssprecher, seitdem sei das Unternehmen „operativ tätig“. Auch bei Rheinmetall Ukrainian Defense Industry gehe es zunächst um Reparaturen gepanzerter Fahrzeuge, die jetzt in der Ukraine durchgeführt werden solle, um den weiten, zeit- und kostenintensiven Transport zu Werkstätten in Nachbarstaaten wie Polen oder der Slowakei zu vermeiden. Anschließend soll dann die Produktion aufgenommen werden. Rheinmetall-Chef Armin Papperger erklärte kürzlich, ab Spätsommer 2024 werde man den Transportpanzer Fuchs aus in Deutschland hergestellten Einzelteilen in einer Fabrik in der Ukraine montieren können; im Sommer 2025 werde das mit dem Schützenpanzer Lynx möglich sein. Langfristig ist auch die Fertigung des Kampfpanzers Panther in der Ukraine geplant. Zudem will das Unternehmen jährlich eine sechsstellige Zahl an Artilleriegeschossen vom Kaliber 155 in der Ukraine produzieren. Bislang ist der Bau von vier Fabriken in dem Land geplant.
Einen ähnlichen Weg wie Rheinmetall geht der deutsche Panzerbauer Krauss-Maffei Wegmann beziehungsweise dessen Gemeinschaftsunternehmen mit der französischen Waffenschmiede Nexter, KNDS. Mitte November 2022 hatte KNDS zunächst mitgeteilt, man baue in der Slowakei eine Logistikbasis auf, um dort Ersatzteile bereitzustellen sowie beschädigte Panzer zu reparieren. Im März hieß es dann, man werde einen Ableger in der Ukraine gründen; dort sollten zunächst Ersatzteile, später dann Munition sowie langfristig auch komplette Waffensysteme hergestellt werden. Der Münchener Drohnenhersteller Quantum Systems, der nach der Lieferung zahlreicher Aufklärungsdrohnen ebenfalls zunächst einen Standort zur Reparatur und zur Ausbildung an seinen Drohnen in der Ukraine eröffnet hatte, hat am Donnerstag vergangener Woche im Beisein von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck eine Fabrik in Betrieb genommen, die bis Ende 2024 annähernd 100 Mitarbeiter beschäftigen und perspektivisch bis zu 1.000 Drohnen pro Jahr herstellen soll. Der Drohnenabwehr wiederum dient eine Kooperation von MBDA Deutschland und UDI, auf die sich beide Seiten bereits im Februar geeinigt haben. Die Beispiele zeigen, dass sich die deutsche Rüstungsindustrie eine herausragende Rolle beim Aufbau der ukrainischen Branche zu sichern sucht.