Solche und solche Bürgerkriege

Dieser Tage läuft in deutsche Kinos der Hollywood-Streifen „Civil War“. Das Feuilleton zeigt sich bestürzt ob des darin gezeigten US-Bürgerkrieges in vermeintlich naher Zukunft. Einen anderen, einen wirklichen Bürgerkrieg blendete man hingegen jahrelang aus. 

Ein Beitrag von Roberto de Lapuente

Screenshot Berlin 24/7 – Civil War, Official Trailer, A24

In den Vereinigten Staaten von Amerika herrscht Bürgerkrieg. In dem, was von den Vereinigten Staaten noch übrig ist. Einige Bundesstaaten haben sich abgespalten und stehen offenbar kurz vor dem Sieg. Der US-Präsident verkündet indes Durchhalteparolen – man habe einen enormen Sieg eingefahren, erklärt er den Bürgern. Warum dieser Krieg tobt, wer die Kombattanten sind, weiß der Zuschauer nicht so genau, wenn er sich im Kino den Film Civil War von Alex Garland zu Gemüte führt. Er wird lediglich in ein Land entführt, dass in einer nicht allzu fernen Zukunft liegt – wann genau dieser Bürgerkrieg ausbricht, was die Motive für diesen Waffengang oder Brüdern waren: Es bleibt im Dunkeln.

Bürgerkrieg in den USA der Zukunft

Der Zuschauer begleitet eine renommierte Kriegsreporterin – gespielt von Kirsten Dunst – bei ihrer Arbeit. Zusammen mit ihrem Kameramann bricht sie Richtung Washington auf. Ziel ist es, dort den US-Präsidenten zu interviewen, solange der noch im Amt ist. Dass seine Zeit bald endet, scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Zusammen brechen sie auf ihrem langen Weg durch ein von Krieg zerrissenes Land. Immer wieder treffen sie auf bewaffnete Milizen, die sich gegen marodierende Zeitgenossen zur Wehr setzen oder Marodeure in Ketten legen und foltern. Als Reporter dokumentieren sie nur – einer jungen Nachwuchsreporterin erklärt man bei dieser Gelegenheit, dass das und nur das die Arbeit sei. Nicht einmischen: Nur zeigen, festhalten und der Öffentlichkeit präsentieren.

Screenshot Berlin 24/7 – Civil War, Official Trailer, A24

Ganz klar wird dabei nie, wer gegen wen antritt – und was das Fass zum Überlaufen brachte. Auch weiß man als Kinobesucher nicht, wer die Guten sind und wer die Bösen, die Moral ist mit niemanden im Feld. Dieses vage Moment fehlender Moralität ist eine der Stärken dieses Filmes. Es wird gemordet und erschossen. Amerikaner meucheln Amerikaner – nicht jeder Landsmann ist gleich, es gibt solche, die man gerne tot sähe. Hier und da schlägt sich Rassismus als Motiv durch. Die Hemmschwelle ist niedrig. Garland entführt sein Publikum in einen Bruderkrieg, in dem das Leben einstiger Mitbürger nichts mehr zählt. 

In einer der letzten Szenen wird das Lincoln Memorial beschossen und der Präsident des ersten amerikanischen Bürgerkrieges wird um seine Ruhmeshalle gebracht. Sinnbildlich steht diese Einstellung für das endgültige Ende der Vereinigten Staaten – wie es weitergeht, was Neues blüht: Darauf bietet Regisseur Garland keine Antworten. In seinem Fokus liegt der Kampf zwischen Nachbarn und Kollegen, zwischen Familien und Landsleuten, zwischen Menschen, die dieselbe Sprache sprechen und eine ähnliche kulturelle Sozialisierung erlebt haben.

Screenshot Berlin 24/7 – Civil War, Official Trailer, A24

Der ausgeblendete Bürgerkrieg

Die Filmkritiken überschlagen sich indes: Der NDR nennt ihn »unbedingt sehenswert«, Civil War sei ein »hammerharter Film«. Denn die Produktion sei eine »eindringliche Warnung«. Die taz beschreibt indes, wie der Film das volle Repertoire einer Bürgerkriegsgesellschaft – kann man das im Singular schreiben? – veranschaulicht. Die Süddeutsche fragt derweil, ob das schon »eine Vorahnung« sei. Und bei Spiegel Online liest man, dass der Film zeige, wovor viele warnen: »Krieg vor der eigenen Haustür«. Man spürt regelrecht, wie der Streifen die Redaktionen elektrisiert. Hier wird das Grauen gezeigt, auf das unser Freund in Übersee zusteuert – viele glauben den kommenden Bürgerkrieg schon heraufziehen zu sehen. Ein Stichwort für eine derart pessimistische Prognose: Donald Trump. Der kommt in Civil War zwar nicht vor, aber für das Feuilleton scheint klar zu sein, dass diese potenzielle Entwicklung mit ihm in Verbindung steht.

Während man sich davor fürchtet, gab es in unserer unmittelbaren Nachbarschaft einen wirklichen Bürgerkrieg. Einen, der nicht für das Kino stattfand, sondern sich in der Realität manifestierte. Und zwar in der Ostukraine, im Donbass. Die Vereinten Nationen schätzen, dass über 14.000 Menschen zwischen April 2014 und Dezember 2021 getötet wurden. Vornehmlich Russen – getötet von ukrainischen Brüdern. Von Menschen, mit denen sie vorher noch zusammenlebten, die dieselbe Sprache sprechen. Auch das Waffenstillstandsabkommen namens Minsk II – laut Angela Merkel als Finte gedacht – wurde ab 2015 immer wieder gebrochen. Russland intervenierte vor der Weltöffentlichkeit. Aber die westliche Welt sah nicht hin. Anfangs fand noch eine Berichterstattung über den Bürgerkrieg statt – die Geschehnisse in der Ostukraine wurden auch als ein solcher Bürgerkrieg bezeichnet. Dann verschwanden die Übergriffe, die Verfolgungen, Zerstörungen und Eliminierungen von der Agenda der Medien im Westen.

Screenshot Berlin 24/7 – Civil War, Official Trailer, A24

Stattdessen weiden sich jene, die in ihren Presseerzeugnissen nicht mehr von diesem Bürgerkrieg sprechen wollen, weil der »Vorgeschichte« ist, am fiktiven Bürgerkrieg in einem fiktiven Amerika und zeigen sich voller Sorge. Die Bürgerkriegsvorgeschichte erscheint ihnen heute lästig, weil sie den Ukrainekrieg ab Februar 2022 um moralische Verantwortlichkeiten bereichert, die man auf keinen Fall aufkommen lassen will. Der Manichäismus dieses Krieges kann nur intakt bleiben, wenn es diesen Bürgerkrieg nicht gegeben hat. Die Toten in der Ostukraine hatten keine Lobby – die mit Kunstblut geschminkten Leichen in jener Hollywood-Produktion sorgen hingegen die Pressevertreter der unipolaren Weltordnung ganz offenbar viel mehr. 

Disclaimer: Berlin 24/ 7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7  widerspiegeln.

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