Die Leitmedien arbeiten im Ukraine-Krieg mit einem ganz bestimmten Expertenschema und prägen so Narrative und öffentliche Wahrnehmung.
Ein Beitrag von Mirko Jähnert
Gruppenbild bei Maischberger im November 2024 (von linke): Ulrike Herrmann, Jan Fleischhauer, Amelie Fried, Claudia Major, Carsten Breuer, Peer Steinbrück, Sandra Maischberger. Foto: @ Superbass, CC BY-SA 4.0
Der Experte – in den Medien wird er zitiert, wenn etwas zu beweisen ist. Ein Garant für eine unumstößliche Wahrheit. Experten müssen es ja wissen und sind außerdem unabhängig. Das dem nicht so ist, zeigt die Auswahl der Experten, die in den Leitmedien zum Ukraine-Konflikt ihre Ansichten präsentieren dürfen. Die allermeisten gehören zu transatlantischen „Nicht-Regierungs-Organisationen“ (NGOs). Sie verbreiten ausschließlich regierungsnahe, transatlantische Positionen. Gegenstimmen werden kaum öffentlich. Und wenn, wird mit Adjektiven wie „umstritten“ und „fragwürdig“ gearbeitet. Schauen wir uns einige Beispiele an.
Thomas Jäger
Der Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln wird regelmäßig auf NTV zum Krieg in der Ukraine befragt. Auch Phoenix, die Tagesschau oder Focus online hören ihn. Bei Jäger weiß man vorab, wie die Einordnung sein wird: Putin = böse. So bauschte der Professor den Drohnen-VorfallMitte September zu einer Militäraktion Russlands auf. Was man über Jäger nicht erfährt, ist seine frühere Tätigkeit beim wissenschaftlichen Direktorium des Instituts für Europäische Politik. Das IEP wird zum großen Teil von der Europäischen Union finanziert. Auf der Partner-Seite des Instituts finden sich mehrere EU-Institutionen wie das EU-Parlament und die EU-Kommission. Aufgeführt sind mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung auch zwei deutsche Ministerien. Dazu kommen einschlägig bekannte transatlantische NGOs wie Carnegie und Mercator. Nicht fehlen dürfen auch die Open Society Foundations von George Soros.
Jäger war auch bei zwei weiteren staatlichen Einrichtungen aktiv – bei der „Bundeszentrale für politische Bildung“, die dem Innenministerium untersteht, sowie beim „Zentrum für Militärgeschichte- und Sozialwissenschaften der Bundeswehr“, die zum Verteidigungsministerium gehört. Es wäre angebracht, dass die Medien bei Thomas Jäger auf diese Verbindungen hinweisen würden, anstatt ihn lediglich als Politikwissenschaftler vorzustellen.
Gustav Gressel
In den Medien wird Gressel als Militärexperte vorgestellt. Seine Interviews findet man in der Tagesschau, bei ZDF, Phoenix, Welt-TV oder Bild. Seine Haltung ist generell anti-russisch. Gustav Gressel ist Senior Policy Fellow beim Think Tank „European Council On Foreign Relations” (ECFR). Im Januar 2024 veröffentlichte er dort einen Artikel mit drei möglichen Szenarien für den Ukraine-Konflikt. Das positive Szenario war kein zügiger Frieden durch Verhandlungen, sondern eine Niederlage Russlands durch weitreichende Waffenlieferungen. Am Ende des Artikels schreibt er ganz offen:
Der Westen hat immer noch Einfluss in diesem Krieg; er kann die Dinge immer noch umdrehen.
In einem Interview vom August 2025 beim ARD-Sender BR24 hält Gressel einen Angriff Russlands auf die NATO für wahrscheinlich:
Es wird nicht nur Spitzbergen oder nur Narwa sein. Das würde Putin nicht reichen. Die politischen Ziele Russlands sind, die europäische Sicherheitsordnung zu zerschlagen und durch eine nach Moskau ausgerichtete zu ersetzen. Dafür müsste Russland in allen drei baltischen Staaten und Ostpolen einmarschieren, die nicht-russische Bevölkerung ausradieren und das vor Kameras dokumentieren, dann einen Pflock einschlagen und sagen: Hier ist der Frieden-, Freundschafts- und Kooperationsvertrag mit Russland, wenn ihr nicht unterschreibt und die Nato auflöst, dann ergeht es euch so wie den baltischen Staaten.
Dass Gressel es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, zeigt er auch bei dem schon erwähnten Drohnen-Vorfall in Polen. In einem Interview mit dem ORF behauptet er, dass russische Drohnen auch bis nach Österreich fliegen könnten. Dazu muss man wissen, dass die russischen „Gerbera“-Drohnen eine Reichweite von etwa 700 Kilometern haben. Die Entfernung von Russland nach Österreich beträgt dagegen etwa 1600 Kilometer.
Ein interessantes Detail zu diesem Vorfall, das eine andere Version des Hergangs nahelegen würde, postet Gustav Gressel am 28. August 2025 auf X, also drei Wochen vorher:

Die ukrainische Armee hatte just zu dieser Zeit das mit deutscher Hilfe entwickelte „FC.K-System“ bekommen. Dabei handelt es sich um ein elektronisches Kriegsführungssystem, das Drohnen stören und vom Kurs abbringen kann. In den deutschen Leitmedien war davon kaum zu lesen, nur eine kurze Meldung im Tagesspiegel habe ich gefunden. Die zeitliche Nähe zum Ereignis in Polen ist schon erstaunlich.
Wie bereits geschrieben, ist Gressel für das ECFR tätig. Dabei handelt es sich um eine klassische transatlantische Organisation, die für die Propaganda in Europa zuständig ist. Finanziert wird die NGO zu 70 Prozent von anderen Organisationen (etwa von der Bill & Melinda Gates Foundation oder den Open Society Foundations) sowie zu einem Viertel von staatlichen Akteuren (etwa von den Außenministerien verschiedener NATO-Staaten). Mitbegründer und Direktor des ECFR ist Mark Leonard, der auch eine Kolumne für die NGO „Project Syndicate“ schreibt, einer weltweit agierenden Meinungsmacher-Maschine, für die unter anderem Norbert Röttgen schreibt. Schaut man sich die deutschen ECFR-Mitglieder an, stößt man auf ein Who’s Who transatlantischer Meinungsmacher, die immer in den Leitmedien präsent sind:
- Reinhard Bütikofer, Roderich Kiesewetter und Außenminister Johann Wadephul,
- Medienvertreter wie Florian Eder von der Süddeutschen Zeitung sowie
- der aktuelle Sprecher der Bundesregierung und frühere SZ-Politikchef, Stefan Kornelius.
Das ECFR ist also bis in die Regierung Deutschlands vertreten. Hermann Ploppa schreibt in seinem Buch „Die Macher hinter den Kulissen“ zum ECFR:
Der European Council on Foreign Relations ist keine Keimzelle europäischer Eigenständigkeit gegen die Vereinnahmung durch die USA. Vielmehr ist der europäische Think Tank eine Art konfessioneller Abart innerhalb der „Religion“ der US-Hegemonie.
Claudia Major
Ein oft gesehener Gast gerade in öffentlich-rechtlichen Formaten. Claudia Major wird vorwiegend als Politikwissenschaftlerin oder Sicherheitsexpertin angekündigt. Schaut man sich ihren Lebenslauf an, ist die transatlantische Linie nicht zu übersehen. Von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) über die ETH Zürich und die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) führte sie die Karriere zum German Marshall Fund (GMF), wo sie als Senior Vice President für Transatlantische Sicherheitsinitiativen tätig ist. Damit weiß man, wie Major zu Russland und der Ukraine steht. Eine sichere Bank in jeder Talkshow. Bereits am 24. März 2022 schrieb sie in einem Text für Die Zeit, der von der DGAP übernommen wurde:
Die neue Sicherheitsordnung in Europa wird für lange Zeit nicht mehr kooperativ-integrativ zusammen mit Russland funktionieren, sondern ohne oder sogar gegen Russland.
In einem Interview mit dem Stern plädiert Major für deutsche Soldaten in der Ukraine:
Wenn Friedrich Merz es ernst meint, mit seiner Führungsrolle in Europa, können wir uns keinen deutschen Sonderweg erlauben.
Der Stern und das ZDF beschreiben Majors Arbeitgeber GMF übrigens als unabhängigen US-Think Tank.

Zu den GMF-Geldgebern gehört die Europäische Kommission mit über einer Million Dollar. Bei den sechsstelligen Spenden findet man Mercator und die Open Society Foundations. Außerdem erhält der GMF Gelder von der NATO und vom Auswärtigen Amt. Als German Marshall Fund im April 2025 der eine neue Chefin bekam, freute sich Claudia Major auf X über „eine neue Generation transatlantischer Führung“. Sieht so eine unabhängige Denkfabrik aus? Claudia Major malt bei jeder sich bietenden Gelegenheit eine russische Bedrohung an die Wand. In der NDR-Sendung „DAS!“ behauptete sie am 21. März 2025:
Russland bedroht uns nicht nur militärisch, sondern auch im „Graubereich zwischen Krieg und Frieden“, etwa durch Cyberangriffe und Sabotageakte.
Viele Artikel von Claudia Major sind gemeinsam mit Christian Mölling verfasst, einem weiteren Gast in den Leitmedien. Mölling war in seiner Laufbahn bei der ETH in Zürich, der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), dem German Marshall Fund (GMF) und der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) tätig. Bei so vielen Gemeinsamkeiten war fast zu erwarten, dass Mölling und Major miteinander verheiratet sind.
Nico Lange
Lange hat eine Bundeswehr- und eine militärische NATO-Karriere hinter sich. Er war unter Annegret Kramp-Karrenbauer im Verteidigungsministerium tätig und hat für die Konrad-Adenauer-Stiftung in Washington gearbeitet. Seit Juli 2022 ist er Senior Fellow bei der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC). Dieses jährliche Treffen von hochrangigen Vertretern aus Militär, Politik und Wirtschaft hat großen Einfluss auf die Außenpolitik der teilnehmenden Länder. Zukünftiger MSC-Vorsitzender (und damit Chef von Nico Lange) wird Ex-NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Auch wenn es vorhersehbar ist, hier eine Auswahl an Sponsoren der MSC: Bundesministerium für Verteidigung, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Atlantik-Brücke, Gates-Foundation, Stiftung Mercator und als einer der Hauptfinanzierer die Open Society Foundations.
Was können wir also von Nico Lange zum Ukraine-Konflikt erwarten? Eine unabhängige Expertenmeinung? Mitnichten. Trotzdem wird er vor allem in den Videoformaten von Bild und Welt sowie bei der ARD und auf Phoenix wahlweise als Verteidigungsexperte, Sicherheitsexperte oder Politikwissenschaftler vorgestellt. Dabei sind seine Äußerungen alles andere als haltbar. In einem Dokument, das er im Auftrag der MSC verfasst hat, bestreitet er erstens, dass die Konfliktparteien 2022 ein Friedensabkommen so gut wie ausgehandelt hatten, das dann aber vom Westen torpediert wurde, und zweitens, dass die Ukraine ab 2014 den Donbass beschossen hat und es dabei Tausende zivile Opfer gab. Dieses Dokument ist ein Lehrstück westlicher Propaganda. Weitere Thesen Langes: Korruption ist in der Ukraine kein Problem, und die NATO-Erweiterung hat keinen Einfluss auf die Entstehung dieses Konfliktes gehabt.
Unter der Überschrift „Frieden schaffen mit deutschen Waffen“ verfasste Lange außerdem ein Plädoyer für deutsche Großmachtsphantasien. Ein weiteres Dokument aus dem Jahr 2023 trägt den Namen „How to Beat Russia“ (Wie man Russland schlägt). Das hat er übrigens zusammen mit Carlo Masala geschrieben, einem weiteren Talkshow-Dauergast im deutschen Fernsehen.
Die Berichterstattung zur Ukraine ist fest in transatlantischer Hand. Es gibt noch weitere oft zitierte Experten mit den genannten Verbindungen. Dazu gehören Marcus Keupp (ETH Zürich), Janis Kluge (SWP), Ralph Thiele (Deutsche Atlantische Gesellschaft) und Jana Puglierin (DGAP, ECFR, Deutsche Atlantische Gesellschaft). Wissenschaftler und Experten mit anderen Ansichten werden denunziert oder man versucht, sie zu canceln. Für die Tagesschau vergibt „Faktenchecker“ Pascal Siggelkow gleich für drei von ihnen das Prädikat „fragwürdig“: Daniele Ganser, Ulrike Guérot und Gabriele Krone-Schmalz. Letztere bekommt aufgrund eines „umstrittenen Vortrags“ auch von T-Online ihr Fett weg. Das Magazin findet jemanden, der Krone-Schmalz widerspricht. Damit gilt sie als widerlegt. Und beim MDR muss sich Patrik Baab, langjähriger Journalist im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, „fragwürdige Aussagen“ bescheinigen lassen.
Quelle: https://www.freie-medienakademie.de/medien-plus/transatlantik-schlagseite
Mirko Jähnert hat mehrere Kurse an der Freien Akademie für Medien & Journalismus besucht. Er lebt und arbeitet in Mecklenburg-Vorpommern.
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