Persönlicher Bericht über einige Protest- bzw. Demo-Aktivitäten in der ersten Augustwoche nach Verbot der für den 01.08.21 angemeldeten Querdenken-Demo oder Vom fühlbaren Abschmelzen noch existierender Grundrechte.
Ein Erlebnisbericht von Jan Veil (Oktober 2021)

31.07. | Nettelbeckplatz (Wedding) |
Direkt von der Autobahn kommend, treffe ich um ca. 19 Uhr auf dem dort stattfindenden ‚Marktplatz der Demokratie‘ ein, den verschiedene Gruppen, darunter die Partei ‚dieBasis‘, die ‚Freien Linken‘, die ‚Christen im Widerstand‘ und die ‚Berliner Kommunarden‘, gemeinsam veranstalten. Es herrscht recht entspannte Atmosphäre, Herr Schöning gibt gerade noch ein Interview, die Polizei hält sich, abgesehen von gelegentlichen Kontrollen Unmaskierter, im Hintergrund, und verschiedene Repräsentanten der beteiligten Organisationen, auch Menschen aus dem Publikum sowie Anselm Lenz, der gegen Ende eintrifft, kommen noch zu Wort – beste Speaker’s Corner-Tradition. Als ein auf der Erde gerade eingetroffener, vernunftbegabter Außerirdischer könnte man meinen: alles bestens mit dem Recht auf Versammlung und dem der freien Meinungsäußerung auf diesem Planeten – von den Leuten mit den seltsamen Gesichtslappen und der einen oder anderen Ingewahrsamnahme solcher, die keinen tragen, einmal abgesehen. Und selbstverständlich abgesehen von vielem, was, nicht nur diesen Erlebnisbericht betreffend, in den nächsten Tagen folgen sollte.
01. bis 08.08. | Berlin: erweiterter Innenstadtbereich bis Olympiagelände | Brandenburg: Potsdam /Kleinmachnow |
Sämtliche Demos, Veranstaltungen und Aufzüge, die die Behörden (bzw. die dahinterstehende Politik) mit Corona-kritischen Inhalten oder mit Querdenken in Verbindung bringen, werden ebenso kurzfristig wie pauschal untersagt, worauf die Querdenken-Anwälte Einspruch einlegen. Die Bestätigung des Verbotsbescheides durch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg sowie die Beschlagnahme eines Großteils der Bühne und des video- und audiotechnischen Equipments, bereits auf der Straße des 17. Juni stehend, erfolgt wiederum ‚pünktlich‘, nämlich am Abend des 31. Juli.
Interessant auch folgende sinngemäße Wiedergabe eines Details der Verbotsbegründung: Selbst wenn QD-nahe Demonstranten Masken aufsetzen würden, so geschähe dies nicht aus Überzeugung, sondern aus Gründen der Täuschung. Ob wohl diese ‚falsche Gesinnung‘ hinter den Masken eben diese dazu veranlassen mag, noch mehr viral wirksames Material durchzulassen, als dies eh bereits der Fall ist? Wie auch immer: Korrektes Verhalten allein reicht hier nicht mehr. Es ist die Kategorie der Gesinnung, die hier, zumindest auch, zur Entscheidungsfindung herangezogen wird. Anders ausgerichtete Demos (ob all diese, entzieht sich meiner Kenntnis) im selben Zeitraum hingegen werden zugelassen: Zweierlei Maß eben. Im Einzelnen:
01.08. | erweiterter Innenstadtbereich / Bereich zwischen Olympiagelände und Innenstadt |
Da die gesamte Straße des 17. Juni – zumindest zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule – sowohl direkt entlang des Straßenverlaufs als auch um den südlichen Rand des Tiergartens herum mit 2,30 m hohen Absperrgittern komplett abgeriegelt ist, rufen um 9 Uhr morgens viele Querdenken-Kanäle sowie solche zahlreicher anderer Organisationen dazu auf, sich auf dem Parkplatz des außerhalb des Verbotsgebiets liegenden Olympiageländes zu versammeln; ein Autokorso ist dort tatsächlich genehmigt, kann wegen zu vieler auf der Straße befindlicher, sympathisierender Demonstranten aber erst um ca. 15 Uhr starten, nachdem der sich spontanbildende, sehr lange Spaziergänger-Zug ohne festgelegte Route Richtung Innenstadt gestartet ist und die Autokorso-Route vollständig geräumt hat.
Zwischenzeitlich ist über die sozialen Medien gar von drei großen, voneinander unabhängigen Zügen im Stadtgebiet die Rede. Sowohl die Fußgänger als auch die Autofahrer werden, so höre ich später von verschiedensten Teilnehmern, mehrheitlich positiv von der Berliner Stadtbevölkerung aufgenommen: freundliche Gesichter und ‚Daumen hoch‘ statt ‚Scheibenwischer‘.
Mit ein paar Leuten der Freien Linken loten wir entlang der U-Bahn-Stationen zwischen Brandenburger Tor und Theodor-Heuss-Platz die – sich dynamisch entwickelnde – Polizei-Präsenz aus, die nach Kräften bemüht ist, freie Bürger an ihrem Recht auf unbewaffnete, durchaus gemeinsame Spaziergänge unter freiem Himmel zu hindern. Dies gelingt jedoch nur teilweise: Denn auch die Demonstranten reagieren flexibel, und immer wieder schaffen es Gruppen tausender friedlicher, aber bedingt risikobereiter, da sich in zivilem Ungehorsam übender und dadurch potenziellen polizeilichen Maßnahmen aussetzender Menschen, gänzlich ungeplante Wege bzw. Straßenzüge situativ zu ‚erschließen‘ – und zwar z.T. mitten durch dicht besiedelte Wohngebiete hindurch.
Damit ist die Politik-Strategie der Isolierung Corona-Maßnahmen-kritischer Bevölkerungsteile von der sich noch immer raushaltenden, noch immer alles erduldenden, der sich wegduckenden oder auch der von der absolut gefährlichen Corona-Erzählung noch immer ehrlich überzeugten Bevölkerung völlig misslungen – vielleicht ja nicht ganz zufällig, wage ich an dieser Stelle nicht auszuschließen. Schließlich ist von Polizei-Insidern, auch in diesen Tagen, immer wieder die Rede von einem auffällig hohen Krankenstand bei unseren Freunden und Helfern.
Nahe dem Roten Rathaus wird meine Gruppe am frühen Nachmittag Zeuge einer Motorrad-Demo, die in keinerlei organisatorischem Zusammenhang mit den sonstigen protestierenden Initiativen steht: irgendwie erfrischend, diese Aktivität von ungewohnter Seite, auch wenn sie, wie ich später recherchiere, mit Kritik an der Corona-Politik bedauerlicherweise nicht das Geringste zu tun hat.
Um ca. 15 Uhr, zwischen Alex und Rotem Rathaus, werde ich Zeuge eines wunderbaren Danser-encore-Events mit einer kraft- und würdevollen Leadsängerin (wahrscheinlich Perin Dinekli) und zahlreichen Musikern, der wahrhaft zu Herzen geht – auch der Kontrast zum grotesken Katz- und Mausspiel mit unseren ORDNUNGSKRÄFTEN macht’s.
Eine Stunde später, in der Nähe des Alex, erneut in einer riesigen Gruppe mitmarschierend, sperrt Polizei, eine Gleisbrücke im Rücken, ca. 300 Meter vor mir die Straße komplett ab; als einige Dutzend Personen etwa 30 m hinter mir einen ‚Ausbruch‘ nach links in eine noch unabgeriegelte, kürzere Seitenstraße unternehmen, kommen plötzlich etwa 10 Polizisten aus Richtung des Demo-Zugs in ebendiese Straße gerannt, einer von Ihnen, auf einen jungen, rennenden Kerl zeigend, ruft: „Den greifen wir uns!“, und im nächsten Augenblick haben sie ihn zu viert zu Boden gerissen und brutal bewegungsunfähig gemacht.
Einer der ‚Beamten‘, die übrigens alle dieselbe fünfstellige Rücken-Nr. tragen (sämtliche Ziffern kleiner 4), entblödet sich nicht, dem hilflosen jungen Mann mehrfach Schläge ins Gesicht bzw. auf den flach am Boden liegenden Kopf zu versetzen. Einige Umstehende, aber auch weiter hinten in der Seitenstraße befindliche Zeugen, beschimpfen empört diesen Schlägertrupp in Uniform, der den Gefangenen zum Aufstehen nötigt und, übermäßig Gewalt anwendend, in Richtung Hauptstraße abführt, obwohl ich diesen wiederholt und deutlich rufen höre: „Ich setze mich nicht zur Wehr!“
Später finde ich mich am Brunnen der Völkerfreundschaft auf dem menschenübersäten Alex wieder. Erneut suchen sich die Uniformierten einzelne Demonstranten, vorzugsweise mit Schildern, heraus, die sie mit absolut unnötiger Härte (Schwitzkasten, Hände auf den Rücken gebogen, Handschellen etc.) zu einem der Mannschaftswagen abführen und darin verschwinden lassen. Vereinzelt kürzere Reden mit Megaphon. Schließlich ein unglaublicher Platzregen, der Einen augenblicklich vollständig durchnässt und den die Polizei nutzt, dennoch Ausharrende oder später wieder Zurückkommende vollends vom Platz zu verscheuchen.

Jan Veil ist unabhängiger Aktivist und sieht neben gesellschafts- und geopolitischer Aufklärungsarbeit seine Hauptaufgabe in einer möglichst ‚barrierefreien‘ Vernetzung innerhalb der Demokratie- und Friedensbewegung. Er gehört der strömungsübergreifenden Bewegung ‚Freie Linke‘ an, ist Gründer des Frankfurter Arbeitskreises ‚Forderungen und Zielvorstellungen‘ und u.a. gelegentlich als Verfasser von Artikeln zum Zeitgeschehen tätig. Studium der Germanistik, der Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften sowie der Psychologie. Mehrere internationale Veröffentlichungen als Sänger und Texter von ‚Moskwa TV‘ sowie solo als ‚Ion Javelin‘.
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