BERLIN IM SOMMER 21 (Teil 2)

Persönlicher Bericht über einige Protest- bzw. Demo-Aktivitäten in der ersten Augustwoche nach Verbot der für den 01.08.21 angemeldeten Querdenken-Demo oder Vom fühlbaren Abschmelzen noch existierender Grundrechte.

Teil 1 : https://berlin247.net/?p=14697

Ein Erlebnisbericht von Jan Veil (Oktober 2021)

Symbolbild: shutterstock/Timeckert

02.08. | Potsdamer Platz (Tiergarten/Mitte) |

Dort sollte, für den – eingetretenen – Fall der Untersagung jeglicher Versammlung auf der Straße des 17. Juni auch für die Folgetage, alternativ das von QD- und Bündnisgruppen unter Leitung von Chris (QD 615 Darmstadt) geplante Programm mindestens für diesen Montag stattfinden. Doch dieser Platz ist bereits am frühen Morgen von einer Hundertschaft der Polizei abgeriegelt – dies erfordert eine sofortige erneute Planänderung:

Freiluft-Amphitheater im Mauerpark (Prenzlauer Berg) | Schließlich wird aus dem Umfeld der Orga-Gruppe, der außer Querdenkern auch Leute von der Freien Linken Hessen angehören und welche gemeinsame Aktionen bis Ende der Woche durchführen wird, noch am Vormittag eine Spontanversammlung aus eiligem Grund im Mauerpark angemeldet. Da Querdenken-Vertreter dazu nicht berechtigt sind, weil es sich dann um eine ‚Ersatzveranstaltung einer bereits verbotenen Veranstaltung des gleichen Anmelders‘ handeln würde, übernimmt dies eine Vertreterin der ‚Grundgesetz-Guerilla‘.

Bereits wenige Minuten nach deren Beginn vor höchstens 100 Zuhörern erscheint die Polizei, die nach einigem Hin und Her diese Versammlung zwar erlaubt, den Teilnahmewilligen aber Maskenpflicht und Abstände sowie die definitive Positionierung im Bereich des amphitheaterähnlich gestalteten Aufführungsplatzes abverlangt, während locker Umherstehende, -sitzende und Zuhörende vor diesem Platz allen Ernstes aufgefordert werden, sich entweder ebenfalls auf die „Veranstaltungsfläche“ zu bewegen – und sich somit klar als Teilnehmende zu erkennen zu geben – oder aber diesen Ort zu verlassen!

Immerhin kommen ein paar der geplanten Redner, u.a. Sonja Pasch, Eduard Meßmer, Dante, Dr. Frank Michler, Clark Kent, der rasende Reporter, und meine Wenigkeit sowie Musiker noch zu Wort bzw. zu Ton und Gesang, bevor die Polizei zunächst bereits um 17 Uhr die Versammlung für beendet erklärt, die wir durch eine weitere Eilanmeldung jedoch noch einmal um eine Stunde verlängern können. Wir werden geduldet, da hier nur wenig Laufpublikum vorbeikommt.

Beim gemeinsamen Abendessen höre ich zum ersten Mal vom gestrigen Tod eines Demonstranten – und muss unwillkürlich an Benno Ohnesorg denken.

03.08. | Berliner Dom (Mitte) | Wittenbergplatz (Schöneberg) |

An diesen beiden Orten veranstaltet unsere Gruppe zwei Flashmobs mit Musik und Live-Gesang [u.a. bei dem Titel: https://www.youtube.com/watch?v=PAwwSiY_zT8], Tanz und kurzen Redebeiträgen, denn weitere zur Anmeldung gebrachte, Corona-kritische Veranstaltungen bleiben weiterhin verboten. All dies noch verbliebene, bescheidene Möglichkeiten der – für uns durchaus risikobehafteten – Herstellung einer sehr begrenzten Öffentlichkeit.

Potsdam: Luisenplatz (Brandenburger Vorstadt) | Nachmittags brechen wir nach Brandenburg zu einer Kundgebung auf, die Arne Schmitt und Björn Banane angemeldet haben (zu diesen Herren s. meinen zeitgleich erschienenen Artikel ‚Zum allgegenwärtigen Thema der Kontaktschuld‘); und wer hätte das gedacht: Ich fühle mich tatsächlich noch einmal zurückversetzt in die Zeit vor Ausrufung der Pandemie – wobei natürlich auch diese Ära bereits zahlreiche negative Ereignisse in puncto ‚Demonstrationsgeschehen‘ aufweist –, denn die Polizei agiert erstaunlich tiefenentspannt, wie ich es in den letzten 16 Monaten kaum mehr erlebt habe: Sie hält sich ganz am Rande auf, macht keinerlei drohende Durchsagen, besteht nicht auf das Tragen von Masken, nur etwas Abstand ist zu halten, erfahren wir bei Ankunft. Heute wird nur einer weggeleitet: ein aggressiver Gegendemonstrant, derauf Krawall gebürstet ist. Offenbar ist die Brandenburger, zumindest die Potsdamer Polizei wesentlich moderater im Umgang mit regierungskritischen Demonstranten als die aus der Hauptstadt. Doch auch das sollte sich drei Tage später ändern.

04.08. | Französischer Dom (Mitte) |

Versuch eines weiteren Flashmobs, den die Polizei mit mehreren Mannschaftswagen jedoch nach bereits ca. 4 Minuten abbricht. Mindestens 10 Leute werden aufgefordert, zu den Fahrzeugen mitzukommen, um dort erkennungsdienstlich behandelt zu werden; es dauere „nur 10 Minuten“, wie mir der gezielt mich ‚abholende‘ Beamte auf Nachfrage mitteilt. Nach mind. 20 Minuten werden wir nicht etwa wieder entlassen, sondern sollen uns in den Schatten des Französischen Doms begeben, da es uns in der heißen Sonne ansonsten „zu warm“ werden könne; dabei ist offensichtlich, dass es die Polizisten selbst sind, denen in ihrer schwarzen Ganzkörper-Verschalung allmählich heiß wird.

Dort werden wir von mind. 18 Polizisten umringt, andere Passanten werden aufgefordert, diesen Bereich nicht zu betreten – womöglich herrscht hier besonders große Ansteckungsgefahr – womit bloß? Immerhin kann ich mich mit ‚meinem‘ Polizisten, einem nicht unfreundlichen Libanesen, recht entspannt ein wenig unterhalten. Ob er meine, dass die Maßnahmen bald eingestellt würden: nein. Im Libanon würde der Bevölkerung wesentlich weniger abverlangt als hierzulande. Auch einem Kurzvortrag zum Thema Ct-Werte und ihrer Bedeutung hört er aufmerksam zu. Nach einer Mannschaftsablösung mit unfreundlicherer Ausrichtung und insgesamt mind. 90 Minuten Freilicht-Festsetzung dürfen wir den Platz schließlich verlassen, nicht ohne dass uns für diesen Ort sowie das Brandenburger Tor ein Platzverweis bis Nachts ausgesprochen und der Audio-Anlagen-bestückte, gründlich untersuchte Transporter bis zum nächsten Tag konfisziert wird.

05.08. | Brandenburger Tor (Mitte) |

Immer bescheidener werden sie, die Formen grundgesetzlich eigentlich unter besonderem Schutz stehender Grundrechtsausübungen: Partner von mir bekommen ernsthaft Probleme sowie letztlich einen Platzverweis für die Umgebung des Brandenburger Tores, weil sie ebenda mit einem Schirm umherlaufen, der mit dem Schriftzug „Frei sein“ sowie einem roten Herz bemalt ist. Dieses Verbot diene, so die Beamten, der sog. „Gefährderabwehr“. Das tut weh.

Ein anderer Kollege wird, ebenfalls unter Feststellung seiner Personalien, zu einem mindestens 20-minütigen Gespräch genötigt, da er ein einmal gefaltetes, weißes DIN A3-Blatt bei sich trägt. Auch dies geschieht im Namen einer Gefährderabwehr; schließlich trägt das aufgefaltete Blatt die ketzerische Aufschrift „Wo ist Deine rote Linie?“, die Christof gegen Ende dieses De-facto-Verhörs den Polizisten zu zeigen sich dann doch veranlasst sieht. Sehr ähnlich lautete auch der Titel eines meiner Artikel in den im Oktober 2020 veröffentlichten ‚Corona-Fakten‘ Nr. 6 [https://mainfrankfurtverbindet.de/2020/10/corona-fakten-nr-6/]. Auch dieser Herr hat den Ort – im Status unverrichteter ‚Gefahrenentwicklung‘ (schließlich hat kein anderer Zeitgenosse diese den

Boden der Rechtsstaatlichkeit doch klar verlassenden 

Worte zu Gesicht bekommen) – umgehend zu verlassen; und zwar in einer anderen Richtung als die zuvor Erwähnten. Sowie mit einem Platzverweis für das gesamte Regierungsviertel und die Straße des 17. Juni in Tateinheit mit der Straße Unter den Linden. Wem fällt es noch immer nicht auf, in was für einem Wahnsinn wir mittlerweile angekommen sind?

Und beispielsweise auch Dieter Nuhr spricht sich mittlerweile für Impfungen aus. Dem nehme ich nicht ab, dass er es nicht besser weiß. Traurig, traurig. Möchte seine Position nicht weiter gefährden – wie so viele auf dieser Welt. Das Angst- und Ausgrenzungs-Regime bei der Arbeit. In gewisser Weise sehr verständlich, warum so viele Menschen, die etwas zu merken beginnen, sich noch bzw. weiterhin bedeckt halten – oder sich beugen: Viele haben viel zu verlieren; das wird ihnen täglich mehr oder weniger subtil vor Augen geführt.

Jan Veil ist unabhängiger Aktivist und sieht neben gesellschafts- und geopolitischer Aufklärungsarbeit seine Hauptaufgabe in einer möglichst ‚barrierefreien‘ Vernetzung innerhalb der Demokratie- und Friedensbewegung. Er gehört der strömungsübergreifenden Bewegung ‚Freie Linke‘ an, ist Gründer des Frankfurter Arbeitskreises ‚Forderungen und Zielvorstellungen‘ und u.a. gelegentlich als Verfasser von Artikeln zum Zeitgeschehen tätig. Studium der Germanistik, der Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften sowie der Psychologie. Mehrere internationale Veröffentlichungen als Sänger und Texter von ‚Moskwa TV‘ sowie solo als ‚Ion Javelin‘.

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.

Related Posts

Deutsche haben den russlandfeindlichen Kanzler satt

Die von Friedrich Merz geführte Bundesregierung verzeichnet einen Negativrekord auf der Beliebtheitsskala. Verschiedenen Umfragen zufolge ist höchstens ein Viertel der Deutschen mit der Regierung zufrieden, und die beliebteste Partei des…

Mächte der Revision: Die Neuordnung der Welt aus Sicht der Kalten Krieger (Teil II)

Auch Teil II präsentiert aus der Sicht Kalter Krieger aus den USA die internen Dynamiken der „Achse des Aufbruchs“, ihre strategischen Ambitionen und ihre Zusammenarbeit einschließlich ihrer Bemühungen, westliche Einflussmöglichkeiten…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

You Missed

BERLIN IM SOMMER 21 (Teil 2)

  • September 27, 2025
  • 5 views
BERLIN IM SOMMER 21 (Teil 2)

Deutsche haben den russlandfeindlichen Kanzler satt

  • September 27, 2025
  • 4 views
Deutsche haben den russlandfeindlichen Kanzler satt

Mächte der Revision: Die Neuordnung der Welt aus Sicht der Kalten Krieger (Teil II)

  • September 26, 2025
  • 8 views
Mächte der Revision: Die Neuordnung der Welt aus Sicht der Kalten Krieger (Teil II)

Für immer im Krieg

  • September 26, 2025
  • 6 views
Für immer im Krieg

Steckt der Kreml dahinter? Wie sich das Magazin „Spiegel“ russische Attentate bastelt

  • September 25, 2025
  • 7 views
Steckt der Kreml dahinter? Wie sich das Magazin „Spiegel“ russische Attentate bastelt

Wie stark ist China? Eine Analyse von Pepe Escobar

  • September 25, 2025
  • 10 views
Wie stark ist China? Eine Analyse von Pepe Escobar