Sie wollen nach Deutschland einreisen? Seien Sie äußerst vorsichtig. Das Land gilt im Ausland als Pulverfass – deutsche Behörden kümmert das herzlich wenig.
Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente

Stell Dir vor, meine Freundin wurde in Kanada von den dortigen Behörden am Flughafen gefragt, ob ihre Einreise nach Deutschland denn dringlicher Natur sei – war es natürlich: Sie wollte nach Hause. Man sagte ihr auch, dass es eine Sicherheitswarnstufe Drei für nach Deutschland Ausreisende gäbe. So berichtete mir mein Kind kürzlich – ganz glauben wollte ich das nicht, obgleich ich mich erinnerte, irgendwo dazu was gelesen zu haben. Eine kurze Recherche ergab: Hier und da gab es Berichte über Kanadas Warnung. Von deutscher Regierungsseite allerdings: Fehlanzeige. Das Auswärtige Amt: Eine Nullnummer. Aber eine kanadische Regierungsseite half weiter.
Kanada warnt vor Einreisen nach Deutschland – besser sei es, man reise nur in dringlichen Fällen ein. Grund: Terrorgefahr. »Seien Sie äußerst vorsichtig«, liest man dort. Außerdem: Kleinkriminalität käme vor, organisierte Banden seien auf diesem Sektor tätig. Es käme zudem zu einem deutlichen Anstieg von Passdiebstählen; Gewaltverbrechen seien selten, kämen aber vor. Rechtsextremisten verübten Übergriffe. Und dann ist da noch der Terrorismus: »Terroranschläge können jederzeit stattfinden. In den letzten Jahren gab es mehrere Anschläge in Deutschland. Diese haben viele Verletzte und Tote gefordert. Weitere Anschläge sind wahrscheinlich.«Potenzielle Anschlagsziele: »Regierungsgebäude, einschließlich Schulen, Gotteshäuser, Flughäfen und andere Verkehrsknotenpunkte und -netze, öffentliche Bereiche«.
Fragen Sie in Kanada nach!
Die kanadischen Behörden empfehlen: »Achten Sie in der Öffentlichkeit stets auf Ihre Umgebung.« Und: »Es finden regelmäßig Demonstrationen statt. Selbst friedliche Demonstrationen können jederzeit gewalttätig werden. Sie können auch zu Störungen des Verkehrs und des öffentlichen Nahverkehrs führen.« Deutschland wird als ein Land begriffen, in dem es auf den Straßen Risiken gibt, die man kennen sollte. Die Vereinigten Staaten und Australien sollen sich dem angeschlossen haben und warnen nun auch seit einigen Wochen vor diesem Land, in dem der Terror allgegenwärtig zu sein scheint.
Weiß das Auswärtige Amt überhaupt, dass Deutschland von westlichen Partnern so betrachtet wird? Anfrage an die Kurstraße 36 in Berlin. Unter anderem: »Kennen Sie das Motiv der Warnung?« Und wichtiger noch: »Was gedenkt das Auswärtige Amt als Teil der Bundesregierung, um den Bedenken gegenzusteuern?« Die Antwort kam prompt und fundiert: »Mit Fragen zu Reisehinweisen Kanadas bitten wir Sie, sich an die zuständigen kanadischen Behörden zu wenden.«
Die Idee schien nicht schlecht, also wendete sich das Overton Magazin, ich in Person, an die kanadische Botschaft in Berlin. Die Frage, wie man das Ansehen Deutschlands verbessern könnte, vermied ich jedoch – denn ich nahm an, dass dies über die Kompetenz des kanadischen Diplomatencorps hinausgehe. Die Antwort von Seiten der Botschaft gestaltete sich so, wie vermutlich Antworten von Behörden überall auf der Welt aussehen. Umfangreich, aber leider ohne Neuigkeiten. Einzig interessant: »Das Risikoniveau für Deutschland hat sich seit November 2022 nicht verändert und liegt weiterhin bei erhöhter Vorsicht. Dies entspricht der Einstufung anderer westeuropäischer Länder, darunter Frankreich, die Niederlande, das Vereinigte Königreich und Italien.«
Braver Journalismus sollte freilich Rechenschaft ablegen über das, was er macht, wenn Behörden es ihm schaffen. Und so konfrontierte das Overton Magazin nochmals das Auswärtige Amt und erklärte der Pressestelle, dass es den Vorschlag beherzigt habe. Dann erneuerte es die Anfrage wie folgt: »Wie sieht es das Auswärtige Amt, dass Kanada Deutschland als Land unter fortwährender Terrorismusgefahr erachtet? War dem Auswärtigen Amt bekannt, dass Deutschland in Kanada so eingestuft wird? Was gedenkt das Auswärtige Amt als Teil der Bundesregierung zu tun, um wieder als sicheres Einreiseland gelten zu können?«
Hören Sie auf sich Sorgen zu machen!
Die Antwort ließ lange auf sich warten und fiel gekonnt versiert aus: »Wir verweisen auf unsere bisherige Antwort, der wir nichts weiteres hinzuzufügen haben.« Keine schlechte Erwiderung für eine Behörde, die 2025 mit 5,96 Milliarden Euro Steuergeld ausgestattet wurde und die davon 1,35 Milliarden Euro für Personalaufgaben aufbringt. Wobei die Anfrage alleine vielleicht schon disqualifiziert, denn eine Frage, die etwas über die destabilisierte Situation der Bundesrepublik – oder die im Ausland angenommene Destabilisierung – in Erfahrung bringen möchte, muss sofort als delegitimierend eingeordnet werden. Denn darin schwingt etwas mit, was man offenbar außerhalb Europas wahrnimmt und auch zum Thema macht: Westeuropa steckt in einer tiefen Krise – und marschiert in Verhältnisse ein, die man sich für Staaten vorstellt, die kurz davor sind, wie ein Pulverfass hochzugehen.
Hat er »Bürgerkrieg« gesagt? Das mag man sich an den Stellen, die der Presse Antworten geben sollen, gedacht haben. Denn schließlich wollte da jemand wissen, warum man Deutschland im Ausland als chaotisches Land erachtet, als Vorstufe zum failed state. Und wer in Deutschland vor einem Bürgerkrieg warnt, gilt schnell als rechtsextrem – denn wer warnt, wer sich Sorgen macht, der ist als Bürger und Journalist umgehend verdächtig. In Deutschland gilt jedoch: Sorgenfrei haben die Leute zu sein – und keine Fragen zu stellen, verdammt nochmal! Sorgenträger sind gefährlich. Man wird sich mit ihnen noch auseinandersetzen müssen, wenn der Ernstfall eintritt. Das aber ist Zukunftsmusik. Der Ansatz des Crescendos ist bereits vernehmbar.
David Betz erklärte in einem Interview mit diesem Magazin, dass ein Bollwerk gegen einen dräuenden Bürgerkrieg wäre, wenn es kompetente und vertrauenswürdige Eliten gäbe. Anfragen wortkarg zu kommentieren: Spricht das etwa für Kompetenz und Vertrauen? Immerhin ist es eine berechtigte Frage für einen Bürger der Bundesrepublik, wie man das Ansehen des eigenen Landes im Ausland wieder stärken möchte. Eine mögliche Antwort wäre dann auch gewesen: Die Kanadier übertreiben. Aber nicht mal dazu konnte man sich durchringen, wohl in dem Wissen, dass die Nordamerikaner gar nicht mal so falsch liegen mit ihrer Einschätzung. Ob man in den Ämtern dieser Republik ahnt, dass der Verfall so weit fortgeschritten ist, dass sich darüber auch nur nachzudenken nicht mehr lohnt und nur schlechte Stimmung macht?
Sicher, eine nicht beantwortete Anfrage macht noch keine Staatskrise. Sie ist vielleicht nicht mal ein Symptom dafür. Aber exemplarisch ist sie allemal für den Niedergang Deutschlands. Das Land ist unsicher – und es ist verunsichert. Und als problematisch gilt derjenige, der Fragen stellt, die mittlerweile wieder als Nestbeschmutzung gelten. Die ist wieder Thema: im Bundestag wirft nun selbst die CSU der AfD Vaterlandsverrat vor. Die alten Begriffe blühen wieder auf. Georg Kreisler hat mal die Nestbeschmutzung folgendermaßen erklärt: Einer kommt in einen leeren Raum und macht einen Haufen, dann geht er wieder. Danach kommt ein anderer in den Raum und sagt laut, dass es stinke – und genau der ist der Nestbeschmutzer.
Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog »ad sinistram«. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs »neulandrebellen«. Er war Kolumnist beim »Neuen Deutschland« und schrieb regelmäßig für »Makroskop«. Seit 2022 ist er Redakteur bei »Overton Magazin«. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main.
Mehr Beiträge von Roberto De Lapuente →
Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.