Die Vertrauenswerte für die politischen Sammelbecken der repräsentativen Demokratie befinden sich im Sinkflug: Sehr großes oder großes Vertrauen in die Parteien haben laut einer Studie nur noch lediglich 9 Prozent der Befragten. Vor dem Hintergrund eines epochalen Niedergangs des politischen Personals und einer mindestens fünfjährigen, zum großen Teil durch diese Klientel selbst fabrizierten Dauerkrise überrascht das allerdings nur Realitätsverweigerer.
Ein Meinungsbeitrag von Sven Brajer
Atomausstieg (2011), Flüchtlingskrise (ab 2015), Corona-Krise (ab 2020): Wann der Niedergang des „besten Deutschlands aller Zeiten“ (Frank-Walter Steinmeier) genau begann ist strittig, unstrittig ist allerdings das er mit der Merkel-CDU einsetzte. Die von ihr so oft postulierte „Alternativlosigkeit“ kann als die Zäsur in der postmoderenn Bundesrepublik betrachtet werden, war Politik doch vorher stets die „Kunst des Möglichen“, wie einst bereits Bismarck schlussfolgerte. Vor dem Hintergrund des von Merkel kürzlich vorgestellten Buches mit dem Titel „Freiheit. Erinnerungen 1954-2021“ wirkt dieses mütterliche von Oben-Herab-Durchregieren –Kritiker sprechen bereits von „Merkelismus“ – wie eine Farce. Im bundesdeutschen Parteienkarussell gehören derartige 180 Grad-(Ver-)Drehungen allerdings seit der ersten Bundeskanzlerin zum „guten“ Ton. Und die CDU von heute? Sie hatte über drei Jahre Zeit sich an der „dümmsten Regierung Europas“ (Sahra Wagenknecht) abzuarbeiten: Viel mehr als eine Scheinopposition kam dabei nicht heraus, deutlicher ist abzusehen das sich CDU-Chef Friedrich Merz immer stärker an Robert Habeck (Grüne) heranpirscht: Zumindest außenpolitisch passt das „hervorragend“ – und Deutschland würde nächstes Jahr den Dritten Weltkrieg ein großes Stück näherkommen. Das kostet natürlich neben Menschenleben auch Geld, daher will Merz an die 2,8 Billionen Euro auf den Konten der Deutschen, zumindest so ein wenig – und Habeck eine Milliardärssteuer einführen, die auch noch die letzten großen Weltkonzerne und Arbeitgeber hierzulande aus dem Land jagen würde. Wer CDU wählt, wählt also wie auch bei den Grünen, den Krieg: Wollen doch beide den Taurus an die Ukraine liefern – damit neben deutschen Panzern auch deutsche Raketen in Russland Tod und Zerstörung bringen. In Berlin hat man offenbar vergessen, wer das größte Arsenal an Atomwaffen hat und welches Land für den Tod von 27 Millionen Sowjetbürgern verantwortlich ist.
Nicht zuletzt hatte sich deswegen Anfang des Jahres das Bündnis Sahra Wagenknecht genau hier gegründet und ist mit jeder Menge Vorschusslorbeeren versehen worden: Friedenspartei woll(t)e man sein, Corona(-Maßnahmen)-Aufarbeitung sollte erfolgen und vielleicht doch etwas genauer geschaut werden, wer über die seit der „Merkel-Ära“ offenen Grenzen zu uns ins Land kommt. Doch genau jenes BSW, geht jetzt in Thüringen mit der Merz-CDU ins Bett: Der neue Ministerpräsident und „Merz-Vertraute“ Mario Voigt – der auch mit den Stimmen der Linken, bis vor kurzen für beide Seiten ein absolutes No-Go, das die fatale ideologische Entkernung etablierter Parteien aufzeigt – ins Amt gehievt wurde, ist nun Koalitionspartner des BSW. Zusammen mit einer Sozialdemokratie, die sich in erster Linie um die Interessen von Bürokraten und internationalen Konzernen kümmert, und bei der man froh sein kann, dass Willy Brandt und Helmut Schmidt heute nicht mehr miterleben müssen was aus dieser blut- und qualifikationsarmen Truppe geworden ist. Der Nachfolger von Bodo Ramelow – der wie kaum ein Zweiter sinnbildlich für die erfolgreiche (Selbst-)Zerstörung der deutschen Linken steht – hat sich mit Katja Wolf (Finanzministerin) und Tilo Kummer (Umwelt- und Energieminister) gleich zwei ehemalige Linken-Politiker in sein Kabinett geholt: Koalitionen, die nur noch Kopfschütteln auslösen, aber natürlich die „Demokratie“ retten sollen. Vor jenem blauen Elefanten im Glashaus, der in Thüringen und Sachsen um die 30-Prozent der Stimmen bei den letzten Landtagswahlen erhielt. Die Stimmen der AfD-Wähler gelten aber weniger, als die von CDU, SPD oder Grünen, denn die viel beschworene „Brandmauer gegen rechts“ muss auf jeden Fall aufrecht erhalten werden. Obwohl sich die CDU mit ihrer selbstverordneten Alternativlosigkeit diese Alternative selbst gezüchtet hat. Sie merken, wir drehen uns im Kreis.
Und die Lindner-FDP? Die wird kein sich selbst ernst nehmender Liberaler nach drei Jahren intensiver Zerstörung des Wirtschaftsstandorts Deutschland als Teil der Ampel jemals wieder wählen – sollte man zumindest annehmen. Doch einen Vorteil haben alle Parteien: Das Kurzzeitgedächtnis des deutschen Wählersgleicht immer stärker den eines Goldfischs. Daher kann man Herrn Merz bereits jetzt zur Kanzlerschaft 2025 gratulieren – ob zusammen mit Grün, Grün-Rot, oder gar Grün-Gelb ist ohnehin egal, die inhaltlich entkernten und austauschbaren bundesdeutschen Parteien kümmert der Wählerwille und das in sie eben nicht mehr gesetzte Vertrauen ohnehin nicht. Vielleicht ist daher die Politik, die sich nur um die eigene Achse dreht, selbstdas Problem und ein Ende bzw. deutliches Zurückfahren des immer übergriffiger werdenden Parteienstaates die Lösung.
Der ein oder andere im Konrad-Adenauer oder Willy-Brandt-Haus hat ganz offenbar vergessen: Parteien sollen laut dem Grundgesetzt lediglich „bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken“ – und ebennicht die komplette Legislative, Exekutive und Judikative an sich reißen, denn genau das untergräbt die Demokratie.
Zum Autor: Sven Brajer ist promovierter Historiker, freier Journalist sowie gelernter Einzelhandelskaufmann. Er stammt aus der Oberlausitz, hat in Göttingen und lange in Dresden gelebt, lebt derzeit in Berlin und Görlitz und betreibt den Blog www.imosten.org. Er interessiert sich für die deutsche und europäische Sozial-, Kultur- und Wirtschaftsgeschichte des 19.-21. Jahrhunderts, Revolutionsforschung, Geopolitik mit Schwerpunkt Mittel- und Osteuropa, aber auch für aktuelle (finanz-)politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen, insbesondere von Parteien und Bewegungen. 2023 erschien sein Buch: „Die (Selbst)Zerstörung der deutschen Linken. Von der Kapitalismuskritik zum woken Establishment“ im Promedia Verlag.
Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.