Wir brauchen weniger Staat! So tönt es durch Deutschland, und es scheint, als wäre genau das die Lösung: Der Staat in seiner grenzenlosen Inkompetenz zerstört die Wirtschaft, den Wohlstand, die Infrastruktur, also muss er sich aus diesen Dingen heraushalten. Doch was bleibt dann am Ende übrig?
Ein Beitrag von Tom J. Wellbrock
Ja, die staatlichen Regulierungen, Subventionierungen und für die Bürger kaum planbaren Vorhaben stürzen Deutschland in eine Katastrophe. Auf der einen Seite wollen die Habecks des Landes „in unsere Keller“, um uns vorzuschreiben, wie wir heizen müssen. Auf der anderen Seite locken sie mit Subventionen, Förderungen und sonstigen Unterstützungen, etwa beim Kauf von E-Autos, die von heute auf morgen wieder zu verschwinden drohen. Der Ausstieg aus der fossilen und der Einstieg in die regenerative Energieerzeugung wird nicht durchdacht, die Folgen werden ignoriert oder als unwahr eingeordnet. Bei so viel Spontaneität und fachlicher Minderleistung ist es kein Wunder, dass die Forderungen nach einem schlanken Staat immer lauter werden.
Bei den Konsumenten und den Unternehmen führt die Planungsunsicherheit zu Verunsicherung und Zurückhaltung. Die einen halten sich mit dem Konsum zurück, die anderen mit dringend notwendigen Investitionen, weil sie nicht wissen, ob die Zusagen von heute auch morgen noch gelten. Und über all dem steht die ausgeblendete Frage nach den Kosten für die Energie. Landauf, landab wird die Preisexplosion für Energie mit teils ausufernden Begründungen analysiert, die von diversen Vorgängeregierungen bis – natürlich! – Putin reichen, der seinerseits für das Problem verantwortlich gemacht wird.
Wäre es also ein Segen, wenn der Staat sich künftig einfach aus der Wirtschaftspolitik heraushalten und alles den „Markt“ regeln lassen würde? Geht es nach der AfD, aber auch der FDP und Teilen der Unionsparteien, sieht es genau so aus: Der Staat sollte Deutschlands Wirtschaft sich selbst und kompetenten Fachleuten und Unternehmen überlassen.
Doch an dieser Stelle hört die Idee des schlanken Staates auch schon auf zu funktionieren.
Privatisierung läuft schon seit Jahren
Die Bahn, die Post, die Telekom und viele andere Unternehmen, an denen der Staat beteiligt ist, werden oft als Belege für das staatliche Versagen angeführt. Und tatsächlich zeigt ein Blick auf die Liste von Unternehmen mit staatlicher Beteiligung das offenkundige Scheitern des Staates. Allerdings handelt es sich nicht um staatliche Unternehmen im herkömmlichen Sinne, sondern lediglich um entsprechende Beteiligungen. An den geschäftlichen Entscheidungen ist der Staat also in den meisten aller Fälle nicht direkt beteiligt.
Und so schaut der Staat tatenlos zu, wie die Bahn weiter Schienenkilometer abbaut, die Post zu einem Zustellungsunternehmen nach Lust und Laune wird, Krankenhäuser nur noch Renditeobjekte sind, die Bildung auf den privaten Sektor ausgelagert, die Rente zu einem Aktienkarussell wird, die Telekom zwar ihre Monopolstellung ausbaut, dabei aber die digitale Struktur in Deutschland verrotten lässt und die Gesundheitsversorgung zu einem Desaster mit hohen Selbstbeteiligungen wird.
All das hat mit den staatlichen Aufgaben der Daseinsversorgung nichts zu tun, vielmehr zieht sich der Staat immer weiter zurück und hat mit der Realität und dem Alltag der Menschen nichts mehr am Hut. Man nehme als weiteres Beispiel den Wohnungsmarkt. Schon die Tatsache, dass Wohnen nun auf einem Markt stattfindet, lässt tief blicken.
Der Staat, der keine Wohnungen baut
Hohe Mieten und zu wenig Wohnraum sind ein politischer Dauerbrenner. So natürlich auch jetzt im Wahlkampf. Doch die vollmundigen Versprechen der Bundesregierung haben sich bisher nicht nur nicht erfüllt, sie werden es auch weiterhin nicht tun. Einfach, weil der Staat mit dieser Angelegenheit kaum noch etwas zu tun hat.
So wurde das Ziel, jährlich 100.000 neue Wohnungen zu bauen, nicht nur krachend verfehlt. An diesem Zustand wird sich auch vorerst nichts ändern, denn die Bundesregierung ist zwar für großspurige Ankündigungen zuständig, aber nicht für deren Umsetzung. Denn für den Wohnungsbau ist die Bundesregierung gar nicht (mehr) zuständig, das hat sie an die Länder übertragen. Diese wiederum benutzen erhaltene Förderungen aber nicht selten, um ihre eigenen Finanzen in Ordnung zu bringen, sie bauen also nicht unbedingt Wohnungen, sondern setzen die Gelder anders ein.
Und selbst, wenn Wohnungen gebaut werden, so erledigen das nicht etwa staatliche Akteure, sondern die private Wirtschaft, zu der auch Genossenschaften gehören, die wohl noch die sozialste Komponente auf dem Wohnungsmarkt sind. Am sozialen Wohnungsbau beteiligt sich der Staat mit Zuschüssen und Förderungen, Sozialwohnungen sind darüber hinaus für die Mieter an bestimmte Obergrenzen gebunden, die allerdings zeitlich begrenzt sind. Nebenbei bemerkt: Die zeitliche Begrenzung für die Preisbindung von Sozialwohnungen ist ziemlich absurd, weil die Mieter in der Regel nach Ablauf der Mietpreisbindung die dann entsprechend höheren Mieten nicht mehr zahlen können.
Fehlende Einnahmen für den Staat
Natürlich kann und muss man die staatlichen Aktivitäten kritisieren. Als guter Unternehmer stellt er sich in den seltensten Fällen heraus. Doch private Firmen müssen nicht zwangsläufig besser sein. Insbesondere in den Bereichen der Daseinsversorgung steht der Wunsch nach der Gewinnmaximierung von Unternehmen im krassen Widerspruch zur Verbesserung der Zustände für die Menschen. Beim Wohnungsbau sieht man das an den stetig steigenden Mieten, die sich immer weniger Menschen leisten können. Und da auf dem Gebiet des sozialen Wohnungsbaus mehr Wohnungen aus der Mietpreisbindung herausfallen als neue gebaut werden, kann man von einer Katastrophe mit Ansage sprechen.
Ein weiteres Problem ist die generelle Auslagerung von ursprünglich staatlichen Aufgaben auf die Privatwirtschaft. Um beim Wohnen zu bleiben: Der Staat baut selbst keine Sozialwohnungen, fördert diese aber. Er investiert also auf seine Art durchaus in den Wohnungsmarkt, generiert aber daraus keine eigenen Einnahmen, da die Mieten ja in die Privatwirtschaft oder bestenfalls in die Genossenschaften fließen.
Auch in zahlreichen anderen, privatisierten Bereichen steckt der Staat zwar Geld, erhält aber kaum Gegenleistungen, weil diese in die private Wirtschaft fließen. Das könnte man begrüßen, wenn man der Überzeugung ist, dass der Staat ein schlechter Unternehmer ist und private Firmen ihre Sache besser machen. Tun sie das jedoch nicht – und das ist beim Wohnen der Fall, bei der Rente, der Gesundheit, der Bildung, der Infrastruktur, der Bahn oder der Post – müssen die Menschen leiden. Sie zahlen drauf, wo auch immer sie Bedarfe und Bedürfnisse haben.
Mehr Staat!
Werden Forderungen nach mehr staatlicher Einflussnahme auf bestimmte Bereiche des Lebens laut, kommen sofort die um die Ecke, die die Keule des „Sozialismus“ oder der „Planwirtschaft“ schwingen. Der Staat könne das nicht, man sehe das ja jeden Tag, wenn man sich die Desaster ansieht, die die Bundesregierung mal wieder angerichtet hat. Beispiele sind schnell genannt, der Berliner Flughafen oder Stuttgart 21, wo sich der Staat nicht mit Ruhm bekleckert hat, um es vorsichtig zu formulieren. Und tatsächlich, allein Stuttgart 21 hat sich zu einem wahren Kostenmonster entwickelt. Doch das liegt im Wesentlichen daran, dass unzählige Tochterunternehmen der Deutschen Bahn (DB) die Kosten in die Höhe getrieben haben, der Staat selbst – also Bund und die betroffenen Länder – sind vorrangig damit beschäftigt, die Mehrausgaben der Öffentlichkeit zu erklären … und dafür bezahlen zu lassen. Eine entsprechende Suche auf den NachDenkSeiten fördert Unglaubliches zutage, und wenn man sich erst einmal in die zahlreichen Artikel eingelesen hat, kommt einem das kalte Grausen.
Es mag richtig sein, dass der Staat der schlechtere Unternehmer ist, wobei das natürlich auch abhängig von der Kompetenz oder Inkompetenz der an der Macht sitzenden Politiker ist. Dass aber die Daseinsversorgung aus staatlichen Händen gegeben und der Privatwirtschaft teilweise oder vollständig überlassen wurde, kann man nur als fatale Politik bezeichnen. Erschwerend hinzu kommt die Tatsache, dass Gewinne zwar bei den Unternehmen bleiben, Verluste und schlechte Leistungen oder schlicht reine Geldgier und entsprechende negative Entwicklungen „sozialisiert“, also auf die Allgemeinheit abgewälzt werden, was das Problem noch drastischer macht.
Grundsätzlich gilt: Der Staat muss bestimmte Aufgaben übernehmen und darf sie nicht an die gewinnorientierte Privatwirtschaft abgeben. Zum einen, weil das zu schlechten Entwicklungen und unerträglichen Preisen und sonstigen Kosten führt. Und zum anderen, weil der Staat sich selbst wichtiger Einnahmen beraubt, die dringend notwendig sind, um den Menschen ein gutes, zumindest aber erträgliches Leben zu erlauben.
Wir brauchen weniger Staat? Nein, wir brauchen einen Staat, der sich der Notwendigkeit seiner Aufgaben bewusst ist und diesen nachkommt, während er ein Gespür dafür entwickelt, wo er sich besser raushält. Von einer solchen Balance sind wir Lichtjahre entfernt, oder, um es mit den Worten Annalena Baerbocks zu sagen: Hunderttausende von Kilometern.
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Oskar Lafontaine, Max Otte, Andrej Hunko, Patrick Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«. Gründungsmitglied und Mitherausgeber der neulandrebellen.
Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.