Streit um Rundfunkbeitrag: Sensation im Gericht 

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hebt die bayerischen Urteile zur Rundfunkbeitragspflicht auf und ruft die Wissenschaft an. 

Ein Beitrag von Beate Strehlitz und Dieter Korbely

Bildbeschreibung

Foto: Dieter Korbely

Das Verfahren hat bundesweit Aufmerksamkeit erregt: Eine Frau aus Bayern hatte geklagt, weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk ihrer Meinung nach kein vielfältiges und ausgewogenes Programm biete, sondern der staatlichen Meinungsmacht als Erfüllungsgehilfe diene. Sie hatte von Oktober 2021 bis März 2022 keinen Rundfunkbeitrag gezahlt und war mit der entsprechenden Klage in zwei Instanzen an den bayerischen Verwaltungsgerichten gescheitert. Die beiden Argumente der Richter: Wir zahlen erstens nur für den Empfang. Wer damit unzufrieden ist, was die Anstalten liefern, der könne sich ja zweitens an die Gremien wenden – an die Rundfunkräte, die in unser aller Namen über das Programm wachen.

In dem Revisionsverfahren, für das es am 1. Oktober eine mündliche Verhandlung gab, hat das BVerwG das Urteil des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofes nun aufgehoben. Der Rechtsstreit wurde zur erneuten Verhandlung und Entscheidung nach München zurückverwiesen. Der vorsitzende Richter stellte sogar fest, dass das bayrische Urteil gegen Bundesrecht verstößt. Denn die Rechtfertigung der Beitragspflicht ist an die Nutzung eines Programmes gebunden, das den Anforderungen des Funktionsauftrags entspricht. Dieser Funktionsauftrag bestehe darin, Vielfalt zu sichern und als Gegengewicht zum privaten Rundfunk Orientierungshilfe zu bieten. Erstmals wurde damit die Beitragspflicht nicht nur an die Möglichkeit des Empfangs gebunden, wie bisher geurteilt, sondern auch an die Erfüllung des Programmauftrages hinsichtlich Programmvielfalt. 

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Der vorsitzende Richter, Foto: Dieter Korbely

Das Bundesverwaltungsgericht machte klar, dass die Beitragspflicht in Frage gestellt werden kann, wenn die gegenständliche und meinungsmäßige Vielfalt über einen längeren Zeitraum im Gesamtprogramm „gröblich verfehlt“ wird. Allerdings müsse ein grobes Missverhältnis zwischen Abgabenlast und Programmqualität bestehen. Zudem sei das Gesamtangebot von Hörfunk, Fernsehen und Telemedien über einen längeren Zeitraum in Betracht zu ziehen.

Das Gericht hat in seinem Urteil sogar den Weg gewiesen, wie die Klägerin eine Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht oder eine Minderung des Betrags erreichen könnte. Es empfiehlt das Vorbringen eines wissenschaftlichen Gutachtens über die mangelnde Programmvielfalt. Das Gutachten soll mindestens eine Zeitspanne von zwei Jahren bis zum Ende des angefochtenen Zeitraums umfassen, also etwa die Zeitspanne von März 2020 bis März 2022. Auf Basis eines solchen Gutachtens müssen die Richter am Bayrischen Verwaltungsgerichtshof ermitteln. Wenn sie dann zu der Überzeugung kommen, dass der Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks grob verletzt wurde, kann der Fall dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden. Diese Instanz hätte dann über die Verfassungsmäßigkeit des Rundfunkbeitrages unter Berücksichtigung der Einhaltung der Programmvielfalt zu entscheiden.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte nicht selbst über die Rechtmäßigkeit der Beitragspflicht entscheiden. Als Revisionsinstanz kann es keine Sachverhaltsaufklärung betreiben. Aber allein schon die Aufhebung des Urteils vom Bayrischen Verwaltungsgerichtshof ist eine kleine Sensation. Das Urteil hat auch Bedeutung für die vielen anderen Prozesse, die derzeit an den deutschen Verwaltungsgerichten gegen die Rundfunkbeitragspflicht laufen. Die Kläger können sich nun darauf berufen, dass die Beitragspflicht an die Einhaltung des Programmauftrages gebunden ist. Und schließlich ist das Urteil für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein deutliches Signal. Denn es reicht nicht aus, dass sich die Rundfunkanstalten auf ihre internen Instanzen zur Beurteilung der Programmvielfalt berufen. Das Bundesverwaltungsgericht machte klar, dass eine tatrichterliche Prüfung nötig ist. Eine externe Programmbeobachtung, wie in der Schweiz, ist längst überfällig zur unabhängigen Kontrolle der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten.

Es ist ein langer und mühsamer Weg bis zu dem Ziel, Meinungsvielfalt in Deutschland wieder herzustellen. Auch wenn es einige Kritiker der Beitragspflicht anders sehen werden, ist mit diesem Urteil ein erster Schritt getan. Jetzt kommt es darauf an, den wissenschaftlichen Nachweis zur groben Verletzung des Programmauftrages zu führen und damit die Gerichte zu überzeugen. Wer Argumentationshilfe braucht, kann sich auch auf dieses Gutachten von Michael Meyen berufen.

BildbeschreibungJimmy Gerum (Leuchtturm ARD) und Harald von Herget (Anwalt der Klägerin). Foto: Dieter Korbely

Beate Strehlitz ist promovierte Diplomingenieurin in Rente und hat 33 Jahre als Wissenschaftlerin in einem Forschungszentrum gearbeitet. Dieter Korbely ist Diplomingenieur in Rente und hat lange Jahre bei einem großen Automobilhersteller gearbeitet. Beide setzen sich seit 2019 für die Reform der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ein.

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.

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