Wer war nochmal Olaf Scholz?

Nach Angela Merkel war es sehr schwer vorstellbar, dass irgendwann jemand ins Kanzleramt kommt, der noch blasser, noch nichtssagender ist. Dann kam Olaf Scholz.

Ein Beitrag von Roberto J. De Lapuente

Olaf Scholz auf einem Ukraine-Besuch
President Of Ukraine, CC0, via Wikimedia Commons

Was für eine Kanzlerschaft! Das hat Deutschland vorher noch nicht gesehen: Einen Bundeskanzler, der sein Amt in annähernder Unsichtbarkeit ausfüllt und sich immer mehr in Nichts auflöst, desto mehr er spricht. Wobei von einem Ausfüllen des Amtes nun wahrlich nicht die Rede sein kann. Olaf Scholz trat vollmundig an, war noch gar nicht Bundeskanzler, verhandelte noch mit seinen Koalitionären, da betonte er schon, dass eine Regierung unter seiner Richtlinienkompetenz keine roten Linien mehr kennen würde. Damals keuchte Deutschland noch unter den Maßnahmen der Corona-Politik. Und die roten Linien, die er nicht beachten wollte, galten denen, die nicht einknickten und mitmachten, die Lockerungen wollten und keine Impfung.

Kaum im Amt brach der Ukrainekrieg aus – oder eskalierte, so man die Vorgeschichte nicht ausblenden möchte. Von Anfang an war klar, dass diese Bundesregierung eine rote Linie sicher kennt: Washington. Olaf Scholz biederte sich an, er stand schon vor der russischen Invasion in die Ukraine wie ein Statist neben Joe Biden, als dieser erklärte, man sei in der Lage, die Nord-Stream-Pipelines abzustellen. Der neue deutsche Bundeskanzler wirkte dabei sonderbar abwesend. Wie ein kleiner Ministerialbeamter – eingeschüchtert und bangend, bloß nicht aufzufallen.

Rote Linien in grün

Sicher war Olaf Scholz von Anbeginn seiner Kanzlerschaft ein erpressbarer Regierungschef. Dass amerikanische Dienste nichts Näheres in Sachen CumEx wissen sollten, scheint als Annahme merkwürdig naiv – der noch amtierende Bundeskanzler spielte in jenem Skandal eine tragende Rolle; eine, die er selbst gerne vergessen möchte. Ob indes Washington Geheimwissen einsetzte, um die deutsche Regierung willfährig zu halten, lässt sich freilich nicht beweisen – vermuten aber durchaus.

Denn Olaf Scholz trat recht oft verdruckst und verhuscht wie jemand auf, der nicht mit der Polizei sprechen soll, weil ihm das seine Erpresser am Telefon ziemlich deutlich gemacht haben. Eingeschüchtert und linkisch trat der Mann so oft auf, dass man sich fast um die mentale Gesundheit sorgen wollte. Wenn er dann doch aus sich herauskam, dann vielleicht auf einem Wahlkampfpodium, um Menschen, die sich vor einem ausbreitenden Krieg fürchteten, als »gefallene Engel aus der Hölle« zu titulieren. Solche Momente waren selten – aber gelegentlich platzte es aus ihm heraus. Dann war es immer, als ob er ein Ventil fand. Diese Befreiungsversuche dauerten oft nur wenige Minuten, dann verfiel er zurück in die Schockstarre, die der Normalzustand dieser Kanzlerschaft war.

Die Ampelkoalition wird nicht in die Geschichte als SPD-geführte Regierung eingehen, als Regierung, der der Sozialdemokrat Olaf Scholz vorsaß. Sie wird im geschichtlichen Rückblick die Regierung unter grünem Vorsitz sein: Denn einen Bundeskanzler, der eine völlig aus dem Ruder laufende Außenministerin einfängt und notfalls ersetzt und einen offensichtlich vollkommen überforderten Wirtschaftsminister vor die Tür setzt, gab es seit 2021 nicht. Auch da kannte dieser Olaf Scholz rote Linien: Und die waren grün. Scholz kuschte vor Washington und vor der grünen Parteispitze – was zugegeben in weiten Teilen deckungsgleich und damit dasselbe ist.

Ich bin der Bundeskanzler!

Olaf Scholz ist es gelungen, das Amt des Bundeskanzlers wie einen Blinddarm zu interpretieren: Total überflüssig – man kann auch ohne leben. Das ist nicht mal Angela Merkel gelungen, obwohl unter ihrer Kanzlerschaft die Politikverdrossenheit stark anwuchs. Ihre Kritiker riefen empört und zynisch: »Danke, Merkel!« – denn klar war, sie war die Chefin ihres Kabinetts, ihr kann man die Verantwortung zuschreiben. »Danke, Scholz!« ruft indes keiner. Warum sollte man auch die Arbeit des Hausmeisters anfeinden, wenn das Management versagt hat? Für die Bürgerinnen und Bürger war gar nicht ersichtlich, dass Scholz irgendwas mit seinen verselbständigenden Ministern zu tun haben könnte. Wenn das der Olaf wüsste!

Es gibt da diesen Song von Rainald Grebe, ein Klassiker des deutschen Politikklamauks: »Ich bin der Präsident«. Grebe skizziert darin die Monotonie und Sinnlosigkeit des Amtes des Bundespräsidenten. Etwas, das ins Gesicht von Frank-Walter Steinmeier geschrieben steht und sich mit jedem Monat mehr, das er in Bellevue zubringt, immer tiefer manifestiert. Aber nach Olaf Scholz könnte man auch eine Fortsetzung schreiben: »Ich bin der Bundeskanzler!« Eine Kostprobe aus Grebes Klassiker: »Jetzt kommt ein Grußwort für Hartz-IV-Empfänger / Ihr Schicksal trifft mich auch persönlich / Sie halten sich für überflüssig / Es geht mir da ganz ähnlich.«

Aber gut, Hartz-IV-Empfänger gibt es nicht mehr. Das ist die große Leistung seines Kabinetts, die bleibt: Wir sagen nicht mehr Hartz IV, jetzt sprechen wir vom Bürgergeld. Aus der Reform, die mehr Fairness und Respekt gegenüber Leistungsbeziehern garantieren sollte, ist nun eine Neuauflage des ursprünglichen Konzeptes geworden – vielleicht sogar ein wenig schlimmer als vorher, weil man Langzeitarbeitslosen nun auch einen sehr viel längeren Arbeitsweg zumuten will. Was sind denn schon zwei Stunden Arbeitsweg am Tag? Hier in Deutschland, wo Busse und Bahnen immer Zeitpläne einhalten? Und wer sich darüber beschwert, der ist rechten Narrativen aufgesessen. Das bleibt auch von seiner Kanzlerschaft: Die Kultivierung der Rechtskeule als legitimes Mittel auch der hohen Politik.

Blind auf den Gerüsten von Wolkenkratzern

Respekt war überhaupt das Schlagwort: Respektskanzler wollte er sein. Aber wie sollte man diesen Mann, dem es so eklatant an Erscheinung und Charisma mangelte, respektieren? Wie, er meinte das mit der Respektskanzlerschaft anders? Er wollte den Bürgerinnen und Bürgern mit Respekt begegnen? Sind Sie sich sicher? Seine Parole vom Respektskanzler wirkt rückblickend wie ein Hilfeschrei: »Bitte, respektieren Sie mich!« »Bitte, nehmen Sie mich ernst!« »Bitte hören Sie auf, mich auszulachen!« Aber Sie haben wohl recht, lieber Leser, gemeint war was anderes – wenn man nachliest, ergibt sich das: »Das Leitbild der neuen Bundesregierung in dieser Lage ist eine Gesellschaft des Respekts.« Das sagte er im Dezember 2021. Kurz nach den roten Linien, die er zitierte. Monate, bevor er friedliebende Bürger auf Kundgebungen verhöhnte und beschimpfte.

Natürlich kann Olaf Scholz nichts dafür, dass man ihn optisch mit Mister Magoo verwechselte, jener Komikfigur, die blind wie ein Maulwurf allerlei verwegene Abenteuer meistert. Der Witz daran: Mister Magoo merkt es oft gar nicht. Er steigt ohne Kenntnis in einen Baustellenlift und geht auf den blanken Gerüsten eines im Bauprozess befindlichen Wolkenkratzers flanieren und wundert sich, dass es etwas zieht. Der alte Mann kriegt einfach nichts mit. Diese Analogie ist treffender, als einfach nur auf das Aussehen zu rekurrieren: Man hatte nämlich einfach in den Scholz-Jahren den Eindruck, dass dieser Mann kaum etwas zur Kenntnis nahm – dass er vielleicht nicht ahnungslos war, aber doch dauernd danebenstand. Neben den Ereignissen und neben dem, was die Bürger beschäftigte. Und auch neben sich selbst. Vermutlich war er nicht einfach nur ein Übergangener; es so zu betrachten, zöge ihn aus der Verantwortung. Aber warum steuerte er, der Magoohafte, nicht dagegen, um diese Analogie zur Fünfzigerjahre-Comic-Figur zu erschweren? Um den Hohn, den er dafür erntete, zu minimieren?

Zauderer halt. Dass er ein solcher sei, das las man oft über ihn. Sogar jene Taurus-Rakete, die die Kindernachrichten des ZDF, Logo mit Namen, monierte des Bundeskanzlers Hang zur fehlenden Entscheidungsfreude. Zaudern wird oft negativ konnotiert, denn wer zaudert, der nervt sein Umfeld, stellt es vor eine Geduldsprobe. In Zeiten wie diesen war das ein erfreulicher Mangel – leider zauderte Scholz durchgehend, etwa beim Ersetzen unfähiger durch etwas fähigere Minister genauso, wie wenn einige im Lande vom Beschuss russischer Ministerien feuchtträumten und er natürlich keine deutlichen Widerworte fand und freilich auch nicht auf den Tisch haute. Ein Kanzlerplatzhirsch war er nun ganz und gar nicht – vielleicht wuchs auch deshalb zuletzt bei vielen kritischen Geistern in Deutschland der Respekt für Gerhard Schröder. So ein markiger Kanzler, der auf den Tisch schlägt: Das weckte sicher Sehnsüchte.

Paradesozi des frühen 21. Jahrhunderts

Dieser Respektskanzler a.D. kannte Olaf Scholz noch als Generalsekretär. Anderthalb Jahre war er das, folgte Franz Müntefering nach. Damals war er noch gar nicht wie Magoo, sondern etwas feist, dickere Backen als heute – und er hatte Haare. Aufgefallen ist er damals … durch gar nichts. Derselbe dröge Stil, dieselben Sprechblasen. Damals kam begrifflich der Scholzomat auf – ein Wortspiel, das das Automatenhafte des Generalsekretärs verdeutlichen sollte. Denn Scholz verteidigte in jenen Jahren die Agenda-Politik der Sozialdemokraten wie eine jener Maschinen, die 24 Stunden täglich immer dieselben Nudel dreht. Gleichförmig, langweilig, immer exakt dieselben Moves. Er verwaltete die Kritik weg. Und er zeigte, was von Sozialdemokraten im frühen 21. Jahrhundert zu erwarten sein würde: Bürokratische Ödnis, tristes Durchverwalten und damit all das, was die Partei von ihrer Arbeiterbasis entfremden sollte.

In den Jahren, da Olaf Scholz überregional bekannt wurde, da er den Reformkurs seiner Partei und seines Kanzlers in ermüdender Monotonie verteidigte, konnte man schon erahnen, welchen Weg die alte Tante einschlagen würde. Trist würde es werden. Konturlos. Das Rote würde sie abstreifen und ins Blasse überwechseln. Rot würden nur noch Linien sein, die sie sich dann und wann imaginiert. Mit dieser Vorahnung wies alles auf einen wie Scholz hin – oder auf einen, wie seinen Vorgänger als Kanzlerkandidat: Frank-Verwalter Steinmeier, der seine fehlende Begabung zu jeglichem Charisma dann ins Berliner Lustschloss verlagerte, um dort tagein tagaus Rainald Grebes Stellenbeschreibung zu lauschen.

Die SPD richtete sich damals, als Scholz den Generalsekretär machte, schon in ihrem eigenen Niedergang ein: Blass war sie. Wie die Figuren, die sie nutzten, um an Pöstchen, manchmal sogar an Posten zu geraten. Als weniger rechter Flügel der CDU fristete sie die letzten Jahre. Dann kam – nicht Scholz. Nein, Laschet kam: Venit, vidit, risit – er kam, sah und lachte. So die offizielle Geschichte für ein Volk, das an infantile Märchen gewohnt ist. Laschet war in Wirklichkeit einfach keiner, dem man einen Ukrainekrieg anvertrauen konnte. Der Spiegel erklärte Anfang 2021 noch, dass der Christdemokrat als Russlandversteher bekannt sei. Als er dem Magazin Internationale Politik im Interview auch noch sagte, er sei Realpolitiker, schrillten die Alarmglocken: Einen Realpolitiker im Kanzleramt? Das passte nicht zu einer Zeit, die bald Zeitenwende heißen sollte. Was real ist und was nicht, das entscheidet man im Oval Office.

Einer zum Vergessen

Auftritt Olaf Scholz: Als dritte Wahl. Nachdem die Prognosen für Annalena Baerbock in den Keller sanken, weil ihr Lebenslauf – sagen wir mal – ein bisschen geboostert worden sein soll, nachdem der realpolitische Russlandversteher per Lachanfall disqualifiziert wurde, blieb der Prototyp des Sozialdemokraten für das 21. Jahrhundert übrig: Einer zum Vergessen – den man sich nicht merkt, der nicht auffällt, nichts darstellt, nichts ausstrahlt. Der einem schon wieder aus dem Sinn gefallen ist, wenn man sich von ihm abwendet. Ein Mann, gemacht für eine Zeit, in der alles ins Unkenntliche verschwimmt. Nicht zuletzt ganz banale Wahrheiten.

Die SPD feierte sich 2021: Obenauf sei sie wieder. Endlich wieder! Olaf! Olaf! Olaf! Aber eigentlich hat man ihn gar nicht so frenetisch gefeiert. Die Partei schon, sie galt als Siegerin – aber nicht deren Spitzenkandidat. Vier Jahre zuvor kandidierte er schon mal für den Spitzenplatz in seiner Partei. Die Genossen lehnten dankend ab. Wer sollte den Kerl denn wählen? 2021 blieb er dann übrig. Standhaft sonderte er Sprechblasen ab, wie er es seit Jahren tat. Worte, Sätze, Texte: Ohne Aussagekraft, ohne Gehalt. Einstudierte Kommunikationsfetzen. Schwammig und verwaschen. So diffus wie jener, der sie fabrizierte.

Es gab schon allerlei Kanzlerschaften in der Bundesrepublik. Aber eine, die nicht stattfand, obwohl jemand für das Amt vereidigt wurde: Das gab es so noch nie. Natürlich wird mancher einwenden: Unfähig war er nicht – er sollte es genau so machen. Kann sein. Aber was musste er schon können? Lächeln sicher. Und das tat er zuweilen. Auch damals, als Biden das Ende von Nord Stream vorwegnahm. Da stand er und schwieg, aber lächelte. Zu diesem Zeitpunkt war den Diensten klar, dass sie den Richtigen zum Kanzler gepusht haben. Es muss nicht immer ein verschlagener, ein zutiefst verwegener Charakter sein – manchmal reicht es auch nur, wenn man die Blutleere vor sich dahinvegetieren lässt.

Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog ad sinistram. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. Er war Kolumnist beim Neuen Deutschland und schrieb regelmäßig für Makroskop. Seit 2022 ist er Redakteur bei Overton Magazin. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main. Im März 2018 erschien sein Buch „Rechts gewinnt, weil links versagt“.

Disclaimer: Berlin 24/7 bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion Berlin 24/7 widerspiegeln. Wir bemühen uns, unterschiedliche Sichtweisen von verschiedenen Autoren – auch zu den gleichen oder ähnlichen Themen – abzubilden, um weitere Betrachtungsweisen darzustellen oder zu eröffnen.

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