Wie weiter mit Wagenknecht?

  • POLITIK
  • Dezember 6, 2023
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Bis zum 27. Januar soll aus dem „Bündnis Sahra Wagenknecht“ eine neue Partei entstehen, auch der Gruppenstatus der bisherigen zehn Ex-Linken wurde am Montag im Bundestag beantragt. 

Für Berlin 24/7 eine Analyse von Sven Braje

Apolut/ Sven Brajer

In der Partei Die Linke gibt man sich kämpferisch. Gleichzeitig tut die Führung so, dass mit dem Austritt von Sahra Wagenknecht und neun weiteren Bundestagsabgeordneten alle Probleme gelöst werden. Doch weit gefehlt: Unverkennbar geht die Mitgliederzahl zurück.

54.214 Mitglieder hatten die Partei, so Statista, noch Ende Dezember 2022 – das waren fast 6.500 oder rund zwölf Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Für das aktuelle Jahr liegen keine Zahlen vor – man ahnt warum. Vor allem in den ostdeutschen Flächenländern ist die Entwicklung dramatisch. Beispiel Landesverband Sachsen: Der hatte 2003 nach Angaben des mdr noch rund 17.500 Mitglieder, vor zehn Jahren waren es noch 10.000 und Ende des letzten Jahres 6.500. Vom einstigen „Roten Königreich“ ist nichts mehr übriggeblieben. Mittelstand und Bürgertum wählen konservativ – CDU oder AfD. Nun konstituieren sich parallel die Landesverbände des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und werden in den nächsten Monaten weitere Mitglieder von den Linken anziehen. Wie das läuft, schrieb die Sächsische Zeitung Ende November: „Was Wagenknechts Partei in Sachsen vorhatte“. Dort wird die ehemalige Bundestagsabgeordnete Sabine Zimmermann aus Zwickau zitiert: „Der Landesverband hier in Sachsen sollte bis März oder April stehen.“ Ich finde, wir sind schon gut vorangekommen.“ Dann kommen die nächsten Schritte: Erst die Gründung der Gesamtpartei, dann die Landesverbände. Dem ging die Gründung des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) voraus. Danach findet auch in Sachsen ein Landesparteitag statt. Für die Wahl am 1. September 2024 muss die erforderliche Landesliste stehen. Das Landeswahlgesetz verlangt mindestens 1.000 Unterschriften – das sollte kein Problem sein. 

Im Westen und Süden gerät auch einiges in Bewegung: In Bayern wird ein Großteil der Schweinfurter Links in das neue Bündnis wechseln . Der Gewerkschafter und Ex-Linke Klaus Ernst war am Wochenende beim Bündnis vor Ort und erklärte vorher in Frankfurt bei der großen Konferenz des Bündnisses „Was Tun?!“, er wolle das althergebrachte bundesdeutsche Parteienspektrum aufbrechen. 

Bis zu den EU-Wahlen muss jedoch ein Programm stehen. Unklar ist, wie der Zustand kommen soll. Schaut man sich das recht elitär wirkende Gehabe der wenigen Mitglieder von BSW an, die Ende Oktober ihre erste Pressauskunft gab, wird das vermutlich auch von ihnen maßgeblich bestimmt. Doch der Andrang ist groß, allein 3.000 Mitgliederanträge sollen allein bei Wagenknecht eingegangen sein. Und inhaltlich? „Das wird sich schon unterscheiden vom Programm der Linken“, sagt Andrej Hunko (ehemals Linkspartei): „Es wird kritischer sein.“ Hunko konstatiert, Europa sei ein Anhängsel der USA – das muss sich ändern. Für das BSW erklärte der Bundestagsabgeordnete: „Wir befinden uns in einer ernsten sozialen Krise mit einer sich zunehmend radikalisierenden militaristischen Politik, in der die Herrschenden versuchen, jeden Andersdenkenden gesellschaftlich zu vernichten.“ Damit meint er vor allem Kritiker der „Corona-Maßnahmen“, der Waffenlieferungen an die Ukraine und dem einseitigen Agieren der Bundesregierung im wiederentflammten Nahost-Konflikt. 

Menschen, die in der Linken eine solide Prominenz genießen, wie Andreas Grünwald aus Hamburg oder Harri Grünberg, lange im Parteivorstand, gehören dem im Frühjahr gegründeten Bündnis an. Das Netzwerk trat damals in Hannover ans Licht der Welt – mitsamt Grußwort von Sahra Wagenknecht. Die Grüße blieben diesmal aus. Denn auch an Kritik mangelt es nicht: So bemängelte der Leipziger Stadtrat Volker Külow, gleichzeitig Vorsitzender des Liebknecht-Kreises Sachsen in Frankfurt, am BSW: „Die Banalität und Schwammigkeit der politischen Sprache ist schon erstaunlich, wie sie in dem Credo zum Ausdruck kommt: „Wir brauchen eine Rückkehr der Vernunft in die Politik.“ Im Sinne von Wolfgang Abendroth (des marxistischen Historikers) sollten wir bekräftigen, dass die Durchsetzung von Vernunft in einer Klassengesellschaft eines sozialen Subjekts bedarf. Machtpolitische Grundlage linker Politik, so lehrte er, ist die Aktionskraft und Aktionsbereitschaft der abhängig Arbeitenden. In diesem Sinn stimme ich der Aussage in der Abschlusserklärung völlig zu, dass unser Netzwerk zumindest kurz- und mittelfristig ein Forum der theoretischen Debatte und des politischen Dialogs zwischen der Linkspartei und der neuen Partei sein sollte.“ 

Shutterstock/ Mr. Vander

Über eine Debatte zur Aufarbeitung der „Corona-Krise“ liest man dazu allerdings genauso wenig wie zur Migrationsfrage – oder wie man die Reste der bundesdeutschen Wirtschaft – wie das die Restlinke will – auf den Altar grüner Wahnideologie für den vermeintlich hundertprozentig menschengemachten Klimawandel komplett opfern will – während europäische Nachbarn weiterhin auf Atomkraftwerke oder Kohle setzen. Besonders bei den ersten beiden Themen stehen sich die Aussagen von Sahra Wagenknecht und der Vorsitzenden Amira Mohamed Ali oft entgegen. Hat sich Wagenknecht in den letzten Jahren mehrfach gegen „offene Grenzen“ ausgesprochen, so erklärte Mohamed Ali noch 2019, dass sie für Abschiebungen nicht zu haben sei. Dafür war sie jedoch – im Gegensatz zu Wagenknecht – ein großer Fan der Corona-Maßnahmen, insbesondere des Test-Regimes.

Trotz dieser Widersprüche und des bruchstückhaften Programms soll die neue Partei am 27. Januar 2024 in Berlin gegründet werden. Es wird keine Delegierten, sondern, so Der SPIEGEL, 400 „Ehrenmitglieder“ vor Ort geben. Doch wer hat die ausgesucht? Seltsam auch die Praxis, erstmal „Probemitgliedschaften“ zu verteilen. In jedem Fall soll in Berlin die Kandidatenliste für die EU-Wahlen festgeschrieben werden. Eine spannende Frage wird sein, ob die seit Corona an deutschen Universitäten in Ungnade gefallene Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot mit dabei sein wird. Zuletzt wurde es in dieser Hinsicht wieder etwas still, vielleicht nicht zuletzt aufgrund manch fragwürdigen Auftritts der bekennenden Sympathisantin der „Vereinigten Staaten von Europa“. 

Ob die Wagenknecht-Partei direkt im unteren zweistelligen Bereich landet und vor allem der AfD das Wasser abgraben wird – wie aktuelle Umfragen prophezeien – bleibt fraglich. Viel eher werden wohl enttäuschte Wähler von Wagenknechts alter Partei, der Linken, sowie von Grünen und SPD angezogen werden – und vielleicht auch der ein oder andere enttäuschte FDP- oder CDU-Wähler. Mit dem Finanzexperten Markus Krall tritt darüber hinaus im kommenden Jahr noch eine weitere Unbekannte in die deutsche Parteilandschaft. Krall hat sich vorgenommen, die CDU zu halbieren und mit der AfD eventuell gemeinsame Sache zu machen. Unklar ist, wie sich das auf das BSW auswirken wird, die ebenfalls das Unternehmertum und den Mittelstand ansprechen wollen. Bei den im nächsten Jahr anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ist jedoch fest mit einem Ergebnis, um die zehn Prozent zu rechnen: Zum einen haben die dortigen „Reformlinken“ in den letzten zehn Jahren einen zu großen ideologischen Scherbenhaufen hinterlassen und von Wahl zu Wahl mehr Wähler an AfD und Co. verloren und zum anderen geht der Aufbau der Landesverbände dort bereits stärker als in anderen Bundesländern voran .

Zum Autor:

Sven Brajer ist promovierter Historiker, freier Journalist sowie gelernter Einzelhandelskaufmann. Er stammt aus der Oberlausitz, hat in Göttingen und lange in Dresden gelebt, lebt derzeit in Berlin. Er interessiert sich für die deutsche und europäische Sozial-, Kultur- und Wirtschaftsgeschichte des 19.-21. Jahrhunderts, Revolutionsforschung, Geopolitik mit Schwerpunkt Mittel- und Osteuropa, aber auch für aktuelle (finanz-)politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen, insbesondere von Parteien und Bewegungen. Brajers Aufsätze behandeln darüber hinaus die Makrosoziologie und Kommunikationswissenschaft, insbesondere die Funktion und Funktionsweise von Propaganda. Seit dem 22. April 2023 ist er Vizepräsident der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften eV 

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